Zum Hauptinhalt springen

Abgeordnete im Jemen wollen Kinderehe wieder erlauben

Von Donna Abu-Nasr

Politik

Jedes vierte Mädchen unter 15 Jahren ist schon verheiratet. | Sanaa. (ap) Als Zweijährige wurde sie einem 30 Jahre älteren Mann versprochen, mit neun gab es das Hochzeitsfoto, und mit elf wurde sie das erste Mal von ihrem Ehemann vergewaltigt. Die Hochzeit des kleinen jemenitischen Mädchens war ein Deal, weil der Vater die Schwester des zukünftigen Gatten heiraten wollte - ohne das obligatorische Brautgeld zu zahlen. Ein ähnliches Schicksal teilen viele Minderjährige im Jemen. Konservative Abgeordnete wollen mit Verweis auf den Koran erzwingen, dass Kinderehen weiter möglich sind.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mehr als ein Viertel aller Mädchen im Jemen werden laut einer Studie des Sozialministeriums verheiratet, bevor sie 15 Jahre alt sind. Schlagzeilen machte vor zwei Jahren eine Achtjährige, die vor Gericht mutig die Annullierung ihrer Ehe erstritt. Nach der Entscheidung befassten sich die Abgeordneten in Sanaa mit dem Problem, und im Februar wurde ein Gesetz verabschiedet, das für Eheschließungen ein Mindestalter von 17 Jahren festlegt.

Mehrere Abgeordnete kritisieren die Regelung jedoch als unislamisch, und noch vor der Unterzeichnung durch den Präsidenten erzwangen sie eine erneute Überprüfung durch den Verfassungsausschuss. Das Gesetz sei "eine westliche Verschwörung, die unsere Kultur verwestlichen soll", empörte sich der Abgeordnete Scheich Mohammed al-Hasmi.

Gefesselt und vergewaltigt

"Eines Tages hat er mich gefesselt und ist über mich hergefallen", berichtet das Mädchen, von dem eingangs die Rede war. Der Ehemann hatte zwar zugesagt, seine Frau bis zur Pubertät nicht anzurühren. Nachdem die Elfjährige bei ihm eingezogen war, band er sie ihren Angaben zufolge jedoch kurzerhand ans Bett, stopfte ihr ein Stück Stoff in den Mund, um ihre Schreie zu unterdrücken, und verging sich an ihr.

Nach dem Tod des Vaters kam die Kleine in ein Waisenhaus und sollte dort noch mehrere Jahre bleiben. Ihr Bruder habe sie jedoch unter einem Vorwand ins Haus ihres Gatten gelockt, erzählt die heute 13-Jährige. Er habe ihr versprochen, gemeinsam vor Gericht eine Annullierung der Ehe zu beantragen. Stattdessen brachte er sie zum Haus des Mannes - der ihn mit 150 Euro bestochen hatte. Neun Monate später zwang ihr Mann sie zum Sex.

Auch in Saudi-Arabien werden Kinder verheiratet, wenn auch offenbar nicht so häufig wie im Jemen. Erst kürzlich lehnte dort ein Richter die Scheidung einer Achtjährigen von ihrem rund 40 Jahre älteren Mann ab. Die Mutter hatte sich vor Gericht für ihre Tochter eingesetzt. Ein Mindestalter für Eheschließungen gibt es in dem Königreich nicht. Zeitungsberichten zufolge will die Regierung unter dem neuen Justizminister Mohammed al-Issa dazu aber verschiedene Vorschriften erlassen.

Familien wollen Geld

Im Jemen werden kleine Mädchen vor allem des Geldes wegen verheiratet: Ihren Familien winkt ein Brautgeld von umgerechnet mehreren hundert Euro. Der Tradition zufolge wird eine junge Ehefrau außerdem eine gehorsame Frau und bringt mehr Kinder zur Welt. Die schwache Regierung in Sanaa ist auf die Unterstützung von Stammesführern angewiesen und daher nicht besonders erpicht darauf, gegen Sitten und Gebräuche vorzugehen, die von ihren Helfern unterstützt werden.

Bis in die 1990er Jahre konnten Kinder im Jemen erst ab einem Alter von 15 Jahren verheiratet werden. Dann beschloss das Parlament jedoch, die Eltern sollten entscheiden, wann ihre Töchter in die Ehe gehen. Der Abgeordnete Hasmi erklärte, der Islam erlaube ausdrücklich Kinderehen. Weder im Koran noch in den überlieferten Äußerungen des Propheten Mohammed sei von einem entsprechenden Verbot die Rede, argumentiert er. "Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt."

Sein Kollege Scheich Schauki al-Kadhi sieht das anders. Er verweist auf islamisches Recht, wonach Erlaubtes verboten werden kann, wenn jemandem dadurch Leid angetan wird. Ein ausdrückliches Verbot werde aber nicht funktionieren, sagt Kadhi: "Sollen wir etwa in jedem Schlafzimmer einen Polizisten aufstellen, um sicherzustellen, dass Männer die Ehe nicht vollziehen, bevor die Mädchen geschlechtsreif sind?"

Das 13-jährige zwangsverheiratete Mädchen lebt inzwischen wieder ein einem Waisenhaus in Sanaa. Wegen gesundheitlicher Probleme hatte der Mann die Kleine zur Behandlung in die Hauptstadt geschickt, wo sie flüchten konnte. Mittlerweile lernt sie Lesen und Schreiben und macht sich Gedanken über ihre Zukunft. "Ich möchte Geschäftsfrau werden", sagt sie schüchtern.