Verlieren ist schlimm, doch mit dem Schlusspfiff zu verlieren, ist die bitterste Form der Niederlage.
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Es gibt einen Nebensatz, der im Fußball untrennbar mit seelischen Schmerzen verbunden ist: "Aber trotzdem gut gespielt." In ihm ist das Scheitern inbegriffen, und er findet immer dann Anwendung, wenn eine Mannschaft eine besonders bittere, unglückliche Niederlage bezogen hat.
Und in Ehren zu verlieren oder, wie die Schweiz, sogar auszuscheiden, ist weit schlimmer als mit Schimpf und Schande verabschiedet zu werden. Zumindest für die Fans. Denn wem sollen sie dafür die Schuld geben? Haben eh alle gut gespielt, und der Trainer hat auch keine Fehler gemacht. Man sympathisiert mit den tapferen Verlierern, leidet mit ihnen und verstärkt so das Selbstmitleid, das diese Niederlagen zwangsläufig auslöst. Denn es war eben einfach nur Pech. Doch das Pech ist nicht greifbar, hat kein Gesicht, keine Adresse.
Man möchte am Mittwoch kein Schweizer gewesen sein, wenn man denn das überhaupt irgendwann vorgehabt hätte. Doch am Mittwoch sicher nicht. Die Partie gegen die Türken war eines jener Spiele, in denen sich jeder Fan ganz elementare Fragen stellt: Warum ist Fußball so? Warum bin ich Fußballfan? Warum wurde dieser Sport überhaupt erfunden?
Ein entscheidender Treffer mit Schlusspfiff ist die bitterste Möglichkeit, zu verlieren. Er lässt keine Zeit mehr, zurückzuschlagen, alles noch einmal zu versuchen, um doch noch den Ausgleich zu erzielen. In der Sekunde des Tores wird den Fans eben das bewusst. Es folgen tiefe Leere und Frust, der aber keinen Adressaten findet.
Dazu muss man freilich auch wissen, wie es großen Anhängern während eines solchen Entscheidungsspiels geht. Schon vor der Partie baut man eine Spannung auf, die sich während des Matches noch verstärkt. Und sie kann durchaus physische Auswirkungen haben. In der Magengegend wurlt es, als würde man dem neuen Schwarm gegenüberstehen. Doch es sind keine Schmetterlinge im Bauch eher eine Aal-Party, die da im Verdauungstrakt abgeht.
Jede Chance des Gegners ist wie ein Schlag in die Magengrube, schießt der eigene Stürmer um Zentimeter vorbei, werden Pulsschlag und Blutdruck in die Höhe geschraubt. Man ist fassungslos, wird gleichzeitig von Angst- und Euphoriegefühlen heimgesucht.
Und dann kommt das Tor: Aus. Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung. Keine Möglichkeit, etwas zu ändern, keine Hoffnung mehr auf eine Fügung des Glücks.
Die Aale setzen sich zur Ruhe, der Blutdruck senkt sich, die Angst weicht der Enttäuschung. Es kann mitunter ziemlich lange dauern, bis Fans einigermaßen ansprechbar sind und noch länger bis sie selbst fähig sind, Worte zu finden. Und die ersten Worte, die sich dann zu einem Satz zusammenfügen, sind eben die - "Aber trotzdem gut gespielt."