Ob Schwarz-Rot zustande kommt, hängt vom Votum der SPD-Mitglieder ab. Personalfreuden überdecken verpasste Inhalte.
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Berlin/Wien. "Passt scho. Passt scho." Horst Seehofer, CSU-Chef und Noch-Ministerpräsident Bayerns, gab sich am Mittwoch zufrieden. Nach 24-stündigen Verhandlungen zwischen Union und SPD einigten sich die drei Parteien auf eine Fortsetzung der großen Koalition. Tatsächlich "passt" es aber erst in dreieinhalb Wochen. Denn am 4. März steht fest, ob auch die Mitglieder der Sozialdemokraten zugestimmt haben.
Fast 25.000 Personen sind seit Jahresanfang der SPD beigetreten. Die Jungsozialisten, Anführer der Gegner von Schwarz-Rot, starteten eine erfolgreiche Kampagne. Ihnen gelang bereits beim Parteitag im Jänner ein Achtungserfolg, als nur 56 Prozent der Delegierten dafür stimmten, die Sondierungsgespräche zu Koalitionsverhandlungen auszuweiten. Anzunehmen ist daher, dass ein Großteil der neu eingetretenen Genossen gegen die Koalition stimmen wird. Doch es gibt weit mehr Stimmberechtigte, genau gesagt sind es insgesamt 463.723. Die "Alt-Mitglieder" sind tatsächlich gesetzt, mehr als die Hälfte ist 61 Jahre oder älter. Die SPD-Mitglieder gelten daher als eher konservativ. Die "Fassungslosigkeit", die Jusos-Chef Kevin Kühnert am Mittwoch ob des "politischen Stils" von CDU, CSU und SPD antrieb, wird viele andere Mitglieder womöglich weniger tangieren.
Mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen stehen nicht mehr Inhalte im Vordergrund, um die in den vergangenen Wochen gestritten wurde. Die Meldung, wonach die SPD nun das Finanzministerium und mehr Ressorts als alle anderen Koalitionspartner innehat, stellt alles andere in den Schatten. Die Abschaffung grundlos befristeter Verträge - wie von den SPD-Delegierten im Jänner gefordert - kommt nicht. Den sozialdemokratischen Verhandlern gelang lediglich eine Reduzierung von zwei Jahren auf eineinhalb Jahre. Und der so vehement eingeforderte "Ausstieg aus der Zweiklassen-Medizin" wird in eine Kommission verräumt. Das Gremium soll untersuchen, wie die Honorarordnung von gesetzlicher und privater Krankenversicherung künftig geregelt werden kann. Momentan müssen Privatpatienten höhere Honorare zahlen, bekommen aber wesentlich früher einen Termin.
Doch was zählt das schon angesichts der Tatsache, dass die Zeiten des vermeintlichen "Spardiktats" im Finanzministerium zu Ende gehen? Dessen Symbolbild Wolfgang Schäuble ist bereits nach der Bundestagswahl zurückgetreten, nun macht der kommissarische Ressortchef, Merkels Intimus Peter Altmaier, Platz für einen SPDler. "Der neue Bundesfinanzminister wird in den kommenden Jahren ganz bestimmt an entscheidender Stelle in Brüssel über die Zukunft der Währungsunion mitbestimmen. Insofern wäre es durchaus sinnvoll, dieses Amt in der Hand der CDU zu behalten", warnte EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger seine CDU noch vor kurzem in der "Welt". Die Furcht vor einem Absprung der SPD dürfte bei seiner Parteikollegin Angela Merkel und Horst Seehofer anscheinend so groß gewesen sein, dass sie zu dem Schritt bereit waren.
Europäische Handschrift bleibt
Das ist umso wichtiger, als im Europakapitel des Koalitionspapiers die sozialdemokratische Handschrift dominiert. Nicht nur will Deutschland infolge des Brexit künftig mehr für das EU-Budget beitragen - im Gegensatz zu anderen Nettozahlern wie Österreich, Dänemark und den Niederlanden. Derzeit zahlt Deutschland 13 Milliarden Euro pro Jahr mehr ein, als es erhält. Der zusätzliche Beitrag wird auf 6 Milliarden (EU-Kommissar Oettinger) bis 10 Milliarden Euro (Noch-Außenminister Sigmar Gabriel) taxiert. Allerdings ist der im Sondierungspapier genannte zusätzliche Finanzspielraum von Schwarz-Rot in Höhe von 46 Milliarden Euro bereits für andere Themen verplant. Auf den wahrscheinlichen neuen Finanzminister Olaf Scholz kommt somit eine schwierige Aufgabe zu.
Paktiert wurden auch Mittel für notleidende Staaten der Eurozone, ganz nach dem Geschmack von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Um konservative Sorgen vor einer Transferunion abzufedern, gelten diese Mittel nun lediglich als "Ausgangspunkt" für einen "künftigen Investivhaushalt" für die Eurozone. Ebenfalls auf wenig Gegenliebe stießen bei Konservativen, aber auch Liberalen die bereits im Sondierungspapier skizzierten Überlegungen, den bisherigen Euro-Rettungsschirm ESM in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umzuwandeln. Hier wird über Hilfen in Milliardenhöhe entschieden. Basierte der ESM auf zwischenstaatlichen Verträgen, soll der künftige EWF "im Unionsrecht" verankert sein. Schon sorgten sich Bundestagsabgeordnete um ihr Einspruchsrecht wie beim ESM. Die Koalitionsparteien haben nun festgelegt: "Die Rechte der nationalen Parlamente bleiben davon unberührt."
Das EU-Kapitel war Herzensangelegenheit des wohl abtretenden SPD-Chefs Martin Schulz. Beim Parteitag im Jänner konnten sich die Delegierten allerdings wenig für die Europa-Ausführungen ihres Vorsitzenden erwärmen. Dass die Mitglieder nun sehr viel anders denken, darf bezweifelt werden. Ihnen bleibt ja noch die Freude über das hinzugewonnene Finanzministerium. Passt scho.