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2000-"Overkill" erschreckt viele Amerikaner

Von Thomas Burmeister

Wirtschaft

Die Luft ist raus. Seit Monaten laufen die Countdown-Uhren, die Werbe-Kampagnen, die Jahrtausend-Rückblicke. Jetzt geben ausgerechnet in New York, wo rings um den Times Square das "größte | Straßenfest aller Zeiten" zur Begrüßung des neuen Millenniums organisiert wird, immer mehr Veranstalter auf.


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Selbst eine der exklusivsten Feten in der "Hauptstadt der Welt" - so das bis vor kurzem ungetrübte Selbstverständnis der New Yorker - wurde inzwischen abgesagt. Auch ein Star-Aufgebot von Aretha

Franklin, Tom Jones und Chuck Berry bis zu Sting, Enrique Iglesias und Andrea Bocelli reichten nicht aus, um genügend zahlende Gäste in die Hallen des riesigen Jacob-Javits-Center unweit des Times

Square zu locken.

Eintrittspreise von 1.000 Dollar (13.562 Schilling) aufwärts hielt Veranstalter Steve Leber vor sechs Monaten noch für "problemlos erzielbar". Nun musste er mangels Nachfrage absagen und steht mit

einem Schuldenberg von mehreren hunderttausend Dollar allein für die Miete des Javits-Center an Manhattans West Side da. Viele Shows und Hotel-Betten sind inzwischen für weniger als die Hälfte der

ursprünglich geforderten Preise zu haben.

Nicht nur Pamela Anderson, berühmt geworden als Busenstar in der Serie "Bay Watch", hat die Nase voll vom Millennium-Rummel. "Ich werde nirgendwo anders feiern, als in unserem Haus in Los Angeles,

mit meinen Kindern und meinem Mann." Auch die übergroße Mehrheit der einfachen Amerikaner wird zu Silvester nicht ausgehen.

Richard Wiley zum Beispiel denkt gar nicht daran, "hunderte Dollar zum Fenster hinaus zu werfen". Dabei wohnt er nur Minuten von einem der Zentren des amerikanischen 2000-Wirbels entfernt - in Las

Vegas. "Was soll mir dieser Strip-Show-Nonsens bringen?" war sein Kommentar bei einer kürzlichen repräsentativen Umfrage zu den Silvester-Plänen der Amerikaner. "Den kann ich hier auch sonst immer

haben."

72% aller befragten US-Bürger sagten den von CNN und dem Magazin "Time" beauftragten Meinungsforschern, sie dächten gar nicht daran, in der Nacht zum 1. Jänner 2000 "irgend etwas Besonderes zu

unternehmen". Sogar mehr als in früheren Jahren wollen zu Hause feiern.

"Overkill" nennt man in der Sprache der Militärs, was die unzähligen profitbesessenen 2000-Apologeten in den letzten Monaten, sicherlich nicht nur in Amerika, betrieben haben - ein "gefährliches

Übermaß". Weniger die Angst vor Katastrophen durch den denkbaren Zusammenbruch von Computer-Systemen in Folge des Y2K-Problems lasse immer mehr Menschen zurück schrecken, stellte "Time" in

einer Analyse fest. "Die Kommerzialisierung lässt das Ganze immer trivialer erscheinen."

Von Boston bis Los Angeles berichteten Psychiater in den letzten Wochen über einen spürbar größeren Zulauf. "Jedes Jahr um diese Zeit", sagt ein Seelen-Doktor in New York, "ist das so, aber diesmal

fragen sich viel mehr Menschen, was eigentlich nach Mitternacht in ihrem Leben besser oder wenigstens anders sein wird?"

Dennoch dürfte New York City eine der größten Open-Air-Parties des weichenden und vielleicht auch des neuen Jahrhunderts erleben. Zwei Millionen Menschen, so rechnen die Organisatoren von "Times

Square 2000", dürften sich während der 24-stündigen Fete rings um den Platz tummeln " der Eintritt ist frei.

Die meisten von ihnen werden allerdings keine Einwohner von Manhattan, sondern Besucher aus anderen Teilen der USA und der ganzen Welt sein. "Echte" New Yorker rümpfen traditionell die Nase über "The

Crowd". Die "Menge" - das sind die stets mit Kameras bewaffneten und nach oben, zur Spitze der Wolkenkratzer schauenden Touristen, die das Gebiet rings um das "Herz des Broadway" verstopfen.