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Vor 80 Jahren, bei der Wahl zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919, ist erstmals bei einer Parlamentswahl in Österreich das allgemeine aktive und passive Wahlrecht
auch der Frauen angewendet worden. Und als am 4. März 1919 die Konstituierende Nationalversammlung zu ihrer ersten Sitzung zusammentrat, zogen auch die ersten weiblichen Abgeordneten ins Parlament
ein. 80 Jahre danach ist dieses Jubiläum im Rahmen verschiedener Veranstaltungen begangen worden; im nachstehenden Beitrag soll der Geschichte des Frauenwahlrechts in Österreich nachgegangen werden.
Wahlrechtsgrundsätze
Die Grundsätze des in Österreich geltenden Wahlrechts sind in Art. 26 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes festgelegt. Demzufolge wird der Nationalrat "vom Bundesvolk aufgrund des gleichen,
unmittelbaren, geheimen und persönlichen Wahlrechtes der Männer und Frauen, die vor dem 1. Jänner des Jahres der Wahl das 18. Lebensjahr vollendet haben, nach den Grundsätzen der
Verhältniswahl gewählt".
Insgesamt sind also sechs Wahlrechtsprinzipien in der Bundesverfassung verankert, deren Verwirklichung unterschiedlich weit zurückreicht: Das Prinzip des gleichen Wahlrechts ist grundsätzlich seit
1907 verwirklicht, bis dahin hatte · seit 1861 · ein Kurienwahlrecht bestanden, die Wählerschaft war also in Wahlkörper unterteilt gewesen, denen die Mandate nicht im Verhältnis der Zahl der in ihnen
vereinigten Wähler bzw. Bürger zugeteilt gewesen waren, sodaß insgesamt den einzelnen Stimmen sehr ungleiches Gewicht bei der Mandatsvergabe zugekommen war.
Der Grundsatz der Unmittelbarkeit des Wahlrechts ist teilweise 1873, teilweise erst 1907 verwirklicht worden: Von 1861 bis 1873 war das Abgeordnetenhaus des Reichsrates nicht direkt gewählt worden,
sondern von den Landtagen zu beschicken gewesen, und noch bis 1907 waren in den Wählerkurien der Landgemeinden die Abgeordneten nicht unmittelbar, sondern über Wahlmänner zu wählen gewesen.
Erst seit 1907 sind auch die Prinzipien des geheimen und des persönlichen Wahlrechts festgeschrieben.
Das allgemeine Wahlrecht allerdings nur der Männer ist 1896 durch Schaffung einer allgemeinen Wählerkurie eingeführt worden, während in den übrigen, bereits bestehenden Kurien insgesamt nur eine
Minderheit der männlichen Staatsbürger wahlberechtigt war; dies war insbesondere durch Anknüpfung der Wahlberechtigung an einen Zensus, also an die Entrichtung einer bestimmten direkten
Steuerleistung, vermittelt worden.
Das allgemeine Wahlrecht auch der Frauen schließlich ist erst gleichzeitig mit der Ausrufung der Republik, am 12. November 1918, verfassungsrechtlich verankert worden, nachdem zuvor nur einzelne
Ansätze für ein Frauenwahlrecht bestanden hatten.
Zugleich mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts auch der Frauen wurde 1918 auch das bis dahin verwendete Mehrheits- durch ein Verhältniswahlsystem ersetzt, sodaß mit Entstehung der
Republik endlich alle jene Wahlrechtsgrundsätze anerkannt waren, die bis heute in Geltung stehen.
Die Anfänge
Bereits 70 Jahre vor Gründung der Republik, im Jahre 1848, hatte in Österreich ein für die damalige Zeit sehr fortschrittliches Wahlrecht bestanden, das freilich nur ein einziges Mal, bei der Wahl
des konstituierenden Reichstages, zur Anwendung gekommen war: Es hatte sich dabei bereits um ein nahezu allgemeines und gleiches · allerdings nur Männerwahlrecht gehandelt. Gemäß der Wahlordnung
waren Staatsbürger nach Vollendung des 24. Lebensjahres stimmfähig und wählbar; davon ausgenommen waren nur "Dienstleute und Personen, die aus öffentlichen Wohltätigkeits-Anstalten Unterstützung
genießen".
