TV-Sender bekam Akten von 22.000 mutmaßlichen IS-Mitgliedern aus mehr als 50 Staaten.
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Damaskus/Riad/Teheran. "Willst du ein Mitglied der Miliz Islamischer Staat werden, musst du dich registrieren und 23 schriftliche Fragen beantworten", erklären die Kommandanten der Registrierungsstelle jedem Freiwilligen, der in die IS-Hochburg Raqqa will. Die Warteschlangen an den "IS-Grenzen" in Syrien sind Augenzeugenberichten zufolge nach wie vor sehr lange.
Die Terrormiliz "Islamischer Staat" verfügt offenbar über einen riesigen internen Kontroll- und Verwaltungsapparat. Die Fragen der sogenannten General-Grenzverwaltung behandeln neben Namen, Kampfnamen und letztem Wohnort auch detaillierte Informationen zu Schleusern, Angehörigen, Blutgruppe, Bürgen, Beruf, Ausbildung und Dschihad-Vorerfahrung. Die Einreisenden werden zudem aufgefordert anzugeben, ob sie als Kämpfer oder Selbstmordattentäter eingesetzt werden wollen. So jedenfalls lautet die Prämisse beim Rekrutierungsverfahren der sunnitischen Terrororganisation. Aus Angst, abgelehnt zu werden, geben nicht alle Antragssteller ihre Nationalität preis.
Heikle Daten von ehemaligem IS-Kämpfer gestohlen
Bekannt geworden ist all das knapp fünf Jahre nach dem Beginn des Bürgerkriegs in Syrien. Der TV-Sender Sky News hat nach eigenen Angaben Daten über 22.000 IS-Kämpfer aus mehr als 50 Staaten erhalten. Damit weitet sich das vor wenigen Tagen bekannt gewordene Leck in der radikal-islamischen Miliz massiv aus. Die Informationen seien Sky News von einem enttäuschten ehemaligen IS-Anhänger zugespielt worden, teilte der britische Nachrichtensender am Donnerstag mit. Auch andere Medien hatten bereits davon berichtet, sensible und als "geheim" eingestufte Daten zugespielt bekommen zu haben. Die heiklen Akten sollen dem Chef der internen Sicherheitsabteilung des IS von einem ehemaligen Kämpfer gestohlen worden sein. Der Mann nenne sich Abu Hamed und sei von den syrischen Rebellen zu der Terrormiliz übergelaufen. Er habe dem Terrornetzwerk vor kurzem enttäuscht den Rücken gekehrt, weil die Organisation sich nicht an die islamischen Regeln halte, an die er glaube.
Die Unterlagen geben aber auch andere Einblicke: Unter jenen Männern, die sich zu Selbstmordattentaten bereiterklärt hatten, befinden sich offenbar viele, die gleich mehrfach unbehelligt durch "Risikoländer" wie den Jemen, Libyen, Pakistan und Afghanistan gereist sind. Da sie aber nicht kontrolliert und überwacht wurden, konnten sie im syrischen Bürgerkrieg kämpfen und danach wieder in ihre Heimatländer zurückkehren.
Genau solche kampferprobten und radikalisierten Rückkehrer fürchten auch die europäischen Staaten. Daher könnten die neuen Dokumente bei der künftigen Fahndung von großem Nutzen sein. Vor wenigen Tagen hatte auch das deutsche Bundeskriminalamt bestätigt, dass den Medien zugespielte Daten über IS-Unterstützer in Deutschland als authentisch eingestuft werden.
Sie sind offenbar Teil jener größeren Datei, die Sky News nun erhalten hat. Laut "Daily Mail" ist bis jetzt bekannt, dass von den Kämpfern 485 aus Saudi-Arabien, 375 aus Tunesien, 140 aus Marokko, 101 aus Ägypten, 35 aus Frankreich, 18 aus Deutschland, 16 aus Großbritannien und vier aus den USA stammen. Weitere 126 kommen aus dem Libanon, Belgien, Australien, den Niederlanden, Russland und Afghanistan. Vorerst war nicht klar, ob sich auf der Liste auch Österreicher finden. Medienberichten zufolge taucht in den Akten auch ein Österreicher auf, der den Kampfnamen "der Österreicher" (Al-Namsi) trägt und als Bürge für deutsche Dschihadisten fungiert haben soll.
Aus dem österreichischen Innenministerium hieß es auf Anfrage der "Wiener Zeitung", dass man "mit den Behörden auf europäischer Ebene in Kontakt ist und aus ermittlungstaktischen Gründen keinen Kommentar zur Angelegenheit abgeben will". Der Sprecher ergänzte, dass es auch keine Stellungnahme über Maßnahmen geben werde, sollten sich Österreicher auf der Liste befinden.
Riad stellt Bedingungen fürAussöhnung mit Teheran
Indes gab es versöhnliche Töne zwischen den beiden Erzrivalen Saudi-Arabien und dem Iran, die in Syrien und der Region einen Stellvertreterkrieg um die Vorherrschaft im Nahen und Mittleren Osten führen. Riad hat sich erstmals seit Monaten zu einer Aussöhnung mit Teheran bereiterklärt, wenn die Islamische Republik ihre "Politik der Einmischung" in der Region aufgebe. Im selben Atemzug bekräftigte der saudi-arabische Außenminister Adel al-Jubeir aber den Vorwurf, Teheran verfolge eine "konfessionelle Politik" und unterstütze "terroristische Zellen" in der Region.
In den Konflikten in Syrien und im Jemen stehen Riad und Teheran auf entgegengesetzten Seiten. Auch im Irak und im Libanon unterstützen sie unterschiedliche Parteien. Teheran wirft seinem Rivalen vor, durch die Förderung einer extrem konservativen Auslegung des sunnitischen Islam Extremistengruppen den Boden zu bereiten.