Hongkong. (dpa / WZ Online) Pascal Lamy sitzt in seinem Büro und raucht eine Zigarre. Der müde Blick des WTO-Chefs schweift über den sonnenüberfluteten Hafen Hongkongs. Zwischen Frachtern und Fähren kreuzt ein Boot von WTO-Gegnern. "Wann werden die Armen anfangen, reich zu werden?", steht in großen Lettern auf den blauen Segeln geschrieben. "Richtig", sagt sich der vom Gipfel-Poker erschöpfte Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO). "Handel kann dazu beitragen, Armut zu lindern. Aber - und das ist ein großes 'Aber' - es ist nur eins von vielen Teilen des Puzzles."
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Lamy stand in Hongkong vor dem unlösbaren Problem, weit auseinander klaffende Interessen von armen Ländern wie Angola oder Haiti, ausgesprochen selbstbewussten Schwellenländern wie Brasilien oder Indien und den Handelsgiganten EU und USA unter einen Hut zu bekommen. Der nach sechs Tagen mühsam errungene Minimalkompromiss nützt vor allem den Entwicklungsländern. Handelsexperten sehen die Gefahr, dass die reichen Staaten sich zunehmend vom umfassenden System der WTO lösen und zweiseitige Handelsabkommen schließen. Dieses schadet dann wiederum den Armen.
Als Lamy noch Handelskommissar der EU in Brüssel war, qualifizierte er die zeitraubenden und komplizierten WTO-Prozeduren als "mittelalterlich" ab. Seit Amtsantritt bei der UNO-Sonderorganisation im September lobt der französische Sozialist hingegen deren Ablauf als demokratisch, auch wenn er Mängel einräumt. "Geduld ist keine Tugend, sondern eine Notwendigkeit", lautet sein Arbeitsmotto.
Keines der 149 Mitgliedsländer kann überstimmt werden, denn es gilt das Konsensprinzip. Jeder darf seine Probleme einbringen. Die westafrikanischen Staaten Mali, Tschad, Benin und Burkina Faso prangerten die für ihre Baumwollbauern ruinösen US-Subventionen in dem Sektor an - und wurden gehört.
Nachteil dieses Verfahren sind endlose Debatten, dürftige Ergebnisse und übermüdete Unterhändler. Lamy und Mitarbeiter konsumierten in einer Nacht 320 Tassen Kaffee. "Nicht schlecht für die Exporte der Entwicklungsländer", lautet dazu Lamys lapidarer Kommentar. Kritiker fragen nach dem Sinn von Mammutkonferenzen mit über 6.000 Delegierten. Dazu kommen die inzwischen üblichen Krawalle am Veranstaltungsort. 9.000 Polizisten in Hongkong reichten nicht aus, um Ausschreitungen von militanten WTO-Kritikern zu verhindern.
Zum Ende der zurückliegenden Handelsrunde, die nach dem südamerikanischen Staat Uruguay benannt wurde, hatte die WTO-Vorgängerorganisation GATT noch 123 Mitgliedstaaten. Um die damalige Runde vor dem Scheitern zu bewahren, reichte 1992 mit dem so genannten Blair-Haus-Abkommen die Verständigung der USA und der EU.
Inzwischen gibt es jenseits der beiden größten Handelsblöcke der Welt zahlreiche informelle Gruppen: Von den G-10 der Agarprotektionisten über die G-20 der Schwellenländer bis hin zu den G-33 der armen Entwicklungsländer. In Hongkong nahm die neue Unübersichtlichkeit zu: Schwellen- und Entwicklungsländer formierten den großen Block der G-110. Sie fordern vor allem das Eindampfen der Landwirtschaftssubventionen in den Industriestaaten.
Der WTO-Koloss macht einen winzigen SchrittDie WTO-Unterhändler sehen sich bald wiederDetails der Hongkonger Einigung