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138 Euro Mindestlohn

Von Saskia Blatakes

Politik

Kambodschas Gewerkschaftsboss Ath Thorn über Ausbeutung in der Textilindustrie.


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Wien. Er wurde bewusstlos geschlagen und erlitt eine schwere Kopfverletzung. Immer wieder erhält er Morddrohungen. Ath Thorn ist Präsident des kambodschanischen Gewerkschaftsbundes. Die kambodschanische Textilwirtschaft wächst rasant. An der Situation der Arbeiter hat sich aber nichts gebessert, seit sich die Produktion aus China zunehmend nach Kambodscha verlagert. Im Gegenteil: Laut einer Studie sinken Löhne und Sicherheitsvorschriften in Kambodscha sogar weiter, während sie in China, Indonesien und Vietnam steigen. Thorn organisiert Streiks, denen sich mittlerweile bis zu 400.000 der insgesamt 700.000 Textilarbeiter angeschlossen haben. Viele Kollegen des 36-Jährigen wurden verhaftet. Fabrikbesitzer fordern von Thorn über 700.000 Dollar Schadenersatz.



"Wiener Zeitung": Was gibt Ihnen die Kraft, unter solchen Bedingungen weiterzukämpfen?Ath Thorn: Ich habe viel gesehen während meiner Zeit als Arbeiter in einer Nähfabrik. Wir wurden unterdrückt, ausgebeutet und teilweise zum Arbeiten gezwungen. Wir wandten uns damals ans Arbeitsministerium, wurden aber abgewiesen. Ich habe dann Jus studiert und bin politisch aktiv geworden. Ich kann einfach nicht wegschauen, was mit meinen Kolleginnen und Kollegen passiert. Immer wieder gibt es Versuche, mich zu bestechen. Sie locken mit Geld und Führungspositionen. Wenn ich mit meiner Arbeit als Gewerkschafter aufhören würde, hätte ich keine Probleme mehr. Aber ich kann und will meine Kollegen nicht im Stich lassen.

Was fordern Sie?

Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn von 177 US-Dollar (138 Euro) pro Monat. So viel braucht man in Kambodscha, um überleben zu können. Derzeit beträgt der Mindestlohn 100 Dollar (78 Euro), die Konzerne sind bereit, auf 110 Dollar (86 Euro) zu erhöhen. Außerdem haben Arbeiter in Kambodscha absolut keine Rechte. Sie bekommen nicht die Feiertage oder Urlaube, die ihnen zustehen. Es ist Usus, Arbeiter nur leihweise anzustellen.

Wer könnte das ändern? Die kambodschanische Regierung oder die Konzerne, die unter solchen Bedingungen produzieren lassen?

Sowohl als auch. Die Konzerne respektieren die Gesetze nicht und die Regierung schaut weg. Regierungsbeamte unterstützen die Praktiken sogar teilweise. Regierung und Justiz sind korrupt, wir Gewerkschafter rechtlich machtlos. Nur über internationale Gewerkschaften oder mithilfe von NGOs wie der Clean-Clothes-Kampagne können wir Druck ausüben.

Die Konzerne sagen, dass sie auf die Praktiken ihrer Subunternehmer keinen Einfluss hätten.

Ja. Die Subunternehmer sind zu 90 Prozent Ausländer aus China, Taiwan oder Korea. Sie mieten die Gebäude und Geräte nur von den Fabrikbesitzern. Wenn es Probleme gibt, können sie sich schnell aus der Affäre ziehen. Auch wenn auf einem Label "Made in China" steht, wurde es oft in Kambodscha hergestellt. Denn der kambodschanische Mindestlohn liegt deutlich unter dem in China.

Halten Sie die Konsumenten für mitschuldig?

Nein. Denn selbst wenn die Konzerne die Arbeiter fair bezahlen würden, könnten sie die Kleidung im Westen zu niedrigen Preisen anbieten. Das sieht man daran, dass sie für Kleidungsstücke aus China und Kambodscha den gleichen Preis verlangen.