Die Rivalität zwischen Saudi-Arabien und dem Iran facht nicht nur die blutige Auseinandersetzung im Irak an.
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Riad/Teheran/Wien. Während die sunnitische Extremistengruppe Isis ihren Einflussbereich im Nahen und Mittleren Osten durch ihren gewaltsamen Vormarsch im Irak fortsetzt und ihre Macht festigt, suchen der Iran und Saudi-Arabien, die beiden großen Rivalen am Golf, nach Exit-Strategien. Doch so einfach wird es nicht, den Brandherd zu löschen. Der Konflikt zwischen Riad und Teheran durchzieht die ganze Region. Die einzelnen Facetten eines Stellvertreterkrieges lassen sich dabei wie eine Schablone über das gesamte Gefüge im Nahen und Mittleren Osten legen.
1. Konflikt um die Islamauslegung
Zunächst einmal geht es um die Grundsatzfrage der Auslegung des Islam. Der Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten wird schon seit vielen Jahren von den Regierungen in Saudi-Arabien (Sunniten) und im Iran (Schiiten) gesteuert. Im Islam sind die Sunniten mit 90 Prozent federführend. Jedoch gibt es gerade in der Region eine Reihe von Staaten, in denen Muslime mit schiitischem Glauben die Mehrheit oder einen beachtlichen Teil der Bevölkerung repräsentieren: im Iran (92 Prozent), in Aserbaidschan und in Bahrain (je rund 70 Prozent), im Libanon (35 bis 50 Prozent), im Jemen (etwa 37 Prozent), in Kuwait (20 bis 30 Prozent), in Syrien (etwa 17 Prozent), in den Vereinigten Arabischen Emiraten (bis zu 20 Prozent) und in Saudi-Arabien (etwa zehn Prozent).
2. Schutz der Heiligen Stätten
Unmittelbar mit der religiösen Frage hängt auch die Symbolik der Heiligen Stätten zusammen. Während die Sunniten mit Mekka und Medina ihre Zentren forcieren, geht es im aktuellen Konflikt im Irak vorrangig um die schiitischen Zentren Najaf, Saballa und Kerbala, die neben Ghom im Iran die Schaltstellen der schiitischen Glaubensschulen sind. Dass die Extremisten angekündigt haben, die irakischen Schiitenzentren in Schutt und Asche zu legen, ruft die Perser auf den Plan: Der Iran hat hier "uneingeschränkte Hilfe zum Schutz der Heiligen Stätten" versprochen. Dies wiederum mobilisiert die Saudis, die vor einer Einmischung Teherans im Nachbarland warnen.
3. Prestige und Symbolik
Unter das Kapitel Prestige und Symbolik fällt auch der zum Teil wild ausgetragene Streit um die Begrifflichkeit "Persischer" oder "Arabischer" Golf. Während das Gebiet seit Jahrhunderten als Persischer Golf definiert ist und auch die UNO diesen Begriff verankert hat, bestehen die sunnitischen Staaten der arabischen Halbinsel und der Region darauf, den Ausdruck Arabischer Golf zu verwenden. So kommt es, dass etwa die Fluglinien Emirates und Qatar Airways nur "Arabischer Golf" auf ihren Flügen anzeigt.
4. Halbmond vs. Dreieck
Als Reaktion auf den "schiitischen Vormarsch" in der Region versucht Riad seit 2011 eine Allianz mit Ägypten und der Türkei, die oft als sunnitisches Dreieck tituliert wird. Doch die Türkei hat starke wirtschaftliche Interessen im Iran und will sich nicht zwischen die Fronten stellen.
5. Abdullah gegen Khamenei
Natürlich geht es auch um die handelnden Personen in diesem Konflikt. Auf der einen Seite steht der 90-jährige König Abdullah von Saudi-Arabien, der mit zahlreichen gesundheitlichen Problemen kämpft und sich nicht nur um seinen Einfluss in der Region, sondern auch um seine Nachfolge kümmern muss. Auf der anderen Seite regiert der Oberste Geistliche Führer des Iran, Ayatollah Seyed Ali Khamenei. Der 75-jährige Geistliche ist ebenfalls gesundheitlich angeschlagen. Die beiden haben ein sehr kühles und distanziertes Verhältnis zueinander. Abdullah soll laut Wikileaks-Angaben vor einigen Jahren von den USA unter dem Motto "Hackt der Schlange den Kopf ab" sogar einen Militärschlag gegen Teheran gefordert haben. Mit dem Chef des iranischen Schlichtungsrates, Ayatollah Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, gibt es derzeit nur einen einzigen Mann im Iran, der einen sehr guten Draht zu allen saudischen Offiziellen, insbesondere aber zu Abdullah hat.
6. Einfluss im Irak
Im Irak zählen etwa zwei Drittel der Bevölkerung zu den Schiiten, ein Drittel zu den Sunniten. Nicht-Muslime machen nur etwa drei Prozent aus. Die Muslime sind hier überwiegend Araber. Der Anteil der arabischen Sunniten liegt bei 15 bis 20 Prozent. Dem sunnitischen Glauben gehören hier auch die meisten Kurden an. Die iranische Regierung unterstützt den schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki, der mit den täglichen Erfolgen Isis-Truppen immer umstrittener wird. Dieser schiitische Einfluss ist Riad ein Dorn im Auge.