In dieser Beschränkung des Wahlrechts wird die Haltung des klassischen Liberalismus zur politischen Berechtigung deutlich erkennbar: Für ihn ist nur derjenige wirklich frei und daher fähig, seine
politische Berechtigung unbeeinflußt auszuüben, der durch Besitz und Bildung unabhängig von anderen ist; Menschen, die als wirtschaftlich und sozial nicht selbständig angesehen wurden, auch das
politische Mitbestimmungsrecht vorzuenthalten, war daher mit dem Gedankengut vieler Liberaler durchaus vereinbar! Das Wahlrecht wird dadurch zu einem Spiegel sozialer Asymmetrien, die ihrerseits
durch das Wahlrecht eine weitere Verstärkung zu erfahren drohen!
Aus diesem wahlrechtspolitischen Ansatz erklärt sich der Ausschluß der Frauen vom Wahlrecht ebenso wie die erste Einbruchspforte zum Frauenwahlrecht, nämlich der Zugang über Besitz und Bildung. Die
Wahlordnung von 1848 hatte Frauen nicht explizit vom Wahlrecht ausgenommen, ihr Ausschluß erschien jedoch offenbar selbstverständlich, weil ihnen aus dem skizzierten gesellschaftspolitischen
Verständnis heraus die wirtschaftliche und soziale Eigenständigkeit abgesprochen wurde.
Als der Verfassungsausschuß des Reichstages in Kremsier zu Anfang des Jahres 1849 im Zuge seiner Vorberatung eines Verfassungsentwurfes, der in der Folge nicht mehr angenommen werden konnte, weil
Kaiser Franz Joseph den Reichstag vorher auflöste, auch die Wahlrechtsfrage behandelte, ging er bereits hinter das noch verhältnismäßig fortschrittliche Wahlrechtskonzept von 1848 zurück und
diskutierte verschiedene Formen der Wahlrechtsbeschränkung nach Besitz und Bildung.
Dieses Modell sollte in der Folge wiederaufgegriffen werden und in seiner Explizitmachung der Anknüpfungspunkte für Wahlrechtsbeschränkung mehr oder minder beiläufig auch jene erste Einbruchspforte
für das Frauenwahlrecht eröffnen.
Einbruchspforte: Besitz und Bildung
Nach der Niederschlagung der Revolution und der Auflösung des Reichstages hatte Kaiser Franz Joseph ohne Parlament regiert, bis ihn die Niederlage im Krieg von 1859 und die dadurch mitverursachte
Finanzkrise des Staates zwang, sich mit dem liberalen Bürgertum zu arrangieren. Der nach einigen Zwischenstufen im Februar 1861 erlassenen Verfassung, dem sogenannten "Februarpatent", war ein
"Grundgesetz über die Reichsvertretung" angeschlossen, das ein aus Abgeordneten- und Herrenhaus bestehendes Zweikammerparlament, den Reichsrat, vorsah.
Während die Mitgliedschaft im Herrenhaus durch Ernennung oder Erbrecht begründet werden sollte, sollte das Abgeordnetenhaus von den Landtagen der einzelnen Kronländer beschickt, also indirekt gewählt
werden. Diese Landtage nun waren den gleichzeitig im Rahmen des "Februarpatents" erlassenen Landesordnungen und Landtagswahlordnungen zufolge als "Interessenvertretungen" konzipiert: Das Wahlrecht
kam im strengen Sinn nicht Einzelpersonen, sondern Körperschaften zu, den bereits erwähnten Kurien, und die Stimmberechtigung in diesen Kurien wurde grundsätzlich im wesentlichen durch Besitz bzw.
Steuerleistung vermittelt.
Dahinter stand der Gedanke, daß diejenigen, die durch ihre direkte Steuerleistung Beiträge zur Erfüllung der Staatsaufgaben erbrachten, auch ihre Interessen in der staatlichen Willensbildung
repräsentiert sehen sollten. Dem Einwand, warum die indirekte Steuerleistung, die etwa auch die Arbeiter beispielsweise in Form der Verzehrungssteuer erbrachten, unberücksichtigt bleiben sollte,
konnte argumentativ nicht befriedigend entgegnet werden, er wurde freilich damals nur von wenigen politischen Außenseitern artikuliert.
