Michael Enzinger wird heute im Rahmen des Österreichischen Juristentages zur Reform des Gewährleistungsrechts referieren. Als Rechtsanwalt und Dozent am Institut für Handelsrecht der Universität Wien ist Enzinger gleichermaßen ein Mann der Praxis wie der Theorie. Der "Wiener Zeitung" verriet Enzinger schon im Vorfeld, welche Aspekte er für seinen Vortrag herausgreifen wird.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wiener Zeitung: Herr Dozent, welche Aspekte der anstehenden Reform des Gewährleistungsrechtes werden Sie in Ihrem Referat behandeln?
Enzinger: Zum einen geht es um die geplante Vereinheitlichung des österreichischen Gewährleistungsrechts. Wir sind in diesem Rechtsbereich mit einer unabsehbaren Fülle an anzuwendenden Vorschriften konfrontiert: Werkvertrag und Kaufvertrag, bewegliche und unbewegliche Sachen sind im Gewährleistungsbereich völlig unterschiedlich geregelt.
"Richtlinie kann Anstoß für Deregulierung sein"
Es stellt sich nun die Frage: Lohnt es sich für ein Thema solch einen immensen Aufwand zu betreiben? Sind die Unterschiede sachlich gerechtfertigt oder trägt das alles nur zu einer gesteigerten Rechtsunsicherheit bei. Es geht mir um die Aufarbeitung der Frage, inwieweit die Richtlinie Anstoß für eine Deregulierung sein kann. Und inwieweit eine Deregulierung hier Sinn macht.
W. Z.: Wo sehen Sie Möglichkeiten für eine "vernünftige" Deregulierung?
Enzinger: Zum Beispiel in der Angleichung der Gewährleistungsfristen. Wir brauchen eine einheitliche Lösung, die für sämtliche Kaufvertragsarten geeignet ist.
"Immenser Rechtsaufwand durch ungleiche Fristen"
Abgesehen vom immensen Rechtsaufwand, sind zum Beispiel die unterschiedlichen Fristen bei beweglichen und unbeweglichen Sachen heute nicht mehr logisch erklärbar. Früher hat man argumentiert: Grundstücke, Häuser sind mehr wert als mobile Gegenstände, deswegen braucht man eine längere Frist - in Wirklichkeit ist das nicht sinnvoll. Denn erstens ist das kein Sachargument, zweitens stimmt das heute auch nicht mehr.
W. Z.: Wie lang sollte diese Frist für alle Kaufverträge sein?
Enzinger: Ein Jahr, zwei, oder drei, eigentlich ist das eine reine Geschmacksfrage. Persönlich würde ich denken, zwei Jahre sind der goldene Mittelweg...
W. Z.: Die Frist gilt dann für alle Arten von Kaufverträgen. Also auch bei Verträgen zwischen Privaten. Heißt das etwa, dass ich, wenn ich mein Auto privat verkaufe, meinem Gegenüber zwei Jahre lang für etwaige Mängel einzustehen habe?
Enzinger: Das ist grundsätzlich richtig.
W. Z.: Belastet das nicht die Geschäfte im privaten Bereich?
Enzinger: Kaum, in einer Sparte wie dem Autokauf haben sich ja Vertragsklauseln - wie zum Beispiel "besichtigt und probegefahren" - herausgebildet, die das Gewährleistungsrecht anpassen oder ausschließen. Es gibt die Vertragsschablonen von den Autofahrerclubs. Im privaten Bereich sind die Gewährleistungsvorschriften nicht zwingend.
W. Z.: Aber wer so eine Klausel oder einen Mustervertrag nicht verwendet, der hängt zwei Jahre drin?
Enzinger: Man darf nicht vergessen, dass die Gewährleistung den Käufer schützen soll. Es kann nicht sein, dass der Käufer, wenn er beim Privaten kauft, weniger schutzwürdig ist, als beim Kauf im Autosalon.
W. Z.: Welche Aspekte der Reform werden Sie in Ihrem Referat noch hervorstreichen?
Enzinger: Ich werde mich der Untersuchung der Einführung einer Rügepflicht widmen. (Rügepflicht bedeutet, dass der Käufer, wenn er einen Mangel am Kaufgegenstand feststellt, den Mangel alsbaldigst beim Gewährleistungspflichtigen anzeigen muss. Macht er dies nicht, und wartet er nach dem Auftreten des Mangels zu lange - hat er sein Gewährleistungsrecht verloren. Anm. d. Red.) Die EU-Richtlinie stellt den Staaten nämlich frei, eine solche einzuführen. Ich bin der Ansicht, dass man umso eher eine Rügeobliegenheit - wie im Handelsrecht - braucht, je länger man die Gewährleistungsfrist ansetzt.
"Rügeobliegenheit
verstärkt Rechtssicherheit"
Im Unterschied zum Handelsgesetzbuch, sollte man bei der Reform des ABGB für die Einbringung der Rüge nicht Unverzüglichkeit, sondern eine Frist von - sagen wir - zum Beispiel zwei Monaten festsetzen.
W. Z.: Bedeutet die Einführung der Rügeobliegenheit nicht de facto eine Reduktion des Verbraucherschutzes, weil der Kunde sein Gewährleitungsrecht verliert, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten den Mangel anzeigt?
Enzinger: Das sehe ich nicht so. Eher wird die Rügeobliegenheit die Rechtssicherheit der Kunden stärken. Es weden täglich viele Prozesse mit ungewissem Ausgang geführt.
"Menschen werden in
Streitereien getrieben"
Allzu oft werden die Menschen in gerichtliche Streitereien getrieben, die sie nie gewinnen können. Selbst ein Fachmann kann im Vorhinein nie mit absoluter Sicherheit sagen, ob ein Prozess gewonnen werden kann, oder nicht. Mit der Rügepflicht haben wir eine Fallfrist, die viele unnötige Prozesse schon im Ansatz verhindern wird.
W. Z.: Wir danken für das Gespräch.