Historikerkommission legt Bericht zu Wiener Straßennamen vor.
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Wien. Insgesamt 4379 personenbezogene Straßennamen wurden in den vergangenen zwei Jahren von einer Historikerkommission untersucht, 159 davon sind laut Studie "kritisch benannt". In 28 Fällen besteht "intensiver Diskussionsbedarf": Es handelt sich um Namen von Personen mit radikal antisemitischer und antidemokratischer Einstellung.
Die 350-Seiten-Studie soll Grundlage für eine öffentliche Diskussion sein, wie Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, Grün-Gemeinderat Klaus Werner-Lobo am Mittwoch bei der Präsentation der Studie erklärten. Empfehlungen für Umbenennungen wolle man aber vorläufig nicht abgeben, wurde betont.
"Das Instrument der Umbenennung bedeutet, die Geschichte auszulöschen", sagte Oliver Rathkolb, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Wien und Leiter der Historikerkommission. Die Kommission könne ohnehin nur anregen, denn eine Umbenennung bleibe letztlich Sache der Politik. Das habe man laut Rathkolb auch in der Lueger-Frage sehen können: Der Karl-Lueger-Ring wurde vergangenes Jahr in Universitätsring umbenannt.
Mailath-Pokorny und Werner-Lobo betonten, dass Umbenennungen generell nicht das Ziel sein sollten, aber ausschließen wollen sie dennoch nichts. So kann sich etwa Werner-Lobo einzelne Umbenennungen mit einem Hinweis auf den früheren Straßennamen durchaus vorstellen. Auch Rathkolb meinte, dass gerade bei den 159 als kritisch identifizierten Benennungen nicht zur Tagesordnung übergegangen werden sollte.
Künftig könnten laut Werner-Lobo erklärende Zusatztafeln zu den untersuchten Anschriften montiert werden - und das in enger Zusammenarbeit mit den Bezirken. Umgesetzt wird auf alle Fälle, dass das Online-Lexikon der Wiener Straßennamen mit Zusatzinformationen ausgestattet wird. Auch bei Denkmälern seien "künstlerische Interventionen" vorstellbar. Die öffentliche Diskussion soll aber nicht nur von der Stadt ausgehen, sondern auch in den Bezirken und von der Zivilgesellschaft angeregt werden, betonte Mailath-Pokorny. "Vermittlung ist wichtig, nicht der erhobene Zeigefinger", so der Stadtrat.
Bereits am 25. Juni war die Benennung von neuen Verkehrsflächen Thema im Wiener Gemeinderat. Es wurde einstimmig beschlossen, dass künftig bei historischen Persönlichkeiten eine Vorab-Prüfung stattfinden muss. So sollen etwa auch vermehrt Straßen nach Frauen benannt werden. Denn immerhin sind 92 Prozent der personenbezogenen Wiener Straßennamen männlich. Außerdem soll die Diversität Wiens - die Hälfte der Wiener haben Migrationshintergrund - in Straßennamen sichtbar werden.
Büchse der Pandora geöffnet
Zwei Jahre arbeiteten die Historiker Oliver Rathkolb, Birgit Nemec, Peter Autengruber (Verfasser des Lexikons der Wiener Straßennamen) und Florian Wenninger an dem Bericht. Sie untersuchten die Straßennamen Wiens seit 1860 als "politische Erinnerungsorte". "Insbesondere das 19. Jahrhundert wurde von der Geschichtswissenschaft lange verschlafen", sagte Rathkolb. Dabei sieht er in der Zeit von 1850 bis 1914 durchaus Parallelen zu heutigen Migrationsdebatten.
Für die Studie analysierte die Kommission nicht nur Sekundärliteratur, sondern forschte auch in Archiven in Wien und Berlin. 3,6 Prozent aller Straßennamen wurden als kritisch eingestuft und in drei Kategorien unterteilt: Fälle mit intensivem Diskussionsbedarf, Fälle mit Diskussionsbedarf und Fälle mit demokratiepolitisch relevanten biografischen Lücken. Das Budget für das Projekt betrug 70.000 Euro. "Wien ist die erste große Metropole, die die historische Büchse der Pandora öffnet", so Rathkolb. Er sieht den Bericht als offenes Projekt, das den ersten Schritt zu einer Publikation darstelle. Ein vergleichendes Forschungsprojekt Wien-Brüssel sei in Planung. Denn im Stadtplan der EU-Stadt Brüssel sei der belgische Kolonialismus eingeschrieben. Und es stelle sich die Frage wie Europa mit seiner Kolonialgeschichte umgehe, so Rathkolb.