Zum Hauptinhalt springen

14-mal so viel für Besserverdiener

Von Martina Madner

Politik

Studie: Die Entlastung über das Abschaffen der Kalten Progression kostet zwei bis 4,1 Milliarden Euro.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Beide Parteien, ÖVP und FPÖ, haben im Wahlkampf versprochen, die Kalte Progression abzuschaffen. Genau das floss deshalb auch ins Regierungsprogramm der beiden ein, und zwar im "zweiten Schritt" nach einer Steuerreform 2020. Das stellte Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) einmal mehr klar - genauso wie, dass es keine Nachverhandlungen zum Budget mehr gebe.

Warum später? Weil die Steuerreform 2016 eine "sehr, sehr gute Wirkung erzielt", sie entlaste und stimuliere das Konsumverhalten, sagte Löger in der ORF-Pressestunde am Sonntag. Und weiter: Die Teuerung werde man mittels "2016er Steuerreform ergänzt um die 2020er in Form einer überdimensionalen Entlastung abgelten - und aus dem heraus werden wir 2022 die Kalte Progression sinnvoll abwenden."

"Das Abschaffen ist früher gar nicht notwendig, weil sie 2016 und 2020 auf null gestellt wird", ergänzt Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs (FPÖ) im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Warum dann überhaupt? "Die Kalte Progression ist etwas Unrechtmäßiges, eine Steuererhöhung ohne gesetzliche Grundlage."

Eine Kurzstudie zeigt allerdings, dass das Abschaffen der Kalten Progression den Staat teuer kommt und Bestverdiener am meisten davon profitieren.

Die Kalte Progression ist eine "schleichende Steuererhöhung"

Was bedeutet Kalte Progression überhaupt? Die Preise beim Einkaufen verteuern sich jährlich, damit ist die Inflationsrate gemeint. Ein Einkauf kostete im Juni 2017 im Vergleich zum Juni ein Jahr davor um 1,9 Prozent mehr Geld. Mit Lohn- und Gehaltserhöhungen wird den Beschäftigten zumindest diese Teuerung abgegolten. Die Tarifstufen im Steuersystem aber bleiben die gleichen: 11.000 Euro Einkommen sind aktuell steuerfrei, für jeden weiteren verdienten Euro bezahlt man 25 Prozent Steuer. Ab dem 18.000sten Euro sind 35 Prozent Steuer fällig, ab dem 31.000sten 42 Prozent und so weiter.

Das bedeutet, dass viele durch Lohn- und Gehaltserhöhungen wegen des dann höheren Jahreseinkommens in eine höhere Tarifstufe rutschen: "Die Steuerbelastung steigt im Vergleich zur Lohnerhöhung überproportional", erklärt Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Vorständin am Institut für Finanzrecht an der Universität Wien. "Die Kalte Progression ist also eine schleichende Steuererhöhung - politisch die angenehmste, weil sie ohne großes Trara mehr Geld in die Staatskasse spült."

Soll man sie abschaffen? "Wenn man mich als Steuerzahlerin und nicht als Steuerrechtlerin fragt: Ja", sagt Kirchmayr-Schliesselberger. Im Steuerrecht aber sieht sie den Reformbedarf an anderer Stelle dringlicher: "In den Eingangsstufen ist der Anstieg der Steuersätze sehr steil. Es wäre vernünftiger, diese zu senken." Wobei sie einräumt: "Das wäre aber auch das Teuerste überhaupt." Das bestätigt auch Wifo-Steuerexperte Simon Loretz - und rechnet vor, dass es nur bei einem Prozentpunkt weniger in der untersten Tarifstufe um 320 Millionen Euro geht, die der Staat weniger einnimmt. Der Grund: "Diese Stufe betrifft die meisten Einkommen." Denn 1,5 Millionen Steuerpflichtige haben ein Jahreseinkommen zwischen 11.000 und 18.000 Euro, würden dadurch durchschnittlich um 35 Euro weniger Steuern bezahlen. Weitere vier Millionen Steuerpflichtige mit einem Einkommen von 18.000 Euro und mehr ersparen sich 70 Euro jährlich. Wegen dieser enorm großen Gruppe kostet diese geringe Entlastung für den Einzelnen den Staat viel Geld.

Schweizer Modell kostetzwei Milliarden Euro

Im Abschaffen der Kalten Progression sieht Loretz zwei Vorteile: "Man nimmt der Regierung die automatische Steuererhöhung weg und die Steuerlast orientiert sich tatsächlich an der Wertsteigerung." Er sagt aber auch: "Es kostet auch relativ viel Geld." Wie viel genau, zeigt eine Anfragebeantwortung des Budgetdienstes an die Neos-Abgeordnete Karin Doppelbauer. Demnach nimmt der Staat durch die Kalte Progression zwischen 2017 und 2019 zwei bis 4,1 Milliarden Euro mehr Lohn- und Einkommenssteuer ein als ohne.

