Nach einer emotionalen Debatte gab der Deutsche Bundestag grünes Licht für Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland. Angefeindet wurden vor allem CDU-Finanzminister Schäuble und SPD-Wirtschaftsminister Gabriel.
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Berlin/Wien. Ein einziges Mal applaudieren alle Fraktionen Angela Merkel am Freitag. Und zwar, bevor die deutsche Kanzlerin am Rednerpult im Bundestag steht. Merkel begeht ihren 61. Geburtstag im Parlament. Finanzminister Wolfgang Schäuble überreicht ihr einen Strauß Sonnenblumen, Bundestagspräsident Norbert Lammert wünscht der Regierungschefin eine "gute Hand bei den besonderen Herausforderungen, die wir in Europa haben". Kurz nach 10 Uhr ist es - und der angenehme Teil des Arbeitstages für Merkel schon beendet. Denn die Kanzlerin muss für die Aufnahme von Verhandlungen für ein drittes Griechenland-Hilfspaket werben. Wie in sechs weiteren EU-Ländern, darunter auch Österreich, haben die Parlamentarier in dieser Frage das letzte Wort. Die Anspannung im Bundestag ist groß. Und das, obwohl Merkel eine breite Mehrheit hinter sich weiß.
Ostentativer Dank an Schäuble
Viel Kritik haben die seit Tagen diskutierten Auflagen für Griechenland nach sich gezogen. Noch mehr aber die deutsche Verhandlungstaktik, allen voran das Szenario eines temporären Grexit, das Schäuble zeichnete. Von Erpressungsmethoden im Gegenzug für die - derzeit - 86 Milliarden Euro aus dem Eurorettungsschirm ESM ist seitdem die Rede, Analogien zum Dritten Reich werden gezogen, etwa in der britischen Zeitung "Telegraph"; dass sich Deutschland Europa Untertan machen möchte, nur diesmal ohne Waffengewalt. Es ist eine emotional aufgeladene Stimmung, in der sich der Bundestag trifft - und Emotionen sind genau jenes Terrain, auf dem sich Merkel am schlechtesten bewegt.
Ihre Rede hat die Kanzlerin vor sich liegen, sie liest den größten Teil des Textes ab. Zwischendurch hebt sie den Blick in Richtung der Abgeordneten. Merkels Hände suchen Halt an den Kanten des Rednerpultes, gelegentlich formt sie die Hände zur bekannten Raute. Merkel wiederholt ihr Credo der vergangenen Tage: "Der Euro ist mehr als eine Währung. Er steht für die europäische Einigung. Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft." Doch bei den Streitereien in den Wochen zuvor seien die wichtigsten Währungen des Miteinanders verlorengegangen: Verlässlichkeit und Vertrauen, sagt die Kanzlerin.
Applaus aus den Reihen der eigenen Fraktion erhält Merkel erstmals, als sie betont, mit ihr gebe es kein Ende der Rechtsgemeinschaft und der Verantwortungsgemeinschaft. Routiniertes Klatschen wandelt sich wenig später in lange Ovationen der Abgeordneten von CDU und CSU, als die Kanzlerin an Wolfgang Schäuble ein "herzliches Danke" für seine Verhandlungen richtet. Wenn schon einige Konservative mit der Faust in der Tasche für die Verhandlungen über das Rettungspaket stimmen, dann wollen sie zumindest diesen kurzen Moment genießen und ihren gar nicht heimlichen Helden feiern.
Schäuble nimmt die Ovationen mehr hin denn an. Er klopft in jenen 30 Sekunden ungeduldig mit den Fingerkuppen auf den Tisch vor ihm. Keine Miene verzieht der Finanzminister, auch nicht, als der neben ihm sitzende Verkehrsminister Alexander Dobrindt zu feixen beginnt.
