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Abfallvermeidung - ein prekäres Anliegen?

Von Gerhild Schutti

Gastkommentare
Gerhild Schutti ist Politologin und medizinisch-technische Analytikerin. Sie verfasste eine Dissertation zum Thema "Nachhaltigkeit in Zeiten des Wachstumsdilemmas".

Für die Reduzierung der immer größer werdenden Abfallberge fühlt sich die gewinnorientierte Abfallwirtschaft nicht zuständig.


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Die Wiener Abfallberater machten jüngst auf ihren Arbeitskampf aufmerksam: Sie wollen die Fortsetzung ihres bis dato prekären Dienstverhältnisses nicht länger hinnehmen. Die MA 48 gestand nur wenigen eine vertragliche Besserstellung zu und begründete ihr Vorgehen mit Sparzwängen und der Erfordernis für Prioritätensetzungen. Die zweifellos berechtigte Klage der Betroffenen offenbart daher eine denkwürdige Haltung: Die städtische Umweltpolitik weist der Abfallberatung einen geringen Stellenwert zu. Zweifellos paradox, zumal das jährliche Müllaufkommen nach wie vor steigt und eigentlich Potenzial für die weitere Professionalisierung der Branche bestünde.

Zwar ließe sich vordergründig argumentieren, dass die Aufklärung der Bevölkerung über geeignetes Verhalten bei der Mülltrennung nicht ein überwiegend akademisch gebildetes Personal erfordere. Dabei wird aber übersehen, dass Abfallberater auch den nicht minder wichtigen Beratungsschwerpunkt Abfallvermeidung abdecken. Für diesen fühlt sich die gewinnorientierte Abfallwirtschaft nämlich nicht zuständig. Es liegt auf der Hand, dass die Wegrationalisierung der städtischen Abfallberatung nichts Gutes verheißt: Implizit wird damit der einträgliche Sektor der Abfallwirtschaft und damit das Eigeninteresse von Industrie und Handel gefördert. Letzteres orientiert sich an der Aufrechterhaltung einer Wegwerfgesellschaft, die dem Trend der Schnäppchenjagd und dem Motto "Geiz ist geil" huldigt. Mit Berufung auf modernste Recycling- und Entsorgungstechnik wird der Eindruck vermittelt, Abfall sei heutzutage kein Problem mehr. Über die immer aufwendigeren Entsorgungsmethoden vieler technischer Produkte wird nicht informiert, auch nicht über den Umstand, dass es 500 Jahre dauert, bis Plastik verrottet. Geht es doch darum, Produktion und Konsum in Gang zu halten. Abfallvermeidung wirkt hier geschäftsschädigend. Es ist daher kein Zufall, dass die Industrie selbst die Entsorgung in die Hand nimmt und regelmäßig zu Entsorgung und Neukauf einlädt - Letzterer wird durch technische Sollbruchstellen erzwungen und mit Preissenkungen und dem Energieeffizienz-Argument beworben. Potenzial für Abfallvermeidung besteht aber zweifelsfrei auch bei Verbrauchsgütern, etwa bei Lebensmittelverpackungen.

Auch die Politik zeigt wenig Interesse, dem Wegwerf-Trend ernsthaft zu begegnen. Dabei müsste das Thema Abfallvermeidung dringend prioritär behandelt werden, statt es einem vermeintlichen Wachstumszwang zu opfern. Um neue Wege zu gehen, etwa durch die Förderung von (Reparatur-)Dienstleistungen, um die Lebensqualität der Stadt und ihren grenzüberschreitenden Vorbildcharakter zu bewahren, muss das Betätigungsfeld und der Aktionsradius der Abfallberater in der Öffentlichkeit und in den Schulen ausgeweitet und vertieft werden. Immerhin bilden die vielzitierten "politischen KonsumentInnen" noch eine Minderheit. Die rot-grüne Koalition in Wien könnte gewohnte Handlungsstrategien hinterfragen und neue Akzente setzen, etwa in Form einer Förderpolitik zugunsten von Abfallvermeidung.