So verschieden das Wahlrecht der einzelnen Landtage, die in der Folge das Abgeordnetenhaus zu beschicken hatten, auch ausgebildet war, so wies es doch in der Kuriengliederung prinzipielle
Gemeinsamkeiten auf: Die Landtagsabgeordneten wurden von den Kurien des Großgrundbesitzes, der Städte und Märkte, der Handels- und Gewerbekammern sowie der Landgemeinden entsandt, und diese
Kuriengliederung war auch bei der Delegation von Mandataren ins Abgeordnetenhaus zu berücksichtigen.
Die Voraussetzungen für das Stimmrecht in den einzelnen Kurien waren in den einzelnen Landtagswahlordnungen unterschiedlich geregelt: Knüpfte es in der Großgrundbesitzerkurie eben am Großgrundbesitz
bzw. an der Entrichtung der entsprechenden Realsteuern und in der Kurie der Handels- und Gewerbekammern am Geschäftsbesitz an, so diente in den Kurien der Städte und Märkte bzw. Landgemeinden in der
Regel das Gemeindewahlrecht als Anknüpfungspunkt, das seinerseits wieder an eine direkte Steuerleistung gebunden war, nach deren Höhe die Wahlberechtigten in Steuerklassen gegliedert waren.
Allerdings sahen die Gemeindewahlordnungen darüber hinaus in der Regel ein Wahlrecht für die Angehörigen von "Intelligenzberufen" · wie Akademiker und Lehrer · vor.
Das männliche Geschlecht als Voraussetzung für das aktive Wahlrecht war nicht grundsätzlich normiert. Dennoch kam nur in der Kurie des Großgrundbesitzes den Frauen in allen Kronländern das Stimmrecht
zu, das sie freilich in den meisten Kronländern nicht persönlich, sondern nur über Bevollmächtigte ausüben konnten. In ähnlicher Weise konnten in den Handels- und Gewerbekammern Frauen, die sich im
Alleinbesitz eines Geschäftes befanden, ihr Wahlrecht nach dem Kammergesetz nur durch den Geschäftsleiter ausüben.
In der Kurie der Städte und Märkte bzw. der Landgemeinden, also jenen Kurien, in denen die bei weitem meisten Wähler vereinigt waren, war den Frauen das Stimmrecht nur in einigen, nicht aber in allen
Kronländern zuerkannt worden, so etwa in Österreich unter der Enns, Salzburg, Tirol und Vorarlberg sowie in Böhmen und Mähren. Nur in Österreich unter der Enns und Mähren, wo ihnen das Wahlrecht
indes 1888 bzw. 1904 wieder aberkannt wurde, konnten die Frauen ihr Stimmrecht persönlich ausüben, in den übrigen Kronländern nur durch einen männlichen Bevollmächtigten bzw., wenn sie in
ehelicher Gemeinschaft lebten, durch den Ehegatten.
Vom passiven Wahlrecht waren die Frauen in fast allen Kronländern explizit ausgeschlossen. Die Ausnahme bildeten Böhmen und Galizien, wo vereinzelt auch Frauen bei den Landtagswahlen kandidierten: In
Böhmen wurde bei einer Nachwahl im Jahre 1912 eine jungtschechische Kandidatin, Bozena Viková-Kunetická, sogar in den Landtag gewählt, da dieser jedoch durch die Obstruktion der deutschböhmischen
Abgeordneten in seiner Handlungsfähigkeit völlig lahmgelegt war, konnte er sich nicht mit der Agnoszierung der Wahl befassen, deren Rechtmäßigkeit vom Statthalter in Zweifel gezogen worden war.
