In der Chronik dieses Jahrhunderts müßte der 28. Juni mit tiefschwarzen Balken der Trauer umrandet sein. Im Abstand von nur fünf Jahren änderte dieses Datum die Geschichte Deutschlands, Europas | und der Welt nachhaltig. Am 28. Juni 1914 geschah das Attentat von Sarajewo. Damals fielen die Schüsse, die einen Monat später den Ersten Weltkrieg auslösten. 1919 mußte Kriegsverlierer Deutschland | die Friedensbedingungen von Versailles unterzeichnen, die schließlich den Weg ins globale Inferno des Zweiten Weltkriegs bereiteten.
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Der Tod des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie in der Hauptstadt Bosniens sorgte zwar für ein politisches Erdbeben in der Habsburger-Monarchie,
erschütterte aber zunächst Europa nicht nachhaltig. In London und Paris sah man in der Mordtat eines jungen serbischen Nationalisten eher ein "Lokalereignis". Das britische Kabinett befaßte sich
sogar erst fast vier Wochen später mit den internationalen Folgen.
Kaiser Franz Joseph suchte schnell Beistand bei Kaiser Wilhelm II. in Berlin für seine Strafaktion zur "Isolierung und Verkleinerung Serbiens". Der deutsche Kaiser stellte sich in Nibelungentreue,
wie Kritiker anmerkten, sofort an die Seite Österreich-Ungarns. Er nutzte nicht einmal in Ansätzen die gegebenen Möglichkeiten eines mäßigenden Einflusses.
Wien mußte im Krieg gegen den Balkanstaat mit einem Eingreifen Rußlands rechnen, das sich als Schutzpatron aller Slawen sah. Der Zar in Moskau verließ sich seinerseits auf aktive Hilfe seines
Verbündeten Frankreich.
Paris setzte auf Großbritannien, das sich in einem maritimen Rüstungswettlauf mit dem Kaiserreich Deutschland befand. Berlin, das sich zum Mißvergnügen Londons sehr stark im Osmanischen Reich
engagierte, durfte Unterstützung durch das Sultanat am Bosporus erwarten.
In dieser politisch-militärischen Situation Europas erklärte Österreich dem Königreich Serbien genau einen Monat nach dem Attentat von Sarajevo den Krieg. Dieser riß alle anderen Mächte des
Kontinents schneller als erwartet in seinen Sog. Großbritannien und Frankreich wollten nach Feststellungen von Historikern noch eine friedliche Lösung des Konflikts auf dem Balkan herbeiführen, durch
ein Schiedsgericht oder eine Konferenz. Die Bemühungen blieben jedoch ergebnislos.
Die Soldaten der Nationen zogen begleitet vom Jubel der Zivilbevölkerung optimistisch in den Krieg, besonders die von Geistlichen aller Konfessionen gesegneten Truppen des deutschen Kaisers. Man
rechnete überall mit kurzen Waffengängen. Es entwickelte sich in den folgenden 49 Monaten der erste moderne Krieg mit dem Einsatz von gigantischen Schlachtschiffen, U-Booten, Giftgas, Panzer und
Flugzeugen sowie einer dank der Eisenbahn nahezu perfekten Nachschub-Logistik.
Die erste politische Rechnung folgte am 28. Juni 1919. Der Vertrag von Versailles diktierte dem Verlierer Deutschland und seinen Verbündeten die Alleinschuld an dem Krieg. Über die Bedingungen gab es
keine Verhandlungen. Unter Protest unterschrieb die Delegation aus Berlin nach einer Kriegsdrohung der Siegermächte das Papier. Später folgten die Friedensverträge mit den anderen unterlegenen
sogenannten Mittelmächten (mit Österreich in St. Germain am 10. September 1919). Zwischen Deutschland und Sowjetrußland bestand schon seit März 1918 ein · ausgehandelter · Friedensvertrag.
Das einstige Kaiserreich verlor ein Achtel seines besonders an Rohstoffen reichen Territoriums und alle Kolonien. Die Sieger beschränkten die Streitkräfte und die Rüstung der Großmacht auf das Niveau
eines Kleinstaates und verpflichteten Deutschland zur Zahlung von Reparationen in astronomischer Höhe.
Die nachhaltigen politischen Folgen des 28. Juni von Sarajevo und von Versailles zeichneten sich bald ab. Das aus damaliger Sicht durchaus solide Ordnungssystem Vorkriegseuropas war zerstört. In
Rußland herrschten die Bolschewiken. Die Habsburger-Monarchie bestand nicht mehr, auf ihrem einstigen Territorium lagen nun mehrere neue Nationalstaaten. Deutschland suchte als Republik eine neue
Zukunft.
Großbritannien blieb stärkste Seemacht. Frankreich durfte sich vor allem politisch gestärkt sehen, denn die härtesten Formulierungen im Friedensvertrag für den "Erbfeind" Deutschland stammten aus der
Feder französischer Politiker. Für die USA bedeutete ihr Eingreifen auf dem europäischen Schlachtfeld den Aufstieg zur größten Wirtschaftsmacht. Japan als Kriegsgegner Deutschlands galt fortan als
politischer Faktor im Fernen Osten.
Das größte Krisenpotential konzentrierte sich jedoch in Deutschland, das sich verzweifelt gegen die Konsequenzen des diktierten Friedens wehrte. Die strikte Durchsetzung der Reparations-Forderungen
durch Frankreich und Belgien lähmten die nationale Wirtschaft. Es herrschten teils bittere Armut und soziale Unsicherheit. Angesichts einer schwachen Zentralgewalt machten sich politischer Terror und
Demagogie von rechts und links öffentlich breit.
Eine Partei des rechtsgerichteten Spektrums erhob immer lauter ihre Stimme vor allem gegen das "Friedens-Diktat" und erhielt Zulauf aus der Bevölkerung: Die Nationalsozialistische Deutsche
Arbeiterpartei (NSDAP) Adolf Hitlers. Dreizehn Jahre und sieben Monate nach Versailles war Deutschland Diktatur, die die Welt in den Zweiten Weltkrieg führte.