7. Gegenspieler in Syrien
Die Lage im Irak erinnert fatal an jene in Syrien. Der Iran unterstützt das Regime von Präsident Bashar al-Assad, der zum wichtigsten Arm Teherans in der Region wurde. Assad ist zwar kein Schiit, als Alawit allerdings Angehöriger einer "schiitischen Sekte". Saudi-Arabien, Katar und die übrigen Golfstaaten stehen hingegen auf Seite der syrischen Opposition. Dieser auf den ersten Blick scheinbare Widerspruch ist leicht erklärt: In Syrien und in Bahrain geht es nämlich nicht mehr nur um "herkömmliche" Auseinandersetzung von Protestbewegungen mit ihren diktatorischen Regierungen, wie dies etwa in Ägypten, in Tunesien oder in Libyen der Fall war, sondern vorwiegend um den seit 33 Jahren andauernden Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran.
8. Arabische Liga
Die Arabische Liga dient den sunnitischen Golfstaaten als Plattform, um Teherans Einfluss in der Region einzudämmen.
9. Schutzmacht für Bahrain
Als im März 2011 die Proteste in Bahrain, wo die Schiiten mit 70 Prozent die Bevölkerungsmehrheit stellen, zu einer Gefahr für die sunnitische Herrscherfamilie zu werden drohten, rief König Hamad bin Isa al-Chalifa unverzüglich Truppen des Golfkooperationsrats (GCC) zu Hilfe. Prompt marschierten Soldaten aus Saudi-Arabien und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten in dem kleinen wohlhabenden Inselstaat ein, um dort die Regierungstruppen, die die Proteste mit teils brutaler Gewalt niederschlugen, zu unterstützen.
10. USA zwischen den Stühlen
Jahrzehntelang war das Verhältnis der USA zur Region klar definiert. Nach dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen nach der Geiselnahme in der US-Botschaft in Teheran (1979 bis 1981) etablierte sich Washington als Schutzmacht Saudi-Arabiens. Die enge wirtschaftliche und politische Bindung hatte vor allem ein Ziel: Die Macht der Sunniten und des saudischen Königshauses zu festigen und Teherans Einfluss in der Region zu minimieren. Zusätzlich wurde dieser Plan durch die Tatsache untermalt, dass US-Stützpunkte den Iran förmlich "einkreisten". Noch tiefer wurde der Graben, als die USA wegen des umstrittenen Atomprogramms Strafmaßnahmen gegen die Islamische Republik verhängten, wodurch diese weiter politisch und wirtschaftlich isoliert wurde. Doch auch Washington verfügt infolge der misslungenen Experimente in Afghanistan und dem Irak über keine starke Position in der Region. Die Unterstützung der sunnitischen Extremisten in Syrien ab März 2011 ließ das Verhältnis USA - Saudi-Arabien zudem spürbar abkühlen. Teheran nutzte die allgemeine US-Verdrossenheit im Nahen Osten für die Forcierung des schiitischen Halbmondes von Bahrain bis zum Libanon. Parallel dazu entwickelte man das Nuklearprogramm eifrig weiter. Nach der Wahl des moderaten Hassan Rohani zum iranischen Präsidenten im August 2013 wurde zudem das US-iranische Hass-Verhältnis durch erste bilaterale Treffen auf Außenministerebene und einem Telefonat zwischen Rohani und US-Präsident Barack Obama entdämonisiert. Das mögliche diplomatische Fenster zu einer friedlichen und diplomatischen Lösung im Atomstreit treibt Riad ins Eck und festigt Teherans Macht.
11. Kampf um Petrodollars
Der Konflikt zwischen Teheran und Riad spiegelt sich auch auf wirtschaftlicher Ebene wieder. Es geht um Macht und diese ist unweigerlich mit Öl verbunden. Das schwarze Gold ist die Haupteinnahmequelle der Golfstaaten, die Dominanz eines einzigen Wirtschaftssektors ist aber auch zugleich die Achillesferse dieser Länder. Sowohl der Iran als auch Saudi-Arabien sind Mitglied des Öl-Kartells Opec und auch hier sind beide Staaten Rivalen. Der Iran, der durch das Öl- und Gasembargo der EU 2012 auch innerhalb der Opec ins Eck gedrängt wurde, hofft angesichts des vorsichtigen Tauwetters nun wieder auf die Lockerung der Sanktionen. Eine Lösung des Atomstreits könnte Teheran wieder als Keyplayer im Ölgeschäft ins Spiel bringen. Im Vergleich zum saudischen Öl gilt das iranische als qualitativ hochwertiger und leichter zu verarbeiten. Mögliche Ausfälle aus dem Opec-Land Irak könnten zudem den Ölpreis in die Höhe schellen lassen, was wiederum Teheran nützt.
12. Militärische Muskelspiele
Das politische Säbelrasseln findet natürlich auch in militärischen Stärkedemonstrationen seine Fortsetzung. Während Teheran die Al-Quds-Brigarden regional einsetzt, soll Saudi-Arabien die sunnitischen Gruppen tatkräftig finanziell unterstützen. Zudem hat sich der Iran mit seinen verlängerten Armen Hamas und Hisbollah regional verankert.
13. Palästinenser als Joker
Im Nahostkonflikt stellt sich der Iran, der Israel nicht anerkennt, nicht nur auf die Seite der Palästinenser, sondern unterstützt diese auch finanziell und militärisch (Hamas und Hisbollah). Riad unterstützt die Palästinenser zwar auch, will aber eine iranische Dominanz als regionale Schutzmacht verhindern und hat daher ein weit entspannteres Verhältnis zu Israel. Hinter vorgehaltener Hand soll es auch Gespräche zwischen Jerusalem und Riad aufgrund des iranischen Atomprogramms gegeben haben.