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Ablehnen, aber nicht diskriminieren

Von Arno Tausch

Gastkommentare

Wie die Kirche mit dem Thema Homosexualität umgeht.


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Mit der Veröffentlichung von Krzysztof Charamsas Buch "Der erste Stein: Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche", geschrieben von einem ehemaligen polnischen Priester und Mitarbeiter der Kongregation für die Glaubenslehre im Vatikan, wurde die römisch-katholische Kirche beschuldigt, das Leben von Schwulen zur Hölle zu machen. Das gesamte Thema Homosexualität und römischer Katholizismus rückte wieder in den Fokus der internationalen Medienaufmerksamkeit. Papst Franziskus I. erklärte dazu: "Wer bin ich, um Homosexuelle zu verurteilen?" Der einflussreiche Kardinal Robert Sarah aus Guinea, sicher einer der kommenden "Papabili", hingegen meinte: "Was Nazi-Faschismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert waren, sind westliche Homosexualitäts- und Abtreibungsideologien und islamischer Fanatismus heute."

Aber die Opposition gegen Homosexualität und homosexuelle Ehen ist nicht auf den römischen Katholizismus beschränkt. Der ehemalige britische Oberrabbiner Lord Jonathan Sachs, einer der prominentesten orthodoxen jüdischen Theologen, äußerte ebenso seine scharfe Opposition gegen die "Ehe für alle". Und in mehreren islamischen Ländern der Welt ist bekanntlich die Todesstrafe für Homosexualität noch immer in Kraft, unter anderem im Iran.

Ideale der Nächstenliebe

Es scheint eine wachsende internationale soziologische Evidenz aber darauf hinzudeuten, dass immer mehr römisch-katholische Gläubige der Verurteilung des homosexuellen Aktes als "Todsünde", wie sie der offizielle Katechismus der römisch-katholischen Kirche noch heute ausdrückt, nicht mehr folgen. Interessant ist dabei vor allem die bisher undokumentierte Meinung der Katholiken auf der ganzen Welt, die sonntags die Gottesdienste besuchen - nach bevölkerungsgewichteten Daten sind das 45 Prozent der weltweit 1,3 Milliarden Katholiken - und in der katholischen Tradition als die "Dominicantes" bezeichnet werden. Solche Analysen sind jetzt mit Daten aus dem "World Values Survey" möglich, einer Art weltweit repräsentativem Meinungsbarometer, das von der University of Michigan initiiert wurde. Es ist nun für fast 90 Prozent der Menschheit verfügbar und erfüllt hohe internationale Standards für vergleichende Meinungsumfragen.

Die römisch-katholische Kirche ist die religiöse Organisation, die unter den Bürgern der westlichen Demokratien immer noch die größte religiöse Anhängerschaft hat, und durch ihre Selbstdefinition (Johannes Paul II., 1994) sollte sie eine religiöse Gemeinde sein, die sich den Idealen der Nächstenliebe verpflichtet fühlt, den Einsatz für die Bedürftigen, Offenheit für die Schwächsten und ein Höchstmaß an menschlichem Verständnis vertritt. So nimmt die aktuelle Führung der römisch-katholischen Kirche unter der Leitung von Papst Franziskus eine besonders liberale und versöhnliche Haltung zu Migrations- und Flüchtlingsthemen ein, während sie die Gendertheorien ablehnt und den Feminismus ideologisch weiterhin sehr scharf kritisiert.

In diesem Zusammenhang sorgte Papst Franziskus 2013 für Irritationen mit der Aussage: "Das Problem ist nicht die (homosexuelle) Orientierung. Nein, wir müssen Brüder und Schwestern sein. Das Problem ist die Lobbyarbeit für diese Orientierung . . . Lobbys von Gier, politische Lobbys, Freimaurer, so vielen Lobbys. Dies ist das größte Problem für mich."

Zunehmende Säkularisierung

Die multivariate Analyse der Daten aus dem "World Values Survy" zeigt nun enge Zusammenhänge zwischen Homophobie, Antisemitismus und gesellschaftlicher Intoleranz. Die offizielle Lehre der römisch-katholischen Kirche über Homosexualität, die in ihrer verbindlichen Form im Katechismus zu finden ist, beschreibt zwar den homosexuellen Akt als "Todsünde", verbietet aber die Diskriminierung von Menschen mit homosexueller Neigung.

Soziologen, die mit den einzigartigen vergleichenden und longitudinalen Meinungsumfragen des "World Values Survey" arbeiten, haben nun entdeckt, dass es ziemlich konstante und langfristige Veränderungen in Richtung Säkularisierung gibt, die auch die überwiegend katholischen Länder betreffen. Ronald Inglehart und seine Mitarbeiter von der University of Michigan glauben fest daran, dass die Fähigkeit der katholischen Hierarchie, den Menschen zu sagen, wie sie ihr Leben leben sollen, stetig abnimmt. Trifft dies auch für die Homosexualität zu?

