Franz Karl Ginzkey war einst ein Star-Autor: ein skeptisches Porträt zum 150. Geburtstag am 8. September.
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"Ich träumte, ich wäre Baron geworden/ Und bekäme den silbernen Drachenorden,/ Nur dritter Klasse, höher ging’s nicht./ Doch hatte er gut an drei Kilo Gewicht." So beginnt die "Ballade vom silbernen Drachenorden", einem jener literarischen "Seitensprünge ins Wunderliche", die Franz Karl Ginzkey gelegentlich unternahm und die in seinem Buch "Der Tanz auf einem Bein" gesammelt sind. Der Traum, den er hier mit sichtlichem Vergnügen schildert, wurde niemals Wirklichkeit. Weder wurde der 1871 im alten österreichischen Militärhafen Pola geborene Dichter vom Kaiser geadelt noch hatte er jemals an der schweren Bürde des ominösen Drachenordens zu tragen - an Ehren und Würden aber mangelte es ihm zu keiner Zeit.
Als 1906 sein erster großer Gedichtband, "Das heimliche Läuten", erschien - von Peter Rosegger an den Leipziger Verlag Staackmann vermittelt und im "Heimgarten" begeistert rezensiert -, wurde ihm der Bauernfeld-Preis zugesprochen, einer der damals renommiertesten Literaturpreise Österreichs; in der Ersten Republik machte ihn die Universität Wien zu ihrem Ehrendoktor; der Ständestaat ernannte ihn zum Staatsrat; während der NS-Zeit verlieh die Stadt Wien ihm ihren Ehrenring; die Zweite Republik schließlich ehrte ihn mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und einer vierbändigen Werkausgabe, die rechtzeitig zu seinem 90. Geburtstag erschien.
Verblasster Ruhm
"Welcher Reichtum, welche Lebenskraft - zwei Gedichtstrophen und drei Seiten aus einer Novelle genügen, um des Dichters Größe ahnen zu lassen", bemerkt der Herausgeber Kurt Eigl euphorisch in seiner Vorbemerkung und schließt mit den Worten: "Für Franz Karl Ginzkey wird immer wieder eine Generation geboren werden, in deren Mitte er lebt."
Eine Prophezeiung, die sich nicht erfüllt hat. Ginzkeys literarischer Ruhm ist mittlerweile verblasst, die Anerkennung, die prominente Zeit- und Zunftgenossen wie Hermann Hesse, Thomas Mann und Stefan Zweig ihm zollten, klingt heute wie eine ferne Sage, der man kaum noch Glauben schenken mag.
Ginzkeys Name ist längst aus den Schullesebüchern verschwunden, in denen er früher mit manchen seiner Alt-Wiener Balladen vertreten war; keiner seiner Romane, wie etwa "Der von der Vogelweide", erstmals 1912 erschienen und einst viel gelesen, ist heute noch lieferbar, und selbst jene seiner Gedichte, die lange ihren festen Platz in den einschlägigen Lyrikanthologien zu behaupten wussten, wie seine formvollendeten Verse auf die geometrische Figur der Tagente ("Ich bin von Anbeginn. Mein Weg ist weit/ Und meine Sehnsucht heißt Unendlichkeit"), finden kaum noch Beachtung und zählen nicht mehr zum lyrischen Repertoire.
Lediglich zwei Texte aus Ginzkeys Feder sind nach wie vor im allgemeinen Bewusstsein verankert: die Worte der niederösterreichischen Landeshymne ("O Heimat, dich zu lieben ..."), zwei Jahre nach dem Tod des Dichters per einstimmigem Landtagsbeschluss in diesen Rang erhoben, und das erstmals 1904 erschienene Kinderbuch "Hatschi Bratschis Luftballon", jene abenteuerliche Mär vom bösen Zauberer aus dem Morgenland, die bis heute allen Versuchen trotzt, sie in den Giftschrank schwarzer Pädagogik zu verbannen.
"Am schlimmsten dünkt es mich, zu leben/ In einer gnadenlosen Zeit", heißt es in einem der "Lebenssprüche", die Ginzkey am Ende seiner Laufbahn zu Papier brachte. Die Epoche, die er durchmessen hat, war eine solche gnadenlose Zeit, und er hat ihr, wie viele andere auch, mit der Feder Tribut gezollt: unter verschiedenen Regimen, immer in der Illusion, ein unpolitischer Dichter zu sein, der über den Zeiten steht.
"Es verlockt mich oft, aus einer tollen Laune heraus, mich als den Herrn aller Zeiten zu erklären, die schließlich nirgendwo als in mir allein versammelt sind, alle Zeitfolge aufzulösen, alles nebeneinander hinzuleben, wie etwa, etwas frivol gesagt, auf einem großen Maskenball, wo alle Kostüme vertreten sind", bekennt der Maler Ackermann, der Protagonist von Ginzkeys Novelle "Rositta" (1920), und spricht dem Autor damit wohl aus der Seele.
"Ich bin noch von der alten Schule/ Und bin ein Freund des Königs von Thule. [...]/ Doch bin ich auch von der neuen Zeit,/ Den Wundern der Forschung zugeweiht", heißt es in einem lyrischen Selbstbild, und in der Tat: In seiner Persönlichkeit vereinte Franz Karl Ginzkey zeittypische ebenso wie unzeitgemäße Tendenzen, einander widersprechende, ja widerstreitende Haltungen. In jungen Jahren hatte er die pazifistische Vision vom "Weltenfeiertag" ("Daß immer friedensvoller werde/ Dem Erdenkind die Mutter Erde,/ Bis ihr ein Weltenvolk entblüht/ Mit feiertäglichem Gemüt") - und beteiligte sich, als man 1914 zu den Waffen rief, eilfertig an der literarischen Generalmobilmachung.
In seinem Werk, besonders in seinen autobiographischen Erzählungen, manifestiert sich deutlich die übernationale Prägung, die er als Zögling der kakanischen Kadettenanstalten erfuhr, zugleich aber auch die Neigung, nationale Gegensätze zu betonen und ein Hang zur Deutschtümelei, der sich oft nur in kleinen Details offenbart.
Angepasste Texte
In seinem frühen Roman "Geschichte einer stillen Frau" (1909) etwa, mit dem Ginzkey der Landschaft des Murtals rund um die alte steirische Sommerfrische Pernegg, wo er viele Sommer verbrachte, ein literarisches Denkmal setzte, begegnet ein Mann im Vorübergehen einem geheimnisvollen, kränklich aussehenden Mädchen; das flüchtige Bild verfestigt sich augenblicklich zum Stereotyp: "Es hatte eines jener feinen, schlichten, klaren Gesichter, die so ‚deutsch und treu‘ sind, dachte er, mit ernsten, aus der Tiefe blickenden blauen Augen."
Mehr als vierzig Jahre und zwei Weltkriege später unterzog Ginzkey diesen Text einer gründlichen Revision, straffte und vereinfachte, wo immer es ihm nötig schien. Nun heißt es von dem selben Mädchen an entsprechender Stelle: "Es hatte eines jener feinen, besinnlichen Gesichter, die herben, verschlossenen Menschenkindern oftmals eigen sind ..."
Opportunismus oder nicht, Anpassung an den sich wandelnden Zeitgeschmack oder nicht, Ginzkey scheint sich zumindest eines bis ins hohe Alter bewahrt zu haben: ein gutes Ohr für hohle Phrasen, nicht zuletzt die eigenen.
Christian Teissl, geb. 1979, lebt als freier Schriftsteller in Graz.
www.christianteissl.at