Besitz und Bildung waren also die Einbruchspforten für Frauen zur Erlangung des Wahlrechts: Als eigenberechtigte Steuerträgerinnen und Angehörige von "Intelligenzberufen", in die sie allerdings erst
allmählich vorstießen, waren sie zumindest aktiv wahlberechtigt. Die Tatsache, daß die Frauen in den meisten Kurien und Kronländern das ihnen zukommende Stimmrecht nicht persönlich ausüben konnten,
demonstriert demgegenüber die starken Einschränkungen, denen die Frauen in ihrer rechtlichen Handlungsfähigkeit noch unterlagen.
Rückschläge
Die Jahrzehnte von 1861 bis 1907 waren geprägt von einer schrittweisen Demokratisierung bzw. Erweiterung des Männerwahlrechts, die jedoch - auf den ersten Blick: paradoxerweise - mit einer
Einschränkung des Frauenwahlrechts einherging.
Die indirekte Wahl des Abgeordnetenhauses, also seine Beschickung durch die Landtage, wurde von den Liberalen unter anderem deshalb als unbefriedigend empfunden, weil die Möglichkeit, die Beschickung
des Abgeordnetenhauses zu verweigern, den Landtagen ein politisches Druckmittel in die Hand gab, von dem einzelne Landtage auch regelmäßig Gebrauch machten. 1873 wurde daher die direkte Wahl des
Abgeordnetenhauses eingeführt; das neue Wahlrecht entsprach zwar grundsätzlich weitgehend dem Landtagswahlrecht, es war ein Kurien- und Zensuswahlrecht, den Frauen kam das aktive Wahlrecht nunmehr
aber nur noch in der Kurie des Großgrundbesitzes (sowie indirekt in jener der Handels- und Gewerbekammern) zu.
An dieser Situation änderte sich nichts, als 1896 endlich das allgemeine · aber noch nicht gleiche · Männerwahlrecht eingeführt wurde; jene Männer aber, denen in einer der schon bestehenden vier
Kurien das Stimmrecht bereits zustand, konnten es nunmehr zweimal ausüben!
Als schließlich die Wahlreform von 1907, viel bejubelt, das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht begründete, wurde der Umstand wenig beachtet, daß die wenigen Frauen, die bis dahin das aktive
Reichstagswahlrecht in der Großgrundbesitzerkurie besessen hatten, es nunmehr verloren, sodaß bei den beiden letzten Reichsratswahlen in den Jahren 1907 und 1911 Frauen grundsätzlich vom Wahlrecht
ausgeschlossen waren.
Die Entwicklung des Parlaments von der Interessen- zur Volksvertretung, somit seine Demokratisierung, war also gleichzeitig mit einer politischen Entrechtung der Frauen verbunden. Solange es der
Besitz war, der im Parlament repräsentiert sein sollte, war das Geschlecht des Besitzers · bzw. konkret der Besitzerin · politisch weniger erheblich.
Sobald jedoch das Individuum zum Anknüpfungspunkt der politischen Berechtigung wurde (im Sinne des Grundsatzes "one man [!], one vote"), wurde das Geschlecht als Kriterium
ausschlaggebend. Eigenständige politische Betätigung war, dem konsequent entsprechend, Frauen von vornherein schon dadurch erschwert bzw. verwehrt, daß § 30 des Vereinsgesetzes von 1867
Frauen · ebenso wie Ausländern und Minderjährigen · die Mitgliedschaft in politischen Vereinen untersagte!
Da die Landtagswahlrechte bis zum Ende der Monarchie auf dem Kuriensystem bzw. dem Prinzip der Interessenvertretung beruhten, behielten die Frauen dort in der Regel ihr Stimmrecht ebenso wie in
vielen Gemeindewahlordnungen. Dennoch zeigte die Entwicklung des Reichsratwahlrechts Rückwirkungen: 1888 wurde den Frauen · mit Ausnahme jener, die in der Großgrundbesitzerkurie wahlberechtigt waren
· das Wahlrecht zum niederösterreichischen Landtag entzogen, um das Landtags- an das Reichsratswahlrecht anzupassen.
