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49 Morde und noch kein Urteil

Von Wolfgang Libal

Politik

Von den 49 Morden mit politischem oder "mafiosem" Hintergrund, die zwischen 1990 und 2002 in Serbien verübt worden sind, ist bisher kein einziger aufgeklärt und die Täter und Hintermänner verhaftet und verurteilt worden. Nun findet aber am 4. Februar eine neuerliche Verhandlung im Mordfall Arkan statt, nachdem das Oberste Gericht Serbiens die Urteile im ersten Prozess aufgehoben und den Fall zurück an das Bezirksgericht Belgrad verwiesen hat, weil ihm die Beweisführung nicht schlüssig genug erschien.


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In Belgrad fragt man sich allerdings, ob dieser spektakuläre Mordfall wirklich aufgeklärt und die wahren Täter verurteilt werden.

Zeljko Raznjatovic Arkan war eine der düstersten Figuren in dem an zweifelhaften "Kämpfern" wahrlich nicht atmen innerjugoslawischen Krieg. Die von ihm befehligte Miliz, die "Tiger", zeichnete sich in Ost-Slawonien gegenüber den Kroaten und in Bosnien gegen die Muslime durch Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen besonders aus. Arkan, der übrigens schon vor dem Krieg in Jugoslawien wegen Verbrechen in Westeuropa von Interpol gesucht wurde, genoss eindeutig den Schutz des Milosevic-Regimes und spielte in den 90er Jahren im Belgrader Establishment eine bedeutende Rolle.

Wendung durch Zeugen K2

Aber am 15. Jänner 2000 wurde er nebst zwei Kumpanen, darunter einem Polizeioberst im Foyer des Hotels Intercontinental erschossen. Als Täter wurden einige junge Leute zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt, obwohl alle die Teilnahme an der Tat bestritten hatten.

Inzwischen hat der Fall aber insofern eine neue Wendung genommen, als er in dem Prozess gegen Milosevic vor dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal indirekt zur Sprache kam. Der Zeuge K2 - zu seiner Sicherheit anonym geblieben - musste nämlich auf den Einwand des angeklagten ehemaligen serbischen und jugoslawischen Präsidenten zugeben, dass er als früherer Angehöriger der Sonderpolizei der "Roten Käppis" in die Ermordung Arkans verwickelt war. Man fragt sich nun in Belgrad, ob das dem neuen Prozess eine neue Wendung geben und den Hintergrund der Beseitigung Arkans bloßlegen wird. Denn der Milizen-Führer hätte bisher Unbekanntes über die Querverbindungen zwischen den serbischen Milizen und Militär und Polizei im Krieg in Kroatien und Bosnien aussagen können.

Verstrickung der Polizei

Damit wäre aber auch das Problem der Polizei im Milosevic-Regime und auch nachher offiziell zur Sprache gekommen. Denn es liegt auf der Hand, dass die mindestens 49 Morde in den letzten ein Dutzend Jahren, nicht ohne die Verstrickung der Polizei verübt werden und unaufgeklärt bleiben konnten.

Vielleicht ist die summarische Bezeichnung "Polizei" in diesem Zusammenhang nicht ganz richtig, denn es scheinen vor allem die verschiedenen Einheiten der "Sonderpolizei" und auch die "Staatssicherheit" in die Mordfälle involviert. Denn ihre Verbindungen zum organisierten Verbrechen sind zu offensichtlich.

Während die Motive hinter den Bluttaten verschiedener Natur zu sein scheinen, ist die Art ihrer Durchführung eher einheitlich. Fast immer sind professionelle Killer am Werk, die ihr Handwerk auf das Perfekteste verstehen und ebenso schnell verschwinden wie sie aus dem Dunkeln aufgetaucht sind. Daher wird auch immer wieder die Frage gestellt, ob sie nicht unter dem Schutz gewisser Teile der Polizei stehen.

Ob nun politische Motive zu den Morden geführt haben oder ob es sich dabei um gegenseitige Abrechnungen verschiedener Banden der kriminellen Unterwelt handelte, ob die Konkurrenz im Drogen- und Zigarettenschmuggel im Spiel war oder ob schließlich Leute beseitigt wurden, die möglicherweise in drohenden Gerichtsverfahren als gefährliche Zeugen hätten auftreten können - das alles bleibt offen.

