Anmeldungen steigen - immer mehr Kinder aus deutschsprachigen Familien.
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Klagenfurt/Celovec/Eisenstadt/Kismarton/eljezno. Raphael reißt seine Arme in die Luft, schüttelt sie und singt auf Slowenisch: "Dobro juto, dobro juto!" Der blonde Bub ist einer von rund 100 Volksschülern, die sich in der Aula der Volksschule Eberndorf/Dobrla vas in Südkärnten im Kreis versammelt haben, um - wie jeden Tag zu Schulbeginn - ein Morgenlied zu singen.
Die zweisprachige Gemeinde Eberndorf liegt knapp 40 km von Klagenfurt entfernt, eingebettet im Jauntal. Die VS Eberndorf ist eine von 71 Volksschulen in Kärnten, in denen nach dem Minderheiten-Schulgesetz zweisprachiger Unterricht angeboten wird. Knapp die Hälfte der Kinder sind für den deutsch-slowenischen Unterricht angemeldet (44 von 101 Kindern). Beim gemeinsamen Lied singen aber alle mit: Heute besingen sie den "Guten Morgen" auf Deutsch, Englisch, Italienisch und Slowenisch ("Dobro juto"). Worüber auf politischer Ebene seit Jahrzehnten gestritten wurde - Stichwort Ortstafeln - scheint in dieser Schule kein Problem darzustellen.
Im zweisprachigen Unterricht sollen Deutsch und Slowenisch "in annäherndem Ausmaß" unterrichtet werden - so sieht es das Gesetz vor. Wie das in die Tat umgesetzt wird, bleibt den Schulstandorten beziehungsweise den einzelnen Lehrern überlassen. Dementsprechend stark variiert die Qualität des Unterrichts. In der öffentlichen Volksschule 24 in Klagenfurt wechseln die Schüler wochenweise zwischen Unterricht in slowenischer und deutscher Sprache. Dieses Modell ist international erprobt und in Österreich ziemlich einzigartig (siehe Interview).
An den meisten zweisprachigen Schulen wird jedoch ständig zwischen Deutsch und Slowenisch hin- und hergesprungen. Einen Mittelweg geht die VS Eberndorf; hier wird drei Tage pro Woche deutsch, zwei Tage slowenisch gesprochen. "Etwas anderes wäre derzeit nicht umsetzbar. Vor Jahren wäre es schwierig gewesen, einen ganzen Tag im Slowenischen zu bleiben", erklärt Direktorin Josefine Kraut. Gibt es Verständnisprobleme, wird mit Händen und Füßen gesprochen.
Immer mehr Kinder sprechen zu Hause nicht slowenisch, da ihre Eltern die Sprache nicht (mehr) beherrschen. Dadurch kommt den Schulen eine zentrale Stellung im Erhalt der Minderheitensprache zu. "Der soziale Aufstieg war früher nur mit Deutsch möglich. Deshalb wurde Slowenisch von vielen Großeltern nicht weitergegeben, es wurde höchstens heimlich gesprochen", erklärt Angerer-Pitschko. Sie leitet die zweisprachige Lehrerausbildung an der Pädagogischen Hochschule (PH) in Klagenfurt und sagt, es sei wichtig, dass an den Schulen die "Liebe zur Sprache" vermittelt wird - nur so würde Slowenisch nicht zur "schwachen Sprache" stigmatisiert.
In der 2a in der VS Eberndorf ist davon nichts zu spüren. Heute wird ein Spiel namens "Stromschlag" gespielt: Ein Kind verschließt die Augen, ein anderes setzt eine Karte mittels Zauberstab unter "Strom". Es öffnet die Augen wieder und rät, welche Karte elektrisiert wurde - alles auf Slowenisch. Sobald die richtige Karte erraten wird, schreien die Kinder aufgeregt, und quietschen dabei vor Vergnügen.
Raphael, 8 Jahre: "Deitsch kann jeder verstehen"
Raphael grinst verschmitzt und erklärt in breitem Kärntnerisch, warum er lieber Slowenisch als Deutsch spricht: "Deitsch kann jeder verstehen". Auch für seine Schwester Jennifer ist Slowenisch die "bessere Sprache" - sie will später selbst Lehrerin werden.
Ihre Jobchancen stünden derzeit gut: Es werden dringend Lehrer für den Slowenischunterricht gesucht. Die Zahl der Studienanfänger für das zweisprachige Lehramt ist zwar im Steigen begriffen; viele wandern nach ihrer Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule in Klagenfurt jedoch nach Wien ab. "Slowenisch kann durch den Lehrermangel nicht überall angeboten werden. Das ist ein großes Problem", sagt Sabine Sandrieser. Sie ist Kärntner Landesschulinspektorin für das Minderheitenschulwesen und wirbt aktiv um Studierende. Seit 2007 reicht das Maturaniveau für die Aufnahme an der PH allerdings nicht mehr aus - doch trotz dieser Maßnahme zur Anhebung der Qualität, sind die Anmeldezahlen nicht zurück gegangen.