Die Zeit, in welcher politische Berechtigung über den wirtschaftlichen Status definiert werden konnte, neigte sich allmählich ihrem Ende zu. Wenn aber das Individium zum Anknüpfungspunkt der
politischen Berechtigung wurde, dann galt es, die individuelle Rechtsgleichheit von Frauen und Männern sicherzustellen, um auch die uneingeschränkte · d.h. nicht allein auf das Wahlrecht reduzierte ·
politische Berechtigung der Frauen durchzusetzen. Diesem Kampf waren die folgenden drei Jahrzehnte · die letzten drei Jahrzehnte des Bestandes der Monarchie · gewidmet.
Agitation für das Frauenwahlrecht
War die Aberkennung des Wahlrechts zum niederösterreichischen Landtag von den Frauen ohne erkennbaren Widerstand hingenommen worden, so wurden ein Jahr später, 1889, als der niederösterreichische
Landtag den eigenberechtigten steuerzahlenden Frauen auch das Gemeindewahlrecht entziehen wollte, erste Proteste laut. Es waren die vereinsmäßig organisierten Lehrerinnen und Erzieherinnen, von denen
die Agitation für das Frauenwahlrecht zunächst ausging, welcher sich jedoch bald schon Frauen aus anderen sozialen Gruppen anschlossen.
Hatte sich die Agitation zunächst punktuell · und im übrigen erfolgreich · gegen den niederösterreichischen Gemeindewahlrechtsentwurf gerichtet und hatte sie anfangs noch das klassische
Argumentationsmodell der Anknüpfung an die Steuerleistung verfolgt, so ging sie von 1891 an darüber hinaus: Am 14. Mai 1891 beschloß eine "allgemeine Frauenversammlung" in Wien, eine Petition an den
Reichsrat zu richten, in welcher die "Gewährung des Wahlrechts an alle großjährigen Staatsbürger und Staatsbürgerinnen" verlangt wurde. "Wir wollen nicht," hieß es in der Begründung, "nur Vor-und
Sonderrechte für eine bestimmte Klasse begehren und die anderen Klassen von jenen Vorteilen ausgeschlossen wissen, die wir für uns zu erlangen trachten." Folgerichtig wurde gleichzeitig die
Aufhebung des Ausschlusses von Frauen von der Mitgliedschaft in politischen Vereinen gefordert.
Diese in ihrem Anspruch überaus fortschrittliche Petition · sollte doch auch in den Folgejahren immer wieder noch das Steuerträgerinnenmodell vertreten werden · wurde von dem (nachmals
sozialdemokratischen) Abgeordneten Engelbert Pernerstorfer im Abgeordnetenhaus überreicht, fand dort aber zunächst wenig Widerhall. Als Pernerstorfer in der Wahlreformdebatte 1896 für ein
allgemeines, gleiches und direktes Wahlrecht auch der Frauen eintrat, erntete er, wie das Stenographische Protokoll vermerkt, "Gelächter".
Die Sozialdemokratische Partei war die erste, die das allgemeine und gleiche Wahlrecht auch der Frauen seit 1892 zu ihrem politischen Programm gemacht hatte. Freilich war auch sie bereit, das Ziel
der Einführung des Frauenwahlrechts zugunsten des realistischerweise eher erreichbar scheinenden Ziels einer Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts zurückzustellen, und selbst die
sozialdemokratischen Frauen ordneten sich aus Parteidisziplin dieser Prioritätenvorgabe unter.
Von 1907 an fiel dieses Hindernis weg, und so verstärkten die Sozialdemokraten ihren Kampf um die Einführung des Frauenwahlrechts, dies in Verbindung mit der internationalen sozialistischen
Frauenstimmrechtsbewegung. Nachdem auf der zweiten internationalen Frauenkonferenz im Jahre 1910 beschlossen worden war, alljährlich einen Frauentag als Kristallisationspunkt der Agitation für das
Frauenwahlrecht durchzuführen, fand aus Anlaß des ersten derartigen Frauentages in Wien im März 1911 eine machtvolle Kundgebung mit einem über die Ringstraße zum Parlament führenden Demonstrationszug
statt.
Die bürgerliche Frauenstimmrechtsbewegung, seit 1893 im "Allgemeinen österreichischen Frauenverein" organisiert, bediente sich nicht des Mittels der Straßendemonstration, sondern beispielsweise des
Instruments wiederholt an den Reichsrat gerichteter Petitionen und der Mittel der Publizistik.
