Ex-Innenminister auch im Wiederholungsprozess der Bestechung schuldig gesprochen.
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Wien. Wegen Bestechlichkeit hat das Landesgericht Wien am Donnerstagabend den früheren Innenminister und EU-Abgeordneten Ernst Strasser zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Strasser zwei vermeintlichen Lobbyisten, in Wahrheit waren es britische Enthüllungsjournalisten, angeboten hatte, für 100.000 Euro pro Jahr Einfluss auf die EU-Gesetzgebung zu nehmen.
Schon in einem früheren Verfahren war Strasser deswegen zu vier Jahren Haft verurteilt worden, allerdings hatte der Oberste Gerichtshof das Urteil aufgehoben, weil daraus zu wenig klar hervorging, ob Strasser nur allgemeines Lobbying betreiben sollte (das war damals noch nicht strafbar) oder auf konkrete Gesetze Einfluss nehmen sollte. Für Richterin Helene Gnida bestand an letzterem kein Zweifel. Sollte das Urteil Bestand haben, muss der Ex-Innenminister fix ins Gefängnis. Einen elektronisch überwachten Hausarrest (Fußfessel) schloss das Gericht dezidiert aus.
Strasser blieb bis zum Schluss dabei, keinen Einfluss auf die europäische Gesetzgebung genommen zu habe. "Wenn ich Einfluss genommen hätte, hätte ich damit die rote Linie überschritten" – das habe er weder versucht noch beabsichtigt, erklärte auf Befragung durch Staatsanwältin Alexandra Maruna. Dass er sich etwa in Sachen Elektroschrottrichtlinie oder Anlegerschutzrichtlinie ziemlich ins Zeug gelegt hat, erklärte er damit, dass er nichts beeinflussen, sondern lediglich Informationen sammeln wollte. Er habe sehr genau unterschieden zwischen seiner parlamentarischen und seiner unternehmerischen Tätigkeit – "aber zweiteilen konnte ich mich nicht".
Im Zusammenhang mit der Anlegerschutzrichtlinie betonte Strasser, nicht daran gedacht zu haben, den Abänderungsantrag der "Lobbyisten" einzubringen. Er habe nicht einmal mit seinem eigentlich zuständigen Fraktionskollegen Othmar Karas darüber gesprochen, argumentierte er. Er habe nie daran gedacht oder versucht so etwas zu tun, nicht "in irgendeiner Frage, die hier zur Diskussion steht". Karas hatte als Zeuge jedoch ausgesagt, dass Strasser Anfang 2011 einen Abänderungsantrag der Briten an sein Büro übermittelt und dann ein ungewöhnlich intensives Interesse an der Materie an den Tag gelegt habe.
Auch bei der Elektroschrottrichtlinie will Strasser weder versucht noch beabsichtigt haben, etwas zu beeinflussen. Die Oberstaatsanwältin hielt Strasser vor, das Thema selbst bei einem Treffen angesprochen zu haben, etwa dass er ein Gespräch mit dem zuständigen deutschen Abgeordneten geführt habe, und wollte wissen, inwiefern er den "Lobbyisten" hier ausweiche. Es sei immer nach demselben Muster abgelaufen, bekräftigte Strasser: Die "Lobbyisten" hätten etwas gewollt, er sei zunächst darauf eingegangen, habe dann einen Problemaufriss gemacht und dann gesagt "das geht nicht".
Nachdem der OGH das Urteil des Erstgerichts aufgehoben hatte, weil daraus zu wenig deutlich hervorging, ob Strasser gegen 100.000 Euro allgemeines Lobbying oder ganz konkrete Einflussnahme angeboten hat, war Strasser in der Neuauflage des Verfahrens natürlich sehr bemüht, seine Beratertätigkeit als möglichst allgemein darzustellen.
Um diese Darstellung zu untergraben hatte die Staatsanwaltschaft die Ladung der britischen Journalisten, die sich als Lobbyisten ausgegeben hatten, beantragt. Diese hätten per Videokonferenz in London befragt werden sollen. Allerdings musste die Einvernahme schon nach wenigen Augenblicken abgebrochen werden, weil "trotz monatelanger Vorbereitung und zweitägiger Testung" der Ton völlig unverständlich war. Das müsse man "leider zur Kenntnis nehmen", erklärte Richterin Gnida dazu und verlas stattdessen die Aussagen der Journalisten aus dem ersten Prozess.
In diesen erklärte etwa eine Journalistin, dass Strasser sehr wohl Änderungen bei konkreten Richtlinien zu erreichen suchte. Auf Strasser sei man gekommen, weil er einen fraglichen Ruf und offenbar wirtschaftliche Interessen hatte, so die Zeugin.
Auch in ihrem Plädoyer betonte Staatsanwältin Maruna, dass schon beim ersten Treffen von Strasser mit den vermeintlichen Lobbyisten klar gewesen sei, dass die Kunden Einfluss auf Gesetzgebung wollen, nicht bloß Beratung. Letztere wäre nämlich erlaubt, diesbezüglich hatte sich Strasser extra erkundigt. Und Strasser sei auch aktiv geworden. Er habe bezüglich der Elektroschrottrichtlinie "tatsächlich" auf den zuständigen Berichterstatter im EU-Parlament eingewirkt. "Strasser verhielt sich auftragsgemäß", so Maruna. Aus seinem Verhalten und seinen E-Mails gehe hervor, dass es Strasser bei den Richtlinien sehr wohl um das Einbringen von Änderungen ging, also konkrete Einflussnahme, nicht bloß um Informationen. Letztlich habe Strasser Vertrauen missbraucht, um daraus Kapital zu schlagen, schloss Maruna und forderte "eine angemessene Strafe". Mehr als die vier Jahre des ersten Prozesses waren allerdings nicht möglich, weil die Staatsanwaltschaft damals gegen das Strafmaß nicht berufen hat.
Strassers Anwalt Kralik zeigte sich verwundert darüber, dass die Staatsanwaltschaft nur jene Passagen aus den Videos und E-Mails beachtet habe, die zu Strassers Nachteil ausgelegt werden können. Dieser habe aber auch von einer "roten Linie" gesprochen, die er nicht überschreiten dürfe. In den Gesprächen mit den Journalisten habe Strasser nur angeben wollen und – mit Blick auf seine Zeit nach dem Europaparlament – "strategische Beratung angeboten". Eine tatsächliche Beeinflussung der Gesetzgebung sein nie geplant gewesen. Außerdem sei allgemeines Lobbying damals nicht strafbar gewesen – auch wenn es vielleicht moralisch verwerflich sei.
Diese Einschätzung teilte das Gericht nicht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Strasser hat Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde eingelegt.