Wirtschaftskammer fordert freiwillige Demozonen, Verfassungsjurist sieht nur geringen Nutzen.
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Wien. "Achtung, Ringsperre. Bitte weichen Sie großräumig aus." Derartige Verkehrsmeldungen gehen Händlern im ersten Bezirk durch Mark und Bein. Egal ob durch Großveranstaltungen oder Demonstrationen: Die Wirtschaftskammer Wien argumentiert seit Jahren, dass häufige Ringsperren den ansässigen Geschäften schaden. Eine in Auftrag gegebene Studie der KMU-Forschung Austria würde diese Bedenken jetzt mit Fakten untermauern, wie Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel, Montagvormittag betonte.
Die KMU-Forschung Austria berücksichtigte in ihrer Studie insgesamt 53 Ringsperren im Jahr 2016, erklärt Direktor Peter Voithofer. 37 Mal davon war der Ring an verkaufsoffenen Tagen gesperrt, darunter an 19 Samstagen. Knapp zwei Drittel der Geschäfte verzeichneten im Vergleich zu Tagen ohne Sperre durchschnittlich 18 Prozent - in Einzelfällen auch mehr als 60 Prozent - Umsatzeinbußen, die nur schwer an anderen Tagen aufzuholen seien. Früherer Ladenschluss oder weniger Personal wären die Folgen.
Die Ergebnisse von Szenario-Analysen legen nahe, dass dem stationären Handel durch Ringsperren im vergangenen Jahr 35 Millionen Euro an Einnahmen entgangen sind. Das entspricht 2,6 Prozent des Jahresumsatzes. Weiters bedeute dies die nicht erfolgte Realisierung von 120 Vollzeit- beziehungsweise 170 Teilzeitarbeitsplätzen. "Hierbei sind aber weder Auswirkungen auf die Gastronomie noch etwaige Imageschäden und Folgen für den Tourismus eingerechnet", merkt Voithofer an.
Sperren meist unumgänglich
Ringsperren können aber nicht immer vermieden werden. Bei Großveranstaltungen wie dem Vienna City Marathon, dem Life Ball oder internationalen politischen Treffen wie dem Iran-Gipfel sind diese aus Organisations- und Sicherheitsgründen unumgänglich. Den einzigen Spielraum sieht man bei der Wirtschaftskammer im Bereich der Demonstrationen. Denn viele davon müssten gar nicht am Ring oder auf der Kärntner Straße stattfinden, meint Trefelik. Zudem würden die dabei notwendigen Polizeieinsätze, Verkehrsbehinderungen und die mit einer Ringsperre verbundene negative Konnotation seitens der Bevölkerung die Inhalte der Demos oftmals überlagern.
Dass an der verfassungsrechtlich verankerten Demonstrationsfreiheit nicht gerüttelt werden kann, ist der Wirtschaftskammer klar. Auch Verfassungsjurist Heinz Mayer betont gegenüber der "Wiener Zeitung" die Unumstößlichkeit dieses Rechts. Umsatzeinbußen seien "natürlich ärgerlich" für die Geschäftsleute, aber prinzipiell hinzunehmen. In diesem Kontext könnten nur wiederholte Demonstrationen, die offenkundig auf eine Geschäftsschädigung abzielen, untersagt werden. Dies sei beispielsweise bei mehreren Tierschützerdemos vor einem Bekleidungsgeschäft der Fall. "Ansonsten gelten nur eine schwere Störung der öffentlichen Ordnung oder die Sicherheit ausländischer Staatsgäste als Untersagungsgrund", betont Mayer.
Speakers Corner als Alternative
Es gehe um Konsens und Miteinander, betont Trefelik. Laut Wirtschaftskammer könnte als Lösung etwa der Schwarzenbergplatz nach dem Vorbild des britischen "Speakers Corner" als eine freiwillige Demozone dienen. Als positives Beispiel nannte Trefelik den Verein gegen Tierfabriken (VGT). Dieser hatte im November 2011 am Schwarzenbergplatz medienwirksam eine "Mahnwache" abgehalten. "Hier wäre auch ohne Ringsperre die nötige Aufmerksamkeit da", meint Trefelik.
Im Fall des VGT hat aber wahrscheinlich nicht nur der Standort, sondern auch die Art der Demo - Aktivisten hielten tote Tiere in ihren Armen - das mediale Interesse generiert. Auch der Rathausplatz oder der Platz der Menschenrechte zwischen Kunst- und Naturhistorischem Museum wären laut Trefelik mögliche Orte für Zonen. Man sei auch bereit, ein derartiges Projekt finanziell zu unterstützten, beispielsweise mit einer für Demos notwendigen Soundanlage.
Laut Heinz Mayer verlaufe aber nicht jede Demo automatisch über den Ring. "In der Praxis wird bereits im Vorfeld gemeinsam mit den Initiatoren die Route festgelegt oder abgeändert. Mit einigermaßen gutartig gesinnten Demonstranten lässt sich in der Regel auch reden", sagt er. Im Endeffekt hänge es aber stets vom Willen der Demonstranten ab, Routenänderungen zu akzeptieren. Dann könne die Demo entweder verboten werden oder man müsse die Teilnehmer gewähren lassen, so der Jurist.
Konsens bei Bademantel-Demo
Auch die Wirtschaftskammer setzt bei ihrem Vorschlag auf das Verständnis der Organisatoren, sofern die Demo klein genug für eine Zone sei. "Die Bademantel-Demo zum 80. Geburtstag von Udo Jürgens wurde beispielsweise auch als Konsens vom Ring auf die Kärntner Straße verlegt", gibt ein Sprecher der Wirtschaftskammer zu bedenken.