Nichtsdestoweniger war der Frauenstimmrechtsbewegung vorerst kein Erfolg beschieden. Die Aufhebung des § 30 des Vereinsgesetzes, eines ihrer Ziele, wurde zwar schon 1911 vom Abgeordnetenhaus
beschlossen, erlangte jedoch aufgrund der wiederholten Unterbrechungen der parlamentarischen Arbeit nicht Gesetzeskraft. Und wann ihr Hauptziel, die Einführung des aktiven wie passiven
Frauenwahlrechts, zu erreichen sein würde, schien nicht abzusehen.
Der Durchbruch
Der Erste Weltkrieg veränderte die Situation grundsätzlich. Mit der kriegsdienstbedingten Abwesenheit vieler Männer aus ihren Berufsstellungen traten die Frauen verstärkt ins Wirtschaftsleben und
wurden für die Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft unentbehrlich. Den Frauen angesichts ihrer so veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung das Wahlrecht weiterhin
vorzuenthalten, schien ausgeschlossen · im übrigen ein Phänomen, das keineswegs auf Österreich beschränkt war, sondern die meisten kriegsbeteiligten Staaten erfaßte:
Hatten vor dem Ersten Weltkrieg in Europa nur Norwegen sowie das staatsrechtlich einen Teil des Russischen Reichs bildende Finnland für die Wahl seines Landtages das allgemeine und gleiche Wahlrecht
auch der Frauen eingeführt, so folgten eine größere Zahl von Staaten · wie z.B. Deutschland und die verschiedenen Nachfolgestaaten der Österreichisch-ungarischen Monarchie · unmittelbar nach
Kriegsende, andere erkannten den Frauen immerhin ein Wahlrecht zu, das in mancher Hinsicht jenem der Männer gegenüber eingeschränkt war: In Großbritannien beispielsweise galt für Frauen zunächst eine
höhere Wahlaltersgrenze als für Männer, erst 1928 wurde auch diese angeglichen. In Frankreich, Belgien und Italien sollte die Angleichung des Wahlrechts der Frauen an jenes der Männer erst nach dem
Zweiten Weltkrieg erfolgen. Und die Schweiz, die in beiden Weltkriegen erfolgreich neutral geblieben war, wartete mit der Anerkennung des Frauenwahlrechts bekanntermaßen bis 1971 zu.
In Österreich hatten die Sozialdemokraten noch 1917 im Reichsrat neuerlich einen Antrag auf Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts der Frauen eingebracht. Solange der Krieg andauerte, war
weder an Neuwahlen noch an die Verwirklichung einer so weitreichenden Maßnahme zu denken, außerdem waren auch die Widerstände bürgerlicher Politiker noch nicht überwunden. Sobald der Krieg jedoch zu
Ende ging, war die Einführung des Frauenwahlrechts nicht mehr aufzuhalten; verwirklicht wurde es freilich nicht mehr im "alten Österreich", in der mit Kriegsende zerfallenden Monarchie, sondern in
dem neuen Staat ,Deutschösterreich", der sich am 30. Oktober 1918 konstituierte und am 12. November 1918 seine republikanische Staatsform erklärte.
Gegründet wurde dieser Staat von den Abgeordneten der deutschsprachigen Reichsratswahlbezirke, welche die Provisorische Nationalversammlung für Deutschösterreich gebildet hatten. Nachdem diese
bereits am 30. Oktober die Einschränkungen der Vereins- und Versammlungsfreiheit aufgehoben und damit einen wichtigen Schritt zur politischen Gleichberechtigung der Frauen gesetzt hatte,
verabschiedete sie am 12. November das Gesetz über die Staats- und Regierungsform, dessen § 9 die Grundsätze des Wahlrechts für die zu wählende Konstituierende Nationalversammlung festlegte; die noch
zu beschließende Wahlordnung sollte demzufolge "auf dem Verhältniswahlrecht und auf dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Stimmrecht aller Staatsbürger ohne Unterschied des
Geschlechtes" beruhen.
