Die Volkshochschulen gewinnen für die Wiener Politik an Bedeutung - Drehscheibe für Bildung, Integration und Digitalisierung.
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Wien. Von der Monarchie geächtet, vom Volk selbst oft belächelt: Die Volkshochschulen (VHS) hatten es in ihren vergangenen 130 Jahren nicht immer leicht. Als Eduard Leisching im Jahr 1887 die erste österreichische Volkshochschule im 5. Bezirk gründete, hieß sie noch Volksbildungsverein und war dem Adel höchst suspekt. Das einfache Volk und eine Hochschule - das ging gar nicht zusammen. Viele Jahrzehnte später als das Volk an der Macht war und Bildungsstätten ausreichend vorhanden waren, sahen die Wiener die Kurse als kostengünstige Freizeitgestaltung an. Ob Gitarre, Autogenes Training, Seniorenturnen, Rückenfit, Bollywood-Dance, Pilates, Kochen oder Englisch - das Angebot wuchs. Heute stechen die drei großen Versalien in nahezu jedem Grätzel hervor. An 34 Standorten und elf spezialisierten Einrichtungen ist die VHS in Wien vertreten.
In den vergangenen 15 Jahren hat rein rechnerisch jeder Wiener einen VHS-Kurs besucht. Die örtliche Nähe, das niederschwellige und umfassende Angebot ist es auch, was sich die Wiener Politik nun verstärkt zunutzemachen möchte. Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) und Stadtrat und Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Volkshochschulen Michael Ludwig (SPÖ) präsentierten am Donnerstag anlässlich des 130-jährigen VHS-Jubiläums ihre Pläne. Gemeinsam wollen die roten Stadträte mithilfe der VHS die Herausforderungen dieser Zeit bewältigen: Digitalisierung, Integration, Sprachen, Bildungsabschlüsse - "alle Menschen sollen am Fortschritt teilhaben", sagte Ludwig. Bildung dürfe nicht vererbt werden, so Czernohorszky.
20.000 VHS-Kurse werden derzeit in Wien angeboten. Für Ludwig ist vor allem der Zugang der Bevölkerung zu den neuen Technologien wichtig. Wie verhalte ich mich auf den Sozialen Netzwerken, was gebe ich dort preis? Auch der Datenschutz soll Inhalt dieser Kurse sein. Die VHS bietet eine Bildungsplattform, eine App, ein "Nerd-Café" und Webinare an, wo Menschen mit eingeschränkter Mobilität ebenfalls erreicht werden können. Seit Jänner 2017 testet die VHS Mariahilf die 360-Grad-VR-Technologie "Virtual Reality - 360 Grad-VR im Bildungsalltag". Die Kurse würden sich sowohl an die jüngere als auch an die ältere Bevölkerung richten.
10.000 Deutschkurse
Diverse Sprachkurse waren auf der VHS seit jeher beliebt. Im Zuge des Flüchtlingszustroms wird aber verstärkt Deutsch angeboten. Die Volkshochschule ist laut Czernohorszky ein zentraler Partner in Sachen Integration. Dort werden derzeit 10.000 Deutschkurse unter dem Titel "Start Wien Integration ab Tag 1" angeboten. Die Kurse richten sich an Asylwerber zwischen 15 und 65 Jahren.
Ein anderer Brocken ist das Thema Bildung. Die von der Stadt Wien eingeführte Gratis-Nachhilfe an Schulen für jene, die es brauchen, wird großteils über die VHS abgewickelt. Während Volksschüler die Nachhilfe direkt an ihren Schulstandorten bekommen, wird das Angebot für alle 10- bis 14-Jährigen von der VHS organisiert und findet entweder an der eigenen Schule oder an einer Schule in der Nähe statt. Mehr als 1000 VHS-Kurse werden derzeit an 140 Schulen in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch direkt im Anschluss an den Unterricht abgehalten. Die von der Stadt finanzierte Nachhilfe sorgte für massive Kritik der Rathaus-Opposition. Die Maßnahme diene dazu, die Finanzen der VHS aufzubessern, lautete der Vorwurf.
Die Volkshochschulen in Wien haben demnach vom Miteigentümer Stadt Wien viele neue Aufgaben erhalten. Es gehe aber nach wie vor im Kern darum, allen Menschen den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. Mit dem "Start Wien - Jugendcollege" werden junge Erwachsene für die berufliche Ausbildung vorbereitet.
Herbert Schweiger, seit einem Jahr VHS-Wien-Geschäftsführer hat den Vorteil der VHS am eigenen Leib erfahren. Als Schulabbrecher in seiner Jugend, ging er den zweiten Bildungsweg. "Erst über die Volkshochschule ist mir bewusst geworden, was alles möglich sein kann", sagte er zur "Wiener Zeitung". Er machte einen Comic-Kurs, mit dem er, wie er erzählte, auch Geld verdienen konnte und absolvierte zwei Master. Er wurde Marketing-Beauftragter der VHS, dann Direktor der VHS-Donaustadt und steht heute der VHS Wien vor. Er stehe sozusagen exemplarisch für die Erfolgsgeschichte der VHS, lachte er.
Die VHS Wien erhält jährlich ein Budget von rund 22 Millionen Euro von der Stadt.