Nazis töteten mehr als 200.000 Menschen als "unwertes Leben". | Vier Transporte in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. | Hall/Wien. "Infolge kriegswichtiger Maßnahmen wurde auf Anordnung des zuständigen Herrn Reichsverteidigungskommissars (.. .) in eine andere Anstalt verlegt. Über die Ankunft des Kranken erhalten Sie von der aufnehmenden Anstalt unverzüglich Nachricht." Der Brief, datiert mit "Solbad Hall, am 10. 12. 1942" ist nur einer von vielen. Es waren diese Schreiben, mit denen die Nationalsozialisten die Ermordung von mehr als 200.000 Menschen als "unwertes Leben" zu verschleiern versuchten.
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Auf dem alten Anstaltsfriedhof der Psychiatrie in Hall in Tirol wurden nun die Überreste von 220 Menschen gefunden, die dort zwischen 1942 und 1945 bestattet wurden. Laut der Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH Tilak "besteht der Verdacht, dass die Toten, zumindest teilweise, Opfer des NS-Euthanasieprogramms sind".
Unter dem euphemistischen Titel "Euthanasie" - übersetzt "schöner Tod" - ermordeten die Nationalsozialisten teils noch vor Beginn der Massentötungen in den Konzentrationslagern jene Menschen, die in ihr rassenhygienisches Weltbild schlicht nicht hineinpassten: Behinderte, Kranke, Juden. Ziel war die Eliminierung "minderwertigen Erbguts" aus dem Gen-Pool der deutschen Herrenrasse.
Seinen Anfang nahm das industrielle Töten 1939 mit der sogenannten Kindereu thanasie, in deren Rahmen missgebildete Neugeborene, später auch ältere Kinder ermordet wurden. In der "Kinderfachabteilung" am Spiegelgrund in Wien Penzing fanden unter der Ägide von Heinrich Gross etwa 800 Kinder durch Medikamente und Vernachlässigung einen qualvollen Tod. Gross wurde nie verurteilt.
"T4", "14f13" und"wilde Euthanasie"
1940 startete die "Aktion T4", benannt nach der organisatorischen Zentrale in der Berliner Tiergartenstraße Nummer 4. Hier kam die perfide Tötungsbürokratie der Nationalsozialisten besonders stark zum Ausdruck: Die Opfer wurden von "Heil- und Pflegeanstalten für Geistes- und Nervenkranke" in eine der sechs Tötungsanstalten im Deutschen Reich - etwa jene im oberösterreichischen Hartheim - verbracht.
Die Angehörigen wurden über eine "Verlegung aus kriegswichtigen Gründen" informiert. Statt der angekündigten Information von "der aufnehmenden Anstalt" folgte einige Zeit später eine knappe Todesnachricht aus einem der Standesämter, die extra für diesen Zweck in den Tötungsanstalten eingerichtet worden waren - als Todesursache wurde meist eine Lungenentzündung angegeben. Doch dieses System war allzu durchsichtig. Weil immer mehr Angehörige den vorgeschobenen Argumenten keinen Glauben mehr schenken wollten, wurde die Aktion 1941 wieder abgebrochen - in nur zwei Jahren fielen laut dem Historiker Wolfgang Neugebauer rund 70.000 Menschen der "Aktion T4" zum Opfer.
In Hall waren es, wie der Innsbrucker Historiker Oliver Seifert schreibt, rund 360 Menschen. Sie wurden in drei Transporten zwischen Dezember 1940 und Mai 1941 nach Hartheim deportiert, im August 1942 - also nach dem offiziellen Ende von "T4" - ging noch ein Transport nach Niedernhart bei Linz.
In Hartheim wurden laut Neugebauer auch bis zu 9000 geistig Gesunde ermordet: Die Opfer der "Aktion 14f13". Unter diesem Aktenzeichen wurden ab 1941 nicht mehr arbeitsfähige Konzentrationslager-Häftlinge in den Tötungsanstalten ermordet.
Untersuchung der Opfer soll Klarheit bringen
Nach dem Ende der "Aktion T4" begann die "wilde Euthanasie". Ab 1942 wurden die Insassen der einzelnen "Heilanstalten" durch gezielte Vernachlässigung und Verhungernlassen ermordet. So auch in Hall: "Mehr als 400 Menschen überlebten den Anstaltsaufenthalt als Folge von Hunger und Unterernährung nicht", so Seifert. Hinweise auf gezielte Tötungen durch Medikamente in Hall gebe es bisher aber nicht.
Wie die nun gefundenen Menschen zu Tode kamen, soll ab März eine Untersuchung zeigen. Ein Bauprojekt auf dem alten Friedhof hat die Tilak jedenfalls vorerst gestoppt.