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Ab wann beginnt die Gier?

Von WZ-Korrespondent Steffen Klatt

Politik
So viel Geld, dass man gar nicht weiß, wohin damit: Ein Aktivist der Schweizer Jusos wirft bei einer Protestaktion mit falschen Banknoten um sich. Eine Maske von Ex-Novartis-Chef Vasella darf da nicht fehlen.
© reu

Spitzensaläre von 50 Millionen Euro stimmen selbst die Schweizer ungehalten.


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Zürich. Johann Schneider-Ammann ist eigentlich nicht betroffen. Als Schweizer Wirtschaftsminister verdient er gut, aber nicht zwölfmal mehr als die Niedrigverdiener in der Bundesverwaltung. Auch vorher als Chef der Ammann-Gruppe, einem mittelständischen Maschinenbauer im Kanton Bern, hat er nach eigenen Angaben weniger als das Zwölffache seines geringstbezahlten Angestellten verdient.

Dennoch kämpft Schneider-Ammann derzeit landauf, landab gegen eine Annahme der 1:12-Initiative. Diese Initiative sieht vor, die Manager-Gehälter in den Schweizer Unternehmen zu deckeln. Mehr als das Zwölffache des niedrigsten Lohnes soll es künftig nicht mehr geben. Wenn dieser Vorstoß, über den die Eidgenossen am Sonntag abstimmen, angenommen würde, dann wäre die Wettbewerbsfähigkeit Schweizer Unternehmen gefährdet, so der Minister. Es widerspräche auch der liberalen Tradition des Landes, nach der Lohnfragen weitgehend den Sozialpartnern überlassen werden. "Ich halte es für völlig verfehlt, freiwillig und ohne Not und nur aufgrund Verfehlungen Einzelner auf die Werte zu verzichten, die unser Land stark gemacht haben", sagt Schneider-Ammann.

Novartis-Chef als Wegbereiter

Wenn der Wirtschaftsminister von Einzelnen spricht, dann meint er unter anderem Daniel Vasella. Der ehemalige Konzernchef und Verwaltungsratspräsident des Basler Pharmariesen Novartis hat sich regelmäßig ein Gehalt in zweistelliger Millionenhöhe ausgezahlt. Und bei seinem Abgang dieses Jahr wollte sich Vasella nochmals einen Nachschlag in Höhe von umgerechnet 58 Millionen Euro gönnen. Erst als der öffentliche Aufschrei zu groß wurde, verzichtete der 60-Jährige schließlich.

Doch Vasella ist kein Einzelfall. Auch ein paar Dutzend anderer Spitzenmanager zahlen sich Löhne in mehrfacher Millionenhöhe. Die Schweizer Medien haben sich sogar die Mühe gemacht, die größten Differenzen zwischen oben und unten auszurechnen: Demnach betrug etwa das höchste Gehalt beim Lebensmittelkonzern Nestlé im Jahr 2011 das 73-Fache des niedrigsten. Der Chef des Bankkonzerns Credit Suisse verdiente 2010, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, mit 58 Millionen Euro gar 1812 Mal so viel wie der schlechtestbezahlte Mitarbeiter in seinem Unternehmen. Für die Schweizer Jungsozialisten, die die 1:12-Initiative lanciert haben, ist all das vor allem ein Ausdruck der Selbstbedienungsmentalität vieler Manager.

Noch Anfang Oktober lagen Befürworter und Gegner der Initiative in den Umfragen mit 45 Prozent gleichauf. Den Jungsozialisten, die mittlerweile auch von den Gewerkschaften unterstützt werden, kam zugute, dass viele Schweizer das Vertrauen in die Wirtschaft verloren haben. Dass die 2008 mit Steuergeld vor der Pleite gerettete Großbank UBS dem ehemaligen deutschen Bundesbanker Axel Weber knapp vier Jahre später ein Begrüßungsgeld in Höhe von 3,27 Millionen Euro überwies, konnten nur die wenigsten nachvollziehen. Der daraus entstandene Frust unter den Stimmbürgern kam bereits in der Annahme der Abzockerinitiative Anfang März zum Ausdruck, als rund drei Viertel der Stimmbürger und alle Kantone der Selbstbedienung von Vorständen und Verwaltungsräten einen Riegel vorschoben und den Aktionären deutlich mehr Mitsprache bei der Gehaltsgestaltung einräumten.

Zustimmung schwindet

Doch der Wind scheint sich zuletzt wieder ein wenig gedreht zu haben, wohl nicht zuletzt auch, weil Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parteien in den vergangenen Wochen ihren Kampf gegen die Initiative intensiviert haben. Sie verweisen unter anderem darauf, dass viele international tätige Unternehmen in der Schweiz ihren Sitz haben. Unternehmen wie der Pharmakonzern Roche, der Lebensmittelriese Nestlé, der Technologiekonzern ABB, die Großbanken UBS und Credit Suisse und der Rohstoffgigant GlencoreXstrata könnten mit Maximallöhnen von rund 400.000 Euro kaum noch internationale Talente anziehen. Die Argumente scheinen zu wirken. Laut einer aktuellen Umfrage wollen am Sonntag nur noch 36 Prozent die Initiative annehmen, 54 Prozent sie ablehnen.

Doch die Initiative wirkt auch so. Über Jahrzehnte hinweg galten Fragen nach dem Gehalt in der Schweiz fast schon als unanständig, doch nun diskutieren die Bürger schon seit Monaten darüber, wie viel Gehalt den Unternehmenslenkern denn eigentlich zusteht. Und bereits jetzt klagen Bauunternehmer und Immobilienfirmen rund um Zürich, dass sie angesichts der schmelzenden Banker-Boni keine Käufer mehr für ihre Luxusobjekte finden.