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Abhängiges Europa

Von Ronald Schönhuber

Leitartikel

Bei Medikamenten hängt die EU am Tropf von China und Indien.


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Als Peter Altmaier vor mehr als einem Jahr die ersten Ideen und Eckpunkte seiner Industriestrategie präsentierte, hielt sich der Beifall für die Pläne des deutschen Wirtschaftsministers in Grenzen. Altmaiers Werben für europäische Champions, also große Unternehmen, die auch mit lokalen Produktionskapazitäten China und den USA auf dem Weltmarkt Paroli bieten, wurde vielerorts als deutsche Großmannssucht abgetan.

Doch mit Corona ändern sich die Dinge - und Altmaiers Ideen haben auf einmal Konjunktur. Denn mit der Ausbreitung des Virus drehen sich die Debatten um die negativen Folgen der Globalisierung nun nicht mehr um die Arbeitsbedingungen in den südostasiatischen Sweat-Shops oder den ökologischen Fußabdruck von Produkten, die im Rahmen ihrer Herstellung mitunter mehrfach um die Welt reisen. Ins Zentrum gedrängt sind stattdessen die Fragilität der Lieferketten und die Frage der Versorgungssicherheit.

Wie abhängig die europäischen Staaten, aber auch die USA, mittlerweile von den verlängerten Werkbänken in den Billiglohnstaaten sind, hat sich nämlich nicht nur bei Autoteilen und Elektronikkomponenten gezeigt. Die Corona-Krise hat uns auch drastisch vor Augen geführt, wie verwundbar wir selbst bei wirklich systemrelevanten Produkten wie Arzneimitteln sind. Speziell China und Indien haben sich zu Pharmagroßmächten entwickelt, ohne die heute nichts mehr geht. Stehen dort die Werke still, sitzt Europa, das im Arzneibereich nur noch über sehr geringe eigene Produktionskapazitäten verfügt, vor allem bei Blutdrucksenkern, Schmerzmitteln oder Antibiotika auf dem Trockenen.

Die richtige Diagnose ist dabei aber nur der allererste Schritt zur erfolgreichen Therapie. Von sich aus werden die Pharmariesen nämlich kaum ihre Produktion nach Europa zurückholen. Denn für die Unternehmen, die nicht einfach von einem Tag auf den anderen den Schalter umlegen können, würde das nicht nur einen enormen Aufwand bedeuten. Durch die höheren Produktionskosten in Europa würden auch die Margen schrumpfen und vor allem die für die Basisversorgung wichtigen Generika spürbar teurer werden.

Die Pharmakonzerne mit finanziellen Anreizen zu locken - so wie das der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn am Dienstag nach Beratung mit seinen EU-Amtskollegen vorgeschlagen hat - wird daher wohl der einzige Weg sein, um der Arzneimittelherstellung in Europa zu neuer Blüte zu verhelfen. Ob alle EU-Staaten dabei mitziehen, ist aber nicht nur wegen der traditionell schwierigen europäischen Konsensfindung offen. Denn dass milliardenschwere Pharmakonzerne mit öffentlichen Mitteln alimentiert werden, wird sich politisch wohl nicht so einfach verkaufen lassen.