Zwei Milliarden Euro würde das Abschaffen kosten, wenn sich Österreich am Schweizer Einkommensteuermodell orientiert: Dabei werden sowohl die Tarifstufen als auch Abzüge, also Absetz- und Freibetrag, über einen Index, der sich an der Inflationsrate zentral orientiert, angepasst. In der Simulationsrechnung steigt die erste Tarifgrenze zum Beispiel von 11.000 auf 11.063 Euro an.

Im schwedischen Einkommensteuersystem fließt zusätzlich zur Inflationsrate ein fixer Aufschlag von zwei Prozentpunkten mit ein, um Lohnerhöhungen auszugleichen. Demzufolge wäre die Tarifstufe im ersten Jahr der Indexierung von 11.000 Euro auf 11.173 Euro angewachsen - und die Entlastung innerhalb von drei Jahren auf 4,1 Milliarde Euro.

Angesichts solcher Summen, "die sich die Finanzminister als Körberlgeld holen", sagt Doppelbauer: Damit werde zum Beispiel der Familienbonus gegenfinanziert: "Man finanziert also die Entlastung bestimmter Gruppen über die Belastung aller Steuerzahler." Trotzdem ist sie der Ansicht: "Das Abschaffen der Kalten Progression wäre von allen Entlastungsmöglichkeiten für die Bürgerinnen und Bürger die fairste."

Die Kurzstudie zeigt aber auch, dass durch das Abschaffen der Kalten Progression nach dem Schweizer Modell Menschen mit einem höheren Haushaltseinkommen deutlich mehr profitieren als jene mit einem geringeren: Konkret haben die 10 Prozent der Haushalte mit den geringsten Medianeinkommen von weniger als 12.000 Euro Jahreseinkommen in Summe nur um 1,6 Prozent vom Entlastungsvolumen von zwei Milliarden. Die 10 Prozent der Haushalte mit den höchsten Einkommen von 56.900 Euro und mehr aber profitieren von 22,1 Prozent.

Oder anders gesagt: Jemand mit dem österreichischen Bruttomedianeinkommen von 1932 Euro im Monat (rund 50 Prozent der Beschäftigten verdienen mehr, 50 Prozent weniger) erspart sich in drei Jahren 378 Euro, jemand mit 7000 Euro 812 Euro. Finanzstaatssekretär Fuchs sagt dazu: "Wenn jemand mehr Steuern zahlt, profitiert er auch mehr. Das ist ja logisch." Und: "Um es nochmals mit den Worten des Finanzministers zu erläutern: Wenn man die Busfahrkarte um zwei Euro günstiger macht, werde ich jenen, die gratis fahren, die zwei Euro auch nicht ausbezahlen."

Gestaltungsspielraum für Steuerpolitik wird kleiner

Das Abschaffen der Kalten Progression bringt aber auch Nachteile, sagt Wifo-Experte Loretz: "Man nimmt sich die Spielräume weg, Steuern zu gestalten." Die SPÖ formulierte deshalb in ihrem Wahlprogramm vorsichtig, dass man die Regierung zwar zu Gesetzesvorschlägen verpflichte, sagte aber auch: "Die SPÖ steht für automatische Steuersenkungen für TopverdienerInnen nicht zur Verfügung." Der Ausgleich der Kalten Progression solle die "einkommensspezifischen Effekte der Kalten Progression berücksichtigen".

Auch für Bruno Rossmann, Steuerexperte der Liste Pilz, ist der fehlende Spielraum für Steuerstrukturreformen - etwa zur Entlastung des Faktors Arbeit und um das System zu ökologisieren - der "schwerwiegendste Grund, bei der Abschaffung der Kalten Progression skeptisch zu sein". Außerdem kritisiert Rossmann: "Die Regierung tut so, als ob Steuerzahler nur jene sind, die Lohnsteuer zahlen."

Tatsächlich zeigt eine Studie von Stefan Humer und Mathias Moser von der Wirtschaftsuniversität Wien, dass die "Abgabenbelastung für niedrige Einkommen bei knapp unter 30 Prozent liegt", wenn man Sozialversicherung und Verbrauchssteuern mitberücksichtigt. Sie "steigt für sehr einkommensstarke Haushalte auf knapp 45 Prozent". Das oberster Prozent zahlt übrigens wieder nur 40 Prozent - einer der Gründe dafür: Steuervermeidungsmodelle.