Kläger fordern 80 Mio. Euro Schadenersatz. | Verfahren kann Jahre dauern. | Frankfurt. Rund 17.000 enttäuschte Investoren, 2600 Einzelverfahren und 913 Anwälte: Am Montag begann am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt der größte Zivilprozess in der deutschen Justizgeschichte. Die Kläger fordern von der Deutschen Telekom AG Schadenersatz für Kursverluste in Millionenhöhe.
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Wegen des Wintereinbruchs mitten im hessischen Frühling begann der Musterprozess vor dem OLG Frankfurt mit einer Stunde Verspätung: Der Vorsitzende Richter Christian Dittrich saß bei dichtem Schneetreiben im Zug fest. Das Stündchen fällt wohl nicht ins Gewicht. Der für deutsche Verhältnisse einmalige Zivilprozess um Schadenersatz für den Wertverlust der T-Aktie könnte nach Ansicht des Klägervertreters Andreas Tilp zehn bis 15 Jahre dauern. Zähe Verhandlungen sind umso wahrscheinlicher, als ein Vergleichsversuch der Klägeranwälte zum Auftakt des Prozesses scheiterte. Tilp hatte den Vergleich auch mit Hinweis auf die USA gefordert. Dort hatte sich die Deutsche Telekom 2005 mit Anlegern auf eine Zahlung von 120 Mio. Euro geeinigt. Die 17.000 deutschen Kläger fordern dagegen nur 80 Mio. Euro Schadenersatz.
Die Telekom begründet ihr Vorgehen in den USA damit, man habe sich nicht den Unwägbarkeiten der US-Geschworenengerichtsbarkeit aussetzen wollen. In Deutschland fühlt sich der ehemalige Staatskonzern offenbar sicher vor Ansprüchen von Kleinanlegern.
Streit um Immobilienbewertung
OLG-Richter Dittrich wird nun akribisch prüfen, ob die Telekom mit ihren Prospekten zu den Börsegängen 1999 und 2000 falsche und unvollständige Angaben gemacht hatte, was die Kläger behaupten. Sie sind wütend, dass die im Juni 2000 beim dritten Börsengang zum Kurs von 66,50 Euro ausgegebenen Aktien nach zwei Jahren nur mehr 8,14 Euro wert waren und gegenwärtig auch nur bei knapp über elf Euro dahindümpeln.
Zunächst geht es um den Kauf des US-Mobilfunkbetreibers VoiceStream durch die Telekom. Die Investition von 34 Mrd. Euro für den damals größten Handy-Netzanbieter der USA hatte sich im Nachhinein als sehr hoch herausgestellt. Die Unternehmensführung hatte die Kaufpläne beim dritten Börsengang im Jahr 2000 nach Auffassung der Kläger bereits fertig in der Schublade und hätte mögliche Aktienkäufer darüber informieren müssen. Eine wichtige Rolle wird in dem Prozess auch die Frage spielen, ob die Telekom ihre Immobilien vor der Aktienausgabe im Juni 2000 bewusst überbewertet hat. Tatsächlich hatte der Konzern diesen Posten nur ein Jahr nach Erstellung des Prospekts um 2,5 Mrd. Euro nach unten korrigieren müssen.
Wegen dieses wunden Punktes hat die Telekom nach Darstellung der Kanzlei Tilp bereits einen Strategiewechsel vorgenommen. Die ehemals massiv beworbene "Volksaktie" soll eine hochspekulative "New Economy"-Aktie gewesen sein, mokieren sich die Kläger-Anwälte. Bei solcher Einstufung spielt der Wert des Immobilienvermögens keine Rolle. Ex-Telekom-Chef Ron Sommer, der in Frankfurt als Zeuge gehört werden soll, hatte die Anleger-Zielgruppe im Juni 2000 allerdings anders definiert. "Wir arbeiten nicht für den Tagesspekulanten, wir arbeiten für den langfristigen Anleger", zitierte ihn der Fernsehsender ZDF am Montag.