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17 Tote bei Sturm auf Gefängnis

Von Ines Scholz

Politik

In der Türkei haben Dienstag Sicherheitskräfte 20 Gefängnisse gestürmt, um einen Hungerstreik von über 1.000 Häftlingen - die meisten sind kurdische oder linksgerichtete politische Gefangene - zu beenden. Mindestens 15 Insassen starben bei der Aktion: zwei von ihnen zündeten sich an, als die Polizei in die Zellen eindrang. Auch zwei sicherheitskräfte kamen ums Leben.


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In zwei Istanbuler Gefängnissen kam es zu blutigen Ausschreitungen, nachdem sich mehrere Insassen gegen die Erstürmung gewaltsam gewehrt hatten. Aus der berüchtigten Haftanstalt Bayrampasa stiegen Rauchwolken auf. Die von den Häftlingen errichteten Barrikaden wurden mit Bulldozern niedergefahren. Auch Schüsse waren zu hören. Augenzeugen berichteten, dass Teile des Gebäudes in Flammen standen. Nach CNN-Meldungen waren Polizeieinheiten noch am frühen Nachmittag damit beschäftigt, Bayrampasa unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch im Ulucanlar-Gefängnis wurde Widerstand geleistet. Die Haftanstalten wurden von Polizisten und Armeeeinheiten weiträumig abgesperrt; Journalisten wurde der Zugang verwehrt, entsprechend spärlich flossen auch die Informationen über die Lage. Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek, kritisierte die Errichtung sogenannter Sperrzonen. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit könnte es zu gewaltsamen Übergriffen an Häftlingen kommen, erklärte sie in einer Reaktion. Der Europarat forderte Ankara auf, die Aktionen gegen die Haftanstalten umgehend zu beenden und kündigte einen Besuch in den betreffenden Gefängnissen an.

Angst vor Folter

Die Häftlinge, die seit zwei Monaten jegliche Nahrungsaufnahme verweigern, protestieren gegen Pläne der türkischen Regierung, die üblichen, großen Schlafsäle aufzulösen und die Insassen in kleinere Zellen mit maximal drei Personen zu verlegen. Sie befürchten, dass sie dort der willkürlichen Folter und den psychischen Schikkanen der Gefängniswärter noch stärker ausgesetzt sind als in den Massenzellen, in denen bisher bis zu 100 Insassen untergebracht wurden. Die Regierung in Ankara verspricht sich von den neuen, sogenannten "Typ-F-Anstalten" mehr Sicherheit für die chronisch überfüllten Haftanstalten. Dem Treiben von Banden extremer Islamisten oder linker Gruppen in den Haftanstalten müsse Einhalt geboten werden, verlautet aus dem Justizministerium. Die neuen Hochsicherheits-Gefängnisse sind bereits fertig. In die Minizellen sollen künftig vor allem die rund 10.000 politischen Gefangenen einziehen.

"Man kann vom Staat nicht erwarten, dass er zusieht, wie die Menschen sterben", rechtfertigte Justizminister Hikmet Sami Türk die gestrige Stürmung. 147 Insassen seien zur Behandlung nach der Aktion ins Gefängnisspital gebracht worden, 20 befänden sich wegen des Hungerstreiks bereits in einem kritischen Zustand, hieß es.

Vermittler, die die Streikenden zur Aufgabe überreden wollten, hatten am Freitag ihre Gespräche mit den Protestierenden abgebrochen. Der türkische Menschenrechtsverein IHD warf der Regierung vor, viel zu spät, erst 50 Tage nach Beginn der Proteste, Vermittlungsgesprächen unter Einbindung des Anti-Folter-Komitees des Europarats eingewilligt zu haben.

Den Startschuss für die speziellen Einzelzellen-Gefängnisse (F-Typ) gab der Nationale Sicherheitsrat bereits am 28. Februar 1997. Laut IHD wurden in 37 E-Typ- und in 17 Spezialgefängnissen Abteilungen in Einzelzellen umgewandelt und 5 F-Typ-Gefängnisse neu errichtet. Der oberste Staatsanwalt, Vural Savas, wollte ursprünglich bereits im Mai 2000 mit den Verlegungen beginnen, der Termin wurde aber immer wieder verschoben, zuletzt wegen des Hungerstreiks. Nach dessen Beendigung steht seinem Plan wohl nun nichts mehr im Wege.