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30 Jahre nach dem ersten Versuch

Von Simon Rosner

Politik

Alexander Van der Bellen steht in der Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl.


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Wien. Die Stichwahl war das große Ziel - vor 30 Jahren. Im Jahr 1986 hatte sich Freda Meissner-Blau für das Bundespräsidentenamt beworben, holte 5,5 Prozent der Wählerstimmen und erzwang damit eine Stichwahl zwischen Kurt Waldheim und Kurt Steyrer. Nur 1951, als die Zweite Republik ihren ersten gewählten Präsidenten erhielt, war das noch der Fall gewesen. Die Stichwahl damals war daher eine kleine Sensation.

Wie Meissner-Blau war diesmal auch Alexander Van der Bellen zwar unzweifelhaft als Grüner, jedoch als selbst deklarierter unabhängiger Kandidat ins Rennen gegangen. Und wie damals war auch diesmal die Stichwahl das Ziel. Aber anders, denn diesmal sollte erstmals ein Grüner ins Duell um das höchste Amt gelangen. Die Rahmenbedingungen waren wohl nicht schlecht, jedenfalls besser als bei Meissner-Blau, denn damals waren die Grünen noch nicht einmal im Parlament.

Auf der anderen Seite hatten die Grünen bei Nationalratswahlen nie mehr als 12,4 Prozent erreicht (2013). Für eine Stichwahl bedurfte es daher einer Verdoppelung, womit auch klar war, dass Van der Bellen viele Wähler anderer Parteien für sich gewinnen wird müssen. Die ostentative Unabhängigkeit des längstdienenden Parteichefs, den die Grünen je hatten, war somit auch Strategie. Zwar bot dies Angriffsfläche für mediale Häme und Vorwürfen der Mitbewerber. Doch war es wirklich so lächerlich?

Tatsächlich war ein Grund für die Popularität Van der Bellens in dessen Zeit als Bundessprecher (1997 bis 2008), dass er sich offenbar für viele glaubhaft ein gewisses Maß an geistiger Unabhängigkeit gegenüber der eigenen Partei bewahrt hat, während sich vor allem bei den Großparteien immer mehr der Eindruck verfestigte, dass nicht nur Querhandeln unerwüscht ist, sondern bereits eigenständiges Denken.

Möglich, dass die Beliebtheit Van der Bellens zu einer Zeit, als Rot und Schwarz noch bequeme Zweidrittel-Mehrheiten aufbieten konnten, schon ein erstes Anzeichen einer Krise der repräsentativen Demokratie in Österreich war. Van der Bellen kam eben nicht "aus der Partei". Er wechselte erst mit 50 Jahren in die Politik, war davor ordentlicher Professor an der Universität Wien. Zudem war er auch Mitglied der SPÖ, als er 1992 erstmals bei den Grünen politisch auftauchte. Damals war er von den Grünen als Rechnungshofpräsident vorschlugen worden, allerdings ohne Erfolg.

Dass aus dem Finanzwissenschafter ein Oppositionspolitiker wurde, war der Intervention von Peter Pilz geschuldet. Anfang der 80er-Jahre, als sich die diversen grünen Listen noch sehr langsam zu einer halbwegs homogenen Grün-Partei hinstritten, hatte Pilz eine Studie vom Wissenschaftsministerium genehmigt bekommen. Für diese benötigte er einen universitären Betreuer. Am Institut für Wirtschaftswissenschaften, an dem Pilz promoviert hatte, wurde ihm Van der Bellen nahegelegt.

Aus der Zusammenarbeit entwickelte sich eine Freundschaft, die Van der Bellen rund zehn Jahre später in den Nationalrat führen sollte. "Er sagt liebevoll, dass es eine Intrige war", erinnert sich Pilz. "Es war ja nicht so einfach, ihn zu überreden". Vor dem Bundeskongress in Klagenfurt 1993 riefen bei Van der Bellen jedenfalls auf einmal Journalisten an, um ihn zu einer möglichen Kandidatur zu befragen. Der entsprechende Zund war natürlich von Pilz gekommen. "Ich habe aber schon gewusst, dass es ihm nicht unrecht ist", sagt Pilz heute.

Praktisch war, dass die durchaus wohlwollenden Medienberichte kein schlechtes Argument waren, parteiinterne Kritiker zu überzeugen. "Ich hab schon noch lange mit den Landesorganisationen reden müssen", so Pilz. Van der Bellen war schließlich Befürworter eines EU-Beitritts, während die Grünen damals dagegen kampagnisierten.

Seine erste Rede im Plenum zur Budgetpolitik der rot-schwarzen Regierung im November 1994 war dann durchaus beispielgebend für Van der Bellens Politikstil. Sie war ausführlich, sachlich, humorvoll, naturgemäß kritisch, für einen Oppositionspolitiker in der Diktion jedoch fair. Am Ende der Rede, so ist es dem Protokoll zu entnehmen, gab es Beifall bei den Grünen - "und bei den Abgeordneten der FPÖ". Es illustriert auch, dass Van der Bellen damals von vielen als frischer Wind von außen wahrgenommen wurde. Drei Jahre später fiel der Parteibasis jedenfalls die Wahl Van der Bellens zum Bundessprecher nicht schwer. Er öffnete die Partei für neue Wähler und schaffte binnen zwei Urnengänge eine Verdoppelung der grünen Stimmen.

Danach verharrten die Grünen aber mehr oder weniger auf einem Niveau um die zehn Prozent. Die Popularität Van der Bellens machte die Grünen zwar zu Umfragenkaiser und zeitweise lag er selbst sogar an zweiter Stelle in der Kanzlerfrage. 2008 war dann aber die Luft draußen. Van der Bellen verabschiedete sich von der Bundespartei, ging in den Wiener Gemeinderat und wurde Universitätsbeauftragter der Stadt Wien, ehe er sich aus der Politik zurückzog. Vorübergehend.

Kurz vor seinem 72. Geburtstag gab er im Jänner seine Bewerbung um das Präsidentenamt bekannt, nur wenige Tage nach dem Tod Meissner-Blaus, der Pionierin der Grünen. Nun hat Van der Bellen tatsächlich Chancen auf das formal höchste der Republik. Es wäre der finale Höhepunkt einer politischen Laufbahn, die mit einem Treffen mit Peter Pilz Anfang der 80er Jahre begonnen hat. Beziehungsweise mit einem Auftrag für Pilz vom damaligen Wissenschaftsminister. Hier schließt sich der Kreis. Denn Minister warzu jener Zeit: Heinz Fischer.