Bis es wieder mehr Absolventen gibt, wird an den Volksschulen mit Übergangslösungen getrickst. An den Hauptschulen ist die Situation noch prekärer - aber damit ist nicht nur der Lehrermangel gemeint: Derzeit ist Slowenisch an den Hauptschulen nicht in den Unterricht integriert. Vielmehr müssen die Schüler zwei der vier Slowenischstunden zusätzlich am Nachmittag absitzen: "Das ist eine Mehrbelastung und eine Schwierigkeit, da viele dann nicht mehr nach Hause kommen", erklärt Sandrieser. Daher war die Integration des Unterrichts einer der Vorschläge zur Änderung des Minderheiten-Schulgesetzes. Dieses hat ein Expertengremium erarbeitet und liegt seit Herbst 2011 im Bundeskanzleramt. Und auch seitens des Unterrichtsministeriums heißt es: "Das Angebot in den Hauptschulen lässt zu wünschen übrig."
Doch es werde eine Verbesserung vom Lehrplan der Neuen Mittelschule erwartet. Es bräuchte zudem neue Benotungsmodelle, sagt Sandrieser vom Landesschulrat. Denn viele Eltern befürchten, ihre nicht-slowenischsprachigen Kinder würden gegenüber jenen, die zu Hause slowenisch sprechen, zurück fallen und schrecken daher vor der Anmeldung zum zweisprachigen Unterricht zurück. Doch wie ist es um das Ansehen von Slowenisch in der Bevölkerung bestellt? Abends in Eberndorf; beim Kirchenwirt lehnen die Gäste am Tresen. Walter ist einer von ihnen, dahinter zapft Barfrau Judith Bier. Ihre Nachnamen wollen sie nicht in der Zeitung lesen.
Kärntner Urängste und der pro-europäische Stammtisch
Die zweisprachigen Schulen bringen Walter nicht in Rage: "Wers machen will, solls machen", sagt er. Vielmehr zeigt er sich erbost, "dass man kein öffentliches Amt mehr ausüben kann, ohne der slowenischen Sprache mächtig zu sein." Judith verdreht die Augen und ist sichtlich anderer Meinung - doch die Kärntner Slowenin will es sich nicht mit ihrem Gast verscherzen: "Ich halte mich da raus, ich bin neutral." Sie sagt aber auch, dass sie auf ihre Muttersprache "sehr stolz" ist.
Walter redet sich weiter in Rage, dass die Messe in der Kirche auf Slowenisch gehalten wird, bringt für ihn das Fass zum Überlaufen. "Ich kann dir nit zuhören", wirft Judith ein, und schüttelt den Kopf. Die älteren Herren, die am Stammtisch sitzen, geben sich aufgeschlossener: "Je mehr Sprachen, desto besser", sagt der 73-jährige Josef Mochar, der sich als EU-Befürworter outet und später ein slowenisches Lied anstimmt - wenngleich er sagt, dieses sei "windisch" (siehe Wissen). Auch die anderen Männer am Tisch sagen, sie hätten nichts gegen Slowenisch, das sie alle mehr oder weniger verstünden. Schließlich sei es gut, "die Sprache des Nachbarn" zu sprechen. Die Männer berichten von der "Urangst", Südkärnten könnte "slowenisiert" werden. Sie meinen, diese Ängste und Vorurteile würden mit der älteren Generation aussterben.
Vladimir Wakounig, Bildungswissenschafter an der Universität Klagenfurt glaubt nicht daran: "Wenn es so wäre, dürfte es keinen Strache geben. Vorurteile sind sehr nützlich, um Stimmen zu gewinnen. Es gibt immer wieder Kampagnen gegen mehrsprachige Schulen. Es ist schwer aus den Köpfen zu bekommen, dass mehrere Sprachen eine Bereicherung, keine Belastung sind."
Viele Eltern sind sich dessen längst bewusst. Einige melden ihre Kinder auch deshalb an, weil sie dann in den Genuss kleinerer Klassen kommen oder sogar ein zweiter Lehrer, ein "Teamteacher" zur Seite steht. "Das Interesse an Slowenisch hat in den letzten zehn bis 15 Jahren quer durch die Bevölkerung zugenommen. Man hat gesehen, dass Slowenisch nicht mehr nur im kommunistischen Jugoslawien gesprochen wird", erklärt Miha Vrbinc, Direktor des slowenischen Gymnasiums in Klagenfurt, warum Anfang der 90er das Interesse für slowenischsprachigen Unterricht rasant angestiegen ist. An seinem Gymnasium wird ausschließlich auf Slowenisch unterrichtet, und das seit 50 Jahren. Es war dieses Gymnasium, das den sozialen Aufstieg der slowenischen Volksgruppe ermöglicht hat - heute befinden sich innerhalb dieser mehr Akademiker als unter der restlichen Bevölkerung Kärntens. "Ohne das Gymnasium hätte die slowenischsprachige Volksgruppe in dieser Form nicht überlebt", sagt Vrbinc.
