Premier Abe wollte mit Wahlen seine Position festigen. Seine frühere Mitstreiterin Koike kann das verhindern.
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Tokio. Ihre Schritte auf weißen Stöckelschuhen hallen in einem dunklen Gang wider. Yuriko Koike schreitet zwischen zwei älteren Japanern hindurch, einer hält eine Zigarette in der Hand. "Auf Wiedersehen, Interessenpolitik!" leuchtet ein Schriftzug auf. Gefolgt von vier Männern im schwarzen Anzug, geht die Politikerin dem sprichwörtlichen Licht am Ende des Tunnels entgegen.
"Einfach erdulden, oder zusammen ändern?", fragt sie in einem Video. So wirbt die Gouverneurin von Tokio für ihre neue Partei, mit der sie schon jetzt die japanische Politik aufmischt - und womöglich die Pläne von Premierminister Shinzo Abe durchkreuzt.
Am Donnerstag hat Japans Ministerpräsident mehr als ein Jahr früher als vorgesehen das Unterhaus aufgelöst und Neuwahlen für den 22. Oktober angesetzt. Doch aus einer scheinbar sicheren Sache ist für Abe, der Japan seit bald fünf Jahren fest in der Hand hat, womöglich ein riskantes Spiel geworden.
Konnte er sich bisher sicher sein, ohne echte Konkurrenz als klarer Sieger hervorzugehen, droht ihm nun eine frühere Parteikollegin wenn schon nicht das Amt, so doch die Lorbeeren wegzunehmen: Mit ihrer vor wenigen Tagen gegründeten Partei Kibo no To (Partei der Hoffnung) könnte Koike den regierenden Liberaldemokraten (LDP) empfindliche Verluste zufügen. Ihr Potenzial hat sie bereits bei ihrer Wahl zur Gouverneurin unter Beweis bestellt.
Nun will sie diesen Erfolg auf nationaler Ebene wiederholen. Kibo no To präsentiert sich als "tolerante, konservative Reformpartei". Mit Zielen wie dem Aufschub der Erhöhung der Konsumsteuer von acht auf zehn Prozent oder dem Ausstieg aus der Atomkraft geht die Parteivorsitzende auf Stimmenfang. In ihrem am Mittwoch vorgestellten Programm hat sich die Partei außerdem auf die Fahnen geschrieben, Steuern effizient zu verwenden und eine "realistische Diplomatie und Sicherheitspolitik, die im Pazifismus begründet ist" anzustreben. Die Gouverneurin tritt mit dem Versprechen an, die Verfilzung in der Politik auszumerzen. Japan wird seit Ende des Zweiten Weltkrieges fast durchweg von der LDP regiert, der Koike selbst bis letzten Sommer angehörte.
Nordkorea-Krise stärkte Abe
Mit ihrem angekündigten Kampf gegen die Vetternwirtschaft rennt die 65-jährige frühere Fernsehmoderatorin bei den Wählern offene Türen ein. Abe konnte lange nichts etwas anhaben, doch schlitterte er im Sommer durch zwei Skandale in die größte Krise seiner Amtszeit. Beim Bau einer Schule und einer neuen Veterinärhochschule soll Abe seinen Einfluss zugunsten von Bekannten geltend gemacht haben. Viele Japaner nahmen ihm zudem seine Arroganz übel, mit der er zuvor umstrittene Maßnahmen - wie etwa ein Geheimhaltungsgesetz, das die Pressefreiheit beschränkt - durchgedrückt hatte. Erst durch die Nordkorea-Krise, bei der sich der als "militärische Falke" bekannte Politiker profilieren konnte, erholte er sich vom Stimmungstief.
Um nicht erneut unter Druck zu geraten, hat Abe nun Neuwahlen angesetzt - auch wenn er etwas anderes behauptet. Abe selbst sagt, er wolle mit einem neuen Mandat zwei "nationalen Krisen" begegnen: der überalternden und schrumpfenden Gesellschaft - in Japan ist jeder vierte Bürger im Pensionsalter -, sowie der militärischen Bedrohung durch Nordkorea. Das Nachbarland ängstigte viele Japaner mit zwei Raketentests, die über Japan in den Pazifik flogen.
Schon jetzt hat Koikes neue Partei für erheblichen Wirbel gesorgt. Mehrere hochrangige Mitglieder der in die Bedeutungslosigkeit abgleitenden oppositionellen Demokraten (DPJ) wechselten zur Hoffnungspartei. Auch wenn die Zeit bis zur Wahl knapp ist, was für die Neulinge den Wahlkampf erschwert, dürfte sich Abe verspekuliert haben. Koike gibt sich kampfeslustig: "Wir stellen uns nicht zur Wahl, um Oppositionspartei zu werden. In dieser Wahl geht es darum, Macht zu gewinnen", sagte sie.
Bisher bestreitet Koike, dass sie es auf Abes Amt abgesehen hat. Aber nicht wenige Beobachter räumen ihr Chancen ein. Unabhängig vom Ergebnis der Wahl, darf sich Abe wohl dennoch weiter erhoffen, Japans pazifistische Verfassung zu ändern und das Land zu remilitarisieren. Denn bei der Sicherheitspolitik sind Koike, die einst Verteidigungsministerin war, und er aus ähnlich erzkonservativem nationalistischen Holz geschnitzt.