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23-Jährige soll die Ukraine entfilzen

Von Alexander U. Mathé

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Anna Kalintschuk ist neue Direktorin der ukrainischen Lustrationsbehörde.


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Wenn man einen 27-jährigen Außenminister sehen durfte, sollte eine 23-Jährige in politischer Top-Position eigentlich auch nicht mehr überraschen. Anna Kalintschuk wurde am Dienstag zur Direktorin der ukrainischen Lustrationsbehörde ernannt. Dieses dem Justizministerium unterstehende Amt kümmert sich darum, politisch belastete Mitarbeiter aus dem Öffentlichen Dienst zu entfernen - ganz so, wie es bei den Maidan-Protesten gefordert worden war. Auch wenn Kalintschuks bisherigen Referenzen durchaus gut sind, so lässt die gemutmaßte mangelnde Erfahrung manche Kommentatoren an ihrer Durchschlagskraft zweifeln. Am 22. Juni 1993 in Borislau in Lemberg geboren, war Kalintschuk offenbar ein gewisser Gerechtigkeitssinn in die Wiege gelegt. Ihr ehemaliger Klassenvorstand sagte, dass Anna stets einen Faible für Ukrainisch, Literatur und Rechtswesen gehabt habe, berichtet die russische Zeitung "Komsomolskaja Prawda". Unter den Schülern sei sie sehr angesehen gewesen und habe als gesellig und fair gegolten. Später studierte sie Jus an der Universität Ostroger Akademie, also an jener traditionsreichen Hochschule, die im 16. Jahrhundert entstand und 1994 neu gegründet wurde. Mit dem Abschluss des Studiums hat sie das grundsätzliche Rüstzeug für ihre neue Position in der Tasche. Noch dazu, wo sie gemeinsam mit ihrer Vorgängerin hart gearbeitet hat, um dieses Amt überhaupt erst einmal zu schaffen. Zwei Jahre lang war sie dort Stellvertreterin (was dann doch für ein bestimmtes Maß an Erfahrung spricht), nun ist sie die Chefin. Tausende Beamte wurden in der Vergangenheit bereits entlassen oder mit einem Berufsverbot in der Regierung belegt. Betroffen von den Lustrationen sind Schätzungen zufolge fast eine Million Staatsangestellte, die ihre Arbeit verlieren könnten. Kritisiert sei sie für den Schritt an die Spitze genug worden, erklärt sie. "Zu jung" und "zu unerfahren" seien die üblichen Vorwürfe gewesen, die man in den sozialen Netzwerken nachlesen kann. Ihre "Facebook"-Seite sei von der Presse bis ins Jahr 2013 zurück bis ins kleinste Detail untersucht worden. Kalintschuks Reaktion lässt aber bereits eine gewisse Abgebrühtheit erahnen, die die meisten ihrer Kritiker wohl nicht vermutet hätten. "Ich war darauf vorbereitet", sagte Kalintschuk. Dieses Verhalten sei vorhersehbar und etwas anderes zu erwarten wäre naiv gewesen. Noch dazu wo sie nicht die erste junge Frau ist, die einen hohen Posten in der ukrainischen Verwaltung erhält. Kurz zuvor war die 24-jährige Anastasia Dejewa zur stellvertretenden Innenministerin ernannt worden. (Im Gegensatz zu ihr kursieren von Kalintschuk aber immerhin keine Nacktfotos im Netz.) Dabei sind die beiden die Offenbarung eines ukrainischen Problems: Nach Verjagung der alten Eliten ist nur noch junges Material übrig, das nicht selbst korruptionsverdächtig ist. Das zeigt auch ein Blick ins Kabinett: Die Mehrheit der ukrainischen Minister befindet sich in ihren frühen 40ern. Der Premierminister selbst ist 38 Jahre alt. Ihr junges Alter und die vergleichsweise geringe Erfahrung geben Kalintschuk immerhin einen kleiner Vorteil: Sie ist wohl noch zu jung, um mit den mafiösen Strukturen verbandelt zu sein, gegen die sie vorgehen soll. Stellt sich allerdings die Frage, ob sie schon alt genug ist, diesen auch künftig zu widerstehen.