Aufwertung von Sprachen durch EU-Politik
Ein großer Anteil an der Aufwertung von Minderheitensprachen fußt auch auf den Bestrebungen der EU-Politik, erklärt Susan Gal. Sie ist Professorin an der Universität Chicago und forscht zu kroatischen und ungarischen Minderheiten im Burgenland. Vor allem Ungarisch habe durch das Schengenabkommen profitiert, sagt sie. Und auch Roswitha Imre, stellvertretende Direktorin an der Volksschule Oberwart, sagt: "Seitdem die Grenzen offen sind, ist es fast schon eine Bedingung, ungarisch zu sprechen". Mit 279 Kindern ist ihre Schule eine der größten Volksschulen im Burgenland, ein Drittel der Kinder wird neben deutsch auch auf Kroatisch oder Ungarisch unterrichtet.
Anders als mancherorts in Kärnten wird im Burgenland nicht tage- oder wochenweise zwischen den Sprachen gewechselt. In der 4u wird permanent zwischen Ungarisch und Deutsch gesprungen. "Frau Lehrerin, hast du no an Pappteller?" ruft ein Schüler. Heute wird gebastelt, immer wieder zeigen die Kinder der Klassenlehrerin Beatrix Hechenblaickner stolz ihre Masken, und diese antwortet auf Ungarisch - denn Lob gibt es immer auf Ungarisch. Sie ist gebürtige Ungarin.
Österreichische Ungarischlehrer gibt es kaum, deshalb wird auf Native Speaker zurück gegriffen berichtet Erwin Deutsch, Inspektor am Landesschulrat Burgenland. Etwa die Hälfte der Schüler besuchen nach der Volksschule Oberwart das nebenan gelegene zweisprachige Gymnasium - hier gibt es exakt acht deutsch-ungarische und acht deutsch-kroatische Klassen.
Anders als in Kärnten muss man sich im Burgenland in den autochthonen Gebieten vom zweisprachigen Unterricht abmelden, anstatt sich anzumelden. Und das Burgenland ist in Bezug auf seine Minderheiten nicht vorbelastet; zweisprachige Ortstafeln haben hier keinen Sturm ausgelöst. Wiewohl auch hier Kroatisch und Ungarisch nicht immer dasselbe Ansehen genossen wie heute, erklärt Martin Zsivkovits. Die forsche Anweisung "Red’ deutsch!" aus seiner Kindheit ist dem Direktor des Gymnasiums Oberwart bis heute präsent, doch die Zeiten, in denen sich Burgenlandkroaten für ihre Sprache geschämt haben, sind vorbei. Er sagt, die Volksvertreter hätten im Burgenland immer an einem Strang gezogen. "In Europa kann man der Bildungselite nur angehören, wenn man zumindest zwei Sprachen spricht, üblicherweise drei", sagt Sprachwissenschafterin Gal von der Universität Chicago. Am interessantesten sei, dass eine breitere Öffentlichkeit Mehrsprachigkeit zu schätzen gelernt habe. Ihre Forschungen ergaben, dass autochthone Minderheiten den Wert ihrer Sprache oft erst erkennen, wenn sie in große Städte wie Wien ziehen. "Die Sprachkompetenz geht zurück, aber jene, die sie sprechen, tun das bewusst", sagt Zsivkovits.
Steirische Slowenen wollen Minderheiten-Schulgesetz
Aufholbedarf besteht bei den zweisprachigen Schulen in der Steiermark, wo das Minderheiten-Schulgesetz nicht zum Tragen kommt. Das Unterrichtsministerium verweist darauf, die Steiermark habe immer erklärt, dass es keinen Bedarf für ein eigenes Minderheitenschulgesetz gebe. Dem stimmt Susanne Weitlaner, Vorsitzende des Kulturvereins Artikel-VII, so nicht zu: In der Steiermark habe sich vieles erst entwickeln müssen, doch inzwischen wäre es ein Vorteil, würde das Minderheiten-Schulgesetz auch hier Anwendung finden. Denn Slowenisch ist im Regelunterricht derzeit nicht vorgesehen, sondern wird lediglich als Freigegenstand und an drei Schulen als Wahlpflichtgegenstand angeboten. Zudem wäre es wichtig, die Öffnungszahlen für Klassen zu senken und die Geschichte aufzuarbeiten - denn auch da hinke man Kärnten noch nach.