Minister ermordet

Jedenfalls sind bei den verschiedenen Anschlägen Politiker, wie der jugoslawische Verteidigungsminister Pavle Bulatovic oder der amtierende serbische Innenminister Radovan Stojicic-Badza, umgebracht worden oder hohe Polizeifunktionäre, wie der General Bosko Buha und der Oberst Milorad Vlahovic. Zu den Mordopfern gehören ferner der prominente Publizist Slavko Curuvija und allein zwölf führende Wirtschaftsleute, darunter der Generaldirektor der staatlichen Fluglinie JAT, Zika Petrovic.

Die Liste der Opfer muss noch ergänzt werden, einerseits durch die Namen von ungefähr 20 Mafiosi und andererseits mit einer ganzen Reihe von ehemaligen "Kommandeuren" serbischer Milizen, die an der Seite des regulären Militärs und der Polizei sich in Kroatien, Bosnien und im Kosovo "betätigt" haben.

Diese makabre Mordstatistik ist insofern unvollständig, als in ihr drei Komplexe nicht einbezogen sind, die einen besonderen Charakter haben. Das gilt für den "Autounfall" des Führers der "Serbischen Erneuerungsbewegung", Vuk Draskovic, einer schillernden Persönlichkeit in der serbischen Politik. Er war zeitweise in Opposition zu Milosevic, zeitweise hat er mit ihm zusammen gearbeitet. Der Zusammenstoß mit einem Lastwagen auf der Ibar-Magistrale südlich von Belgrad war eindeutig ein Anschlag bei dem Draskovic mit dem Leben davon kam, aber vier seiner politischen Mitarbeiter getötet wurden.

Zwar wurde nach langwierigen Ermittlungen festgestellt, dass der Lkw aus den Beständen der Polizei stammte und es wurde auch sein Fahrer vor Gericht gestellt, aber abgeschlossen ist der Fall noch immer nicht. Vor allem ist noch immer offen, wer den Auftrag zu dem "Unfall" erteilt hat.

Völlig ungeklärt ist noch die Entführung von Ivan Stambolic. Der einstige Chef der serbischen KP und serbischer Republikpräsident - in beiden Funktionen Vorgänger von Milosevic - wurde Ende August 2000 beim Jogging gekidnappt und ist bis heute verschwunden. Da von der Familie kein Lösegeld verlangt und seine Leiche auch nicht gefunden worden ist, bleibt nur der Schluss, dass seine Entführung politische Hingergründe hatte. Befürchtete Milosevic, dass Stambolic bei den damals bevorstehenden Präsidentenwahlen gegen ihn kandidieren hätte können?

Schließlich ist die Ermordung von 770 Zivilpersonen im Kosovo, deren Leichen auf dem Übungsgelände der Sonderpolizei bei Batajnica nördlich von Belgrad gefunden wurden, noch immer ungesühnt. Sie waren dorthin in Kühlwagen transportiert worden. Das in London ansässige "Institut für Information über Krieg und Frieden (JWPR)" hat erst kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass die serbische Polizei systematisch die Aufklärung dieses Verbrechens behindere.

Unterweltler benutzt

Die Verstrickung von Teilen der serbischen Polizei mit dem organisierten Verbrechen hat mehrere Ursachen. In ihrem Ursprung geht sie darauf zurück, dass die Staatssicherheit schon in der kommunistischen Zeit Figuren aus der Unterwelt zur "Liquidierung" von Regimegegnern im Ausland benutzt hat.

Diese Kriminellen hat die Staatssicherheit gegen Ende der 80er Jahre nach Belgrad zurückgerufen, um sie vor einer Verhaftung und Verurteilung im Ausland zu schützen, die unweigerlich auch die Verbindungen zwischen den jugoslawischen Polizeiinstanzen und dem organisierten Verbrechen aufgedeckt hätten. Diese Kriminellen und ihre Nachfolger teilten sich natürlich das Terrain in Belgrad auf, wobei es zwangsläufig zu heftigen Fehden mit blutigem Ausgang kommen musste.

Bürgerkriegsarmee

Noch folgenschwerer war die Politisierung der Polizei insgesamt durch Milosevic. Er machte aus ihr eine Bürgerkriegsarmee unter dem Befehl ihm ergebener Offiziere. Aus dieser Zeit stammen auch die Einheiten einer Sonderpolizei, wie der "Roten Käppis", die heute noch existieren und unabhängig von den normalen Instanzen agieren. Mit ihnen ist die neue Regierung noch nicht fertig geworden. Es nützt auch nichts, dass ihnen die finanziellen Mittel entzogen werden. Ein Angehöriger von einer dieser Sonderpolizeien hat auf die Frage, woher sie sich finanzieren, geantwortet: "Wir brauchen keine Staatsgelder, wir haben unsere Sponsoren".