"Elend an der SPD-Spitze"
Für die Opposition ist die Bundestagsdebatte Zeit, mit Schäuble politisch abzurechnen: "Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören", schmettert ihm Gregor Gysi entgegen. Der Fraktionschef der Linkspartei geißelt das "Europa der Banken", in dem die Europäische Zentralbank der "größte Machtfaktor" sei. Und er erinnert Schäuble, der sich vehement gegen einen Schuldenschnitt für Griechenland stemmt, an die deutsche Finanzgeschichte: "Nach dem Ersten Weltkrieg musste Deutschland 123 Milliarden Goldmark an Reparationen zahlen, das entspricht 700 Milliarden Euro. 1953 wurde Deutschland die Hälfte davon erlassen, eine Stundung der Zahlungen bis nach der deutschen Einheit vereinbart. Erst im Oktober 2010 erfolgte die letzte Rückzahlungsrate", sagt Gysi.
Wovon Deutschland einst profitierte, wolle die Regierung Griechenland heute nicht zugestehen. Der sozialdemokratische Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel springt Schäuble bei: "Die SPD ist allen dankbar, die mitgeholfen haben, dass Europa diese Bewährungsprobe besteht." Gabriel verweist auf "Korruption und Klientelismus in Griechenland, was den Aufbau staatlicher Strukturen unmöglich" machen würde.
In der Diagnose der Griechenland-Krise sind sich die Spitzen von CDU und SPD also einig. Das macht die Arbeit in der Koalition leichter, das Dilemma der Sozialdemokraten wird bei der Debatte aber nur allzu deutlich: Gabriel bemüht sich um eine eigene Handschrift. Er kritisiert fehlende Wachstumsinitiativen, er fordert, das Vermögen griechischer Steuerflüchtlinge in den EU-Ländern einzufrieren, um kein "Rückzugsraum für asoziale griechische Superreiche" zu sein. In der seit Wochen von Politikern und Medien teils hysterisch geführten Griechenland-Debatte gehen sachpolitische Vorschläge wie jene Gabriels jedoch unter: typisch für eine SPD, die in der Wählergunst bei 25 Prozent einzementiert ist. Grünen und Linkspartei dient Gabriel neben Schäuble als Watschenmann: "Was ist nur aus der SPD geworden? Ein Vorsitzender ohne Kompass", stöhnt die grüne Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. "Wie lange wird die SPD dieses Elend an der Spitze ertragen?", fragt die Linke Sahra Wagenknecht.
An Merkel zieht die Kritik zumeist vorüber. Als wäre der Rahmen des dritten Hilfspakets nicht eine Entscheidung der Euro-Regierungschefs gewesen, sondern von Schäuble höchstselbst. In seinem Windschatten gibt Merkel die Moderatorin des politischen Prozesses, hinter der sich die breite Masse versammelt. Wer seit fast zehn Jahren Regierungschefin ist, weiß, wann Zeit zum Abtauchen ist. Schäuble hingegen trägt die Anfeindungen wie ein Gütesiegel vor sich her: "Ich bin so abgehärtet nach einem langen politischen Leben. Was mich quält, ist, meiner Verantwortung gerecht zu werden. Eine Lösung zu finden, um Abgeordneten und Bürgern sagen zu könne, diese Lösung funktioniert - nicht losgelöste Polemik."
Auch ÖVP und SPÖ sagen Ja
Ob das dritte Griechenland-Paket funktionieren wird, weiß niemand. Es sei die "letzte Chance" für das Land, sagt Merkel. 439 der 598 Abgeordneten folgen schließlich dem Regierungsantrag. Von den 119 Gegnern stellen 60 CDU/CSU-Politiker die größte Gruppe, vor der Linkspartei, die geschlossen mit Nein stimmte.
Ein Ja kam am Freitag auch aus dem heimischen Nationalrat, allerdings wie erwartet nur mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP. Und in Estland billigte der Europa-Ausschuss des Parlaments Verhandlungen über ein neues Hilfspaket.