Dieses Jahr siedelten sich fast ein Drittel mehr ausländische Firmen in Österreich an. | Als Wirtschaftsstandort galt Österreich letztes Jahr noch als "abgesandelt". Wie passt das zusammen?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. 2014 kamen 30 Prozent mehr internationale Unternehmen nach Österreich als noch im Vorjahr, verkündet die Austria Business Agency (ABA). Wie passt das mit der Debatte und der Panik um die "Versandelung" des Wirtschaftsstandortes Österreich zusammen, die im vergangenen August begonnen hat? Dieser berühmt-berüchtigte Ausspruch stammt von Christoph Leitl, Chef der österreichischen Wirtschaftskammer (WKO), der sich offen darüber beschwerte, dass Österreich nur noch im EU-Mittelfeld mitspielt. Leitl meinte erst kürzlich: "Na besser simma nicht ’worden."
Aber zurück zum Bericht der ABA. 114 internationale Investitionsprojekte kamen nach Österreich. Mit 33 Ansiedlungen sind die Deutschen am stärksten vertreten, gefolgt von Italien und Russland. Insgesamt werden bei einem Investitionsvolumen von 180 Millionen Euro 905 neue Arbeitsplätze geschaffen. Hier könnte man zurecht fragen, wo die Großunternehmen bleiben. Die ABA klärt auf: Vor allem Töchter bereits international tätiger Großunternehmen kommen als Kleinprojekte nach Österreich, entwickeln sich und expandieren.
Schließungen kosten zwei Drittel aller Arbeitsplätze
Erfolgsgeschichten sind beispielsweise die über das Jahr 2016 hinaus dauernde Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Automobilkonzern BMW und dem heimischen Automobilzulieferer Magna oder das 60 Millionen Euro schwere Logistikzentrum von Lidl in Südösterreich. Der Schweizer Automatisierungskonzern Hoerbiger zieht mit 45 Millionen Euro in die Seestadt Aspern ein, und der deutsche Halbleiterkonzern Infineon hat erst vor kurzem angekündigt, bis 2017 290 Millionen Euro in seine Standorte in Kärnten zu investieren. Bei den Absiedlungen ist die Zahlengrundlage nicht so klar verfügbar. Prominente Vertreter kommen mit ihrem Abgang aber regelmäßig in die Medien, beispielsweise Heineken, Nokia, Voestalpine und nicht zuletzt Siemens. Mit jedem abwandernden Unternehmen fühlen sich Kritiker bestärkt, dass Österreich "absandelt".
Um Licht in die Zahl der Abwanderungen zu bringen, legt das Wirtschaftsministerium "zur Klärung der Faktenlage" eine beim Institut EcoAustria angeforderte Studie vor. In den vergangenen elf Jahren sind in Österreich beinahe 7000 Arbeitsplätze durch Betriebsabwanderungen verloren gegangen - diese kann man in Arbeitslosenstatistiken mit der Lupe suchen. Zwei Drittel der Arbeitsplätze gehen durch Insolvenzen und Schließungen verloren, sagt Studienautor Ulrich Schuh im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
"Abwanderungen gehen tendenziell zurück"
"Im Prinzip kann man von keiner verstärkten Abwanderungstendenz aus Europa oder Österreich sprechen. Im Gegenteil, nach der Wirtschaftskrise sind Verlagerungen tendenziell eher zurückgegangen", erklärt Schuh. Trotz der Notwendigkeit, den Standort "zukunftsorientiert" zu pflegen, sieht er im Moment "keine Gründe, um Alarm zu schlagen".
Wie sieht es insgesamt mit internationalen Unternehmen in Österreich aus? Laut den jüngsten Zahlen der Statistikbehörde Statistik Austria waren Ende 2010 rund 9500 ausländische Unternehmen in Österreich tätig. Diese stellten über eine halbe Million Arbeitsplätze und erwirtschafteten einen Gesamtumsatz von rund 206 Milliarden Euro. Insgesamt sind die Unternehmensneugründungen in Österreich seit der Finanzkrise im Jahr 2008 gesunken, die Unternehmensschließungen aber gestiegen. 2011 standen 24.103 Neugründungen 26.058 Schließungen gegenüber. Es handelt sich jeweils zum überwiegenden Teil um Einzelunternehmen.