Amy Adamczyk, Soziologin an der City University of New York, stellte im Vorjahr in einer epochalen Studie, die globale Werte zum Thema vergleicht, unter anderem fest, dass die Akzeptanz von Homosexualität im internationalen Vergleich besonders in Ländern gestiegen ist, deren Mehrheitsbevölkerung zur katholischen Kirche gehört. Laut dieser empirischen Studie sind das Entwicklungsniveau und die Demokratie in einem Land wichtige weitere Triebfedern für die zunehmende weltweite Akzeptanz von Homosexualität.

Der US-Soziologe Reece McGee hat in einer der umfangreichsten weiteren Erhebungsreihen zu diesem Thema festgestellt, dass Toleranz gegenüber Homosexualität am seltensten in muslimischen Gesellschaften zu finden ist und dass sich in 47 Ländern der Welt die Einstellungen zur Homosexualität hin zu mehr Toleranz verschoben haben, vor allem in den westlichen katholisch geprägten Staaten. Interessanterweise resultierten in seinen Untersuchungen Menschen ohne Konfession, Katholiken und orthodoxe Gläubige als die tolerantesten Gruppen gegenüber der Homosexualität, während Taoisten, Hindus und evangelikale Christen die globalen konfessionellen Gruppen waren, die die Homosexualität am wenigsten tolerierten.

Entwickelte Länder sind liberaler

Der "World Values Survey" bietet ziemlich umfassende und vergleichbare Daten zu zwei Fragen: Die erste dreht sich um die Ablehnung von Homosexualität an sich, die zweite um die Ablehnung homosexueller Nachbarn. Die Einstellungen der Weltbevölkerung zu Homosexualität lassen sich in der Karte oben zusammenfassen. Es gibt eine klare Tendenz, dass Homosexualität in entwickelten Ländern viel stärker geduldet wird als in Entwicklungsländern. Die ehemals kommunistischen Länder Osteuropas sind dabei in einer eher mittleren Position.

Die offizielle Position des katholischen Katechismus, dass Homosexualität niemals gerechtfertigt werden könne, hat unter den praktizierenden Katholiken immer noch eine (mehr oder weniger starke) Mehrheit in vielen islamisch geprägten Staaten, in mehreren postsowjetischen Ländern samt Russland sowie in China, Indien und Südafrika, aber auch in Italien, Ungarn, Bosnien, Serbien, Polen oder Südkorea - insgesamt mehr als 60 Staaten.

Aber eine Mehrheit in einer beeindruckenden Anzahl von muslimisch geprägten Ländern, darunter der Iran, wo das Regime Homosexuelle noch immer zum Tode verurteilt, Bahrain, Pakistan und Bangladesch, würde zumindest homosexuelle Nachbarn akzeptieren.

Haben nun praktizierende Katholiken eine weniger liberale Einstellungen zu Homosexualität und Homosexuellen als die Gesamtgesellschaft? Die Analyse auf Basis der "World Values Survey"-Daten kommt zu dem Ergebnis, dass in einer Reihe von Ländern die Ablehnung der Homosexualität unter praktizierenden Katholiken bereits schwächer ist als in der Gesamtgesellschaft. Der nähere Blick auf die Daten scheint aber darauf hinzudeuten, dass gerade in den alten, traditionell katholischen Kulturen Europas praktizierende Katholiken eine eher ausgrenzende Meinung zu Homosexuellen und Homosexualität vertreten als die bereits sehr säkularisierten Gesellschaften um sie herum. Die gleiche Tendenz gilt jedoch auch für einige außereuropäische Gesellschaften.

Die Auswertung zeigt auch, dass die Lehre des Vatikans zur Homosexualität - die Ablehnung des homosexuellen Aktes, aber keine Diskriminierung Homosexueller - immer noch am besten von den "Dominicantes" in Vietnam, Italien, Puerto Rico, Trinidad und Tobago und Brasilien befolgt wird. Am unteren Ende der Liste finden sich die Slowakei, Frankreich, Bosnien, Sambia und Nigeria. Im Vergleich zur Gesamtgesellschaft lehnen die praktizierenden Katholiken in der Schweiz, in Spanien, Ungarn, Italien und Uruguay die Homosexualität besonders stark ab.

Andere Religionen noch härter

Einer der Gründe für diese Ergebnisse könnte sein, dass Muslime, evangelikale Christen und andere Konfessionen oft eine noch viel härtere Haltung gegenüber Homosexualität einnehmen als die römische Kirche. So brachten die monatlichen Gottesdienstbesucher unter den Anhängern der Jain-Religion, der armenischen apostolischen Kirche, die Muslime, Pfingstler, Orthodoxen, Zeugen Jehovas, Hindus, Sikhs, Protestanten, Baptisten, Buddhisten, Taoisten und Griechisch-Katholischen weltweit eine höhere Ablehnungsrate der Homosexualität zum Ausdruck als die monatlichen Gottesdienstbesucher unter den Katholiken.

Angesichts dieser Daten könnten die Entscheidungsträger der römisch-katholischen Kirche vielleicht beginnen, nach besseren Praxismodellen bei den ökumenischen christlichen Kirchen sowie bei den Konfuzianern Ausschau zu halten. Dort sind die religiös aktiven monatlichen Gottesdienstbesucher besonders tolerant gