Groß wie ein Tennisplatz ist die Oberfläche der Lunge, damit sie genügend Sauerstoff aufnehmen kann. Gereinigt wird sie durch eine Vielzahl von Mechanismen. Doch genetische Veränderungen können die Selbstreinigung stören. Besonders für Raucher ist das Risiko erhöht, an Lungenkrebs oder dem chronischen Atemwegssyndrom COPD zu erkranken, wenn die Reinigungsprozesse ihrer Lunge aufgrund einer erblichen Anlage nicht mehr optimal funktionieren. Experten raten Risiko-Patienten deshalb zu einem einfachen labormedizinischen Test mit dem die Menge des Enzyms Alpha-1-Antitrypsin (AAT) bestimmt wird. Ein Mangel daran bedeutet nämlich auch ein erhöhtes Risiko für Leberzirrhose und Hautentzündungen.
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Zu den "Lungenreinigungsmitteln" gehören bestimmte Enzyme wie das Trypsin. Seine Aufgabe besteht darin, Eiweiße zu zersetzen, bakterielle Entzündungen durch Einschmelzung des Herdes zu bekämpfen, oder die durch Zigarettenrauch und Luftverschmutzung gestarteten Abwehrprozesse zu unterstützen. Trypsin ist jedoch ein recht scharfer "Reiniger", der unter Umständen, ähnlich einem aggressiven Haushaltsreiniger, nicht nur Schmutz beseitigt, sondern auch die Oberfläche angreift.
Glücklicherweise besitzt der menschliche Körper mit dem Enzym AAT einen natürlichen Neutralisator, der Trypsin gezielt abbauen kann und so schädigende Prozesse verhindert. "Allerdings liegt AAT in der Bevölkerung in vielen unterschiedlichen Varianten vor, von denen einige nur sehr schwach wirken", erklärt der Humangenetiker Prof. Klaus Zang (Homburg). Das Enzym, das vorwiegend in der Leber, in bestimmte Blutzellen und in den Fresszellen der Lungen gebildet wird, kann aufgrund einer Erbkrankheit auch von vornherein in zu geringen Mengen gebildet werden, ergänzt der Biochemiker Dr. Wolfgang Hübl, Uni Wien.
"Fast alle Raucher mit einem AAT-Mangel entwickeln zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr eine obstruktive (verengende) Atemwegserkrankung", warnt Prof. Erich Russi von der Uni Zürich. Deren Lebenserwartung sei in der Regel zehn bis 20 Jahre geringer, schätzen Lungenexperten. Zwar entwickelten auch Nicht-Raucher mit einem AAT-Mangel eine Lungenerkrankung, vorwiegend Emphyseme und COPD. Dies sei allerdings später als bei Rauchern der Fall und zudem hätten sie meist eine nahezu normale Lebenserwartung.
Vor diesem Hintergrund erachten Fachleute es als sinnvoll, zum Beispiel zwischen einem AAT-Emphysem und dem Raucher-Emphysem zu unterscheiden. Das Krankheitsrisiko von Rauchern steigt also nicht nur mit der Zigarettenmenge, es ist auch von einem vorhandenen AAT-Mangel abhängig. Dies würde auch erklären, warum nicht jeder Raucher zwangsläufig an einer mit Schleimbildung, Husten und Atemnot einhergehenden COPD erkrankt.
Da ein AAT-Mangel die häufigste Erbkrankheit in Nord- und Mitteleuropa darstellt (etwa 12.000 Menschen in Deutschland) sprechen sich manche Fachleute sogar für eine generelle Testung Neugeborener aus, da bei AAT-Mangel auch die Gefahr einer Lebererkrankung besteht. Prof. Roland Buhl, Pneumologe an der Uni Mainz, hält dies zwar für kaum durchsetzbar. Wenigstens aber sollten sich
Risiko-Patienten auf einen AAT-Mangel untersuchen lassen. Buhl nennt dabei Menschen, die bereits vor dem 50. Lebensjahr an einer COPD leiden, solche aus Familien mit gehäufter COPD, erstgradige Verwandte von Personen mit bereits nachgewiesenem AAT-Mangel, sowie Asthmatiker.
Bei solchen Menschen kann mit der Verabreichung eines AAT-Präparates die Lungenfunktion verbessert und die Sterblichkeit günstig verringert werden. Aktuell wird die EU-Zulassung des Präparates Zemaira durch den Konzern Behring erwartet. Obwohl potente Wirkstoffe zur Verfügung stehen, raten Lungenärzte Menschen mit AAT-Mangel - und natürlich nicht nur diesen - vorsorglich: Schluss mit dem Rauchen.