Wenig Grund für Jubel sieht der Präsident der Industriellenvereinigung, Georg Kapsch. Er warnt davor, sich von Momentaufnahmen täuschen zu lassen - die Entwicklung ist entscheidend. "Internationale Rankings bescheinigen uns, dass sich der heimische Standort relativ gesehen zu anderen stetig verschlechtert. Das Problem ist, dass Österreich sich nicht weiterbewegt, andere Länder ziehen an uns vorbei."
Österreich liegt "nur" im oberen Drittel
Ähnliche Töne schlägt WKO-Präsident Leitl an, der seinerzeit die Standortdebatte ins Rollen brachte. Der Standort Österreich sei zwar "international anerkannt" und werde geschätzt, doch "Handlungsbedarf ist gegeben und die Rahmenbedingungen am Standort müssen kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert werden. Ein im internationalen Vergleich zu hohes Abgabenniveau, die massive Belastung des Faktors Arbeit und zu viel Regulierung und Bürokratie engen den Handlungsspielraum für die heimische Wirtschaft stark ein".
Kapsch befürchtet, dass ohne nachhaltige Reformen weniger Investoren nach Österreich kommen werden. Laut Monitoring Report der WKO überholen knapp 60 Länder Österreich, wenn es um Wettbewerbsfähigkeit und Standortattraktivität geht. "Namhafte Experten und Manager haben ebenfalls davor gewarnt, dass der Standort Österreich sich nicht schleichend verschlechtern und ins Mittelmaß abrutschen darf", gibt Leitl zu bedenken. Das Institut für Höhere Studien (IHS) prognostiziert für die kommenden Jahre einen leichten Aufschwung. IHS-Direktor Christian Keuschnigg ist trotzdem skeptisch: "Die Wachstumsdynamik ist nicht so besonders toll."
"Österreich mussinnovativ bleiben"
Die wichtigste Gegenmaßnahme ist, dass Österreich innovativ bleibt. "Und hier haben wir Defizite. Die Universitäten und die Grundlagenforschung sind im internationalen Vergleich einfach unterfinanziert." Das wird man "nicht morgen, übermorgen oder in drei Jahren spüren, aber auf lange Sicht ist das verheerend", warnt der IHS-Chef. Es braucht Reformen, und das sofort. "Wenn der Wirtschaftsstandort Österreich in zehn Jahren gesichert sein soll, muss er heute in der Grundlagenforschung und Ausbildung Spitzenleistungen erzielen."
Aber was wird konkret zur Standortpflege getan? Eine Steuerreform? Die Koalition diskutiert noch immer über Vermögenssteuern. Mehr Investitionen in Forschung und Bildung? Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner versucht momentan, genügend Mittel vom Finanzministerium zu bekommen, um zumindest die Inflation für die Unis abzudecken. Die Hochschulausgaben liegen unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Bürokratieabbau? Große Strukturreformen verlaufen bestenfalls schleppend. Im Wirtschaftsministerium verweist man darauf, dass Ende Juni "in Zusammenarbeit mit der Industriellenvereinigung und den Vorstandschefs führender Unternehmen" die Entwicklung einer neuen Standortstrategie für Leitbetriebe gestartet wurde. Ergebnisse werden für Herbst erwartet.
Leitl hat die eingangs zitierte Aussage "Na besser simma nicht ’worden" übrigens im selben Atemzug etwas abgeschwächt. Beispielsweise hätten die Sozialpartner ein Bildungspapier erstellt, das "zukunfts- und richtungsweisend" sei. Der Wirtschaftskammer-Boss versteht seinen "Versandelungs-Sager" zum Wirtschaftsstandort Österreich daher als eine Art "Weckruf", der auch gehört wurde. Nur läutet der Wecker momentan etwas leiser.