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"Delikat, Edith" tippt Gerhard Unger, der im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) das Projekt der namentlichen Erfassung der österreichischen Holocaust-Opfer betreut, im neuen Museum hinter dem kürzlich enthüllten Holocaust-Denkmal in den Computer. Ein paar Augenblicke später erscheint auf dem Bildschirm die Information, dass das am 27. November 1924 in Wien geborene Mädchen am 31. August 1942 nach Maly Trostinec deportiert und dort am 4. September 1942 ermordet wurde.
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Rund 61.000 österreichische Holocaust-Opfer konnten in dem seit 1992 laufenden Projekt namentlich erfasst werden, erzählt Unger in seinem kleinen Büro im Alten Rathaus in der Wiener Innenstadt nur wenige Minuten vom neuen Museum entfernt, wo die jahrelange Arbeit seines kleinen Teams seit knapp zwei Wochen per Computer abrufbar ist.
Rund 400.000 Datensätze hat die kleine Arbeitsgruppe - zwei Ganztags- und zwei Halbtagskräfte, einige freiwillige Mitarbeiter und bis vor einigen Monaten Zivildiener - zu den geschätzten 65.000 österreichischen Holocaustopfern bisher zusammengetragen.
Begonnen hatte alles 1988 mit dem Besuch des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky in Israel, wo er in der Gedenkstätte Yad Vashem angeregt wurde, doch eine Liste der österreichischen Shoah-Opfer erstellen zu lassen. Nach einer Machbarkeitsstudie ging schließlich 1992 der Auftrag des Wissenschaftsministeriums an das DÖW, das Projekt durchzuführen.
Hauptinformationsquelle waren die akribisch geführten Deportationslisten. Ungar zeigt fast unentzifferbare Kopien, die mit Aufzeichnungen der Kultusgemeinde, in denen aber so manche Fehler lauerten, abgeglichen wurden. Rund 1.200 Namen steuerte Walter Pagler vom Verein Shalom bei. Die Urnen mit der Asche dieser Opfer waren in der Frühzeit der KZ vor allem aus Buchenwald nach Wien überstellt worden, wo sie auf dem jüdischen Teil des Zentralfriedhofs bestattet wurden. Etwa 1.100 Selbstmorde konnten aus den Sterbebüchern der Kultusgemeinde rekonstruiert werden, mit Spitzen direkt nach dem Anschluss im März 1938, nach der sogenannten "Kristallnacht" im November 1938 und in der Zeit der Deportationen. Mitteilungen von überlebenden Angehörigen, die manchmal erstklassige Quellen, manchmal aber auch problematisch waren, Suchlisten der UNRRA und Listen, die etwa in der deutschsprachigen New Yorker Zeitschrift "Aufbau" veröffentlicht wurden, aber auch Tagesrapporte der Gestapo waren wichtige Quellen, aus denen sich Informationen über Deportierte und Ermordete ergaben. Systematisch, so Unger, erforschte man auch, was mit den Flüchtlingen in den Emigrantenländern passiert ist. In den westeuropäischen Ländern konnte man dabei auf eine besonders gute Quellenlage zurückgreifen. Am besten war sie in Belgien, wo für jeden Deportierten eine eigene Karteikarte mit Foto angelegt wurde, aber auch die Quellen in Frankreich und in den Niederlanden waren sehr ergiebig. Dabei hat sich gezeigt, dass in den Zufluchtsländern mehr jüdische Flüchtlinge den Nazis in die Hände gefallen sind, als man bisher angenommen hat. In Frankreich waren es rund 3.300, zwischen 800 und 900 in Belgien, etwa 600 in den Niederlanden, um die 500 in Italien und 1.500 in Tschechien.
Schwieriger ist die Quellenlage in ehemaligen osteuropäischen Staaten. Mit der Slowakei läuft derzeit ein Pilotprojekt, dessen Ergebnisse dann für die Arbeiten in Ungarn und Polen Anwendung finden sollen. In der Slowakei sind die Quellen in vielen kleinen Kreis-und Stadtarchiven aufgesplittert. In derbisher eineinhalbjährigen Zusammenarbeit konnten rund 1.000 Namen ermittelt werden. In etwa zwei Jahren hofft man, so Unger auch die noch fehlenden 4.000 bis 5.000 Namen ermittelt zu haben. "Das erfordert aber einen vergleichsweise viel höheren Arbeitsaufwand und völlig fertig werden wir mit unserer Arbeit wohl nie ".