Der Entwurf des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform stammte aus der Feder des sozialdemokratischen Leiters der Staatskanzlei, Karl Renner, der zehn Jahre später, auf dem Frauentag 1929, im
Rückblick erläuterte, seine Taktik sei es gewesen, von der Sache des Frauenwahlrechts "wenig Aufhebens zu machen und sie als Selbstverständlichkeit ... hinzustellen".
Diese Taktik hatte sich als sehr erfolgreich erwiesen. Erst als einige Wochen später die Ausarbeitung der Wahlordnung anstand, erhoben sich die Stimmen einiger weniger deutschnationaler Abgeordneter
gegen das Frauenwahlrecht, die jedoch, da die verfassungsmäßige Festlegung nun einmal bereits getroffen war, wirkungslos verpuffen mußten, sich allerdings trefflich dazu eignen, als Belege für die
ewiggestrige Geisteshaltung mancher Männer zitiert zu werden.
Politisch gewichtiger waren die insbesondere von den Christlichsozialen vorgetragenen Versuche, die Umsetzung des Frauenwahlrechts mit der Normierung einer Wahlpflicht zu junktimieren. Sie
befürchteten nämlich, daß es ihnen weniger gut gelingen würde als den straff organisierten Sozialdemokraten, ihre potentiellen Wählerinnen zur Beteiligung an der Wahl zu bewegen, und dachten daher an
eine Verpflichtung zur Ausübung des Wahlrechts.
Die Sozialdemokraten wandten sich begreiflicherweise dagegen, und die am 18. Dezember 1918 beschlossene Wahlordnung überließ · dies war der Kompromiß, den man in Anlehnung an die
Reichsratswahlordnung gefunden hatte · die Regelung der Wahlpflicht der Landesgesetzgebung (erst im Zuge der Wahlreform 1992 sollte diese Möglichkeit der länderweisen Einführung der Wahlpflicht bei
Nationalratswahlen aufgehoben werden).
Der Ausgang der Wahlen zur Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 bewies, daß die christlichsozialen Befürchtungen unbegründet gewesen waren. Zwar lag die Wahlbeteiligung
der Frauen mit 82,10 Prozent niedriger als jene der Männer mit 86,97 Prozent, doch nicht in jenem Maß, das erwartet worden war, und ein überproportional großer Anteil der Wählerinnen stimmte für die
bürgerlichen Parteien und insbesondere für die Christlichsozialen.
Am 4. März 1919 waren die ersten acht weiblichen Abgeordneten, sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlichsoziale, in die Konstituierende Nationalversammlung eingezogen. Neben dem aktiven hatte
damit auch das passive Wahlrecht der Frauen seinen politischen Niederschlag gefunden. Mehr als sieben Jahrzehnte nach der erstmaligen Wahl eines Parlaments in Österreich hatte das Wahlrecht einen
demokratischen Standard erreicht, der in seinen Grundsätzen bis heute unverändert geblieben ist, wenngleich das Wahlrecht in seiner Ausgestaltung · beispielsweise in der Festlegung des Wahlalters ·
naturgemäß verschiedene Veränderungen erfahren hat. Das österreichische Parlament war damit in Anpassung an die geänderten gesellschaftlichen Rollenzuschreibungen in die Lage versetzt, seine zentrale
Funktion zu erfüllen, die Funktion nämlich, die staatliche Willensbildung demokratisch zu legitimieren.
In seiner Replik auf eine die Berechtigung der Zuerkennung des Wahlrechts an die Frauen anzweifelnde Äußerung hat dies der Sozialdemokrat Karl Seitz in der der Vorberatung der Wahlordnung für die
Konstituierende Nationalversammlung dienenden Sitzung des Staatsrates am 3. Dezember 1918 so formuliert: Nachdem die Frau im Weltkrieg nunmehr in diese · wirtschaftliche und gesellschaftliche ·
Stellung gerückt sei, hätte sie nicht nur das Recht, am öffentlichen Leben teilzunehmen, sondern auch die Macht, jede gesetzgebende Körperschaft, die sie ausschließe, zur Ohnmacht zu verurteilen,
indem sie ihr die Autorität verweigere.Õ
Günther Schefbeck ist Leiter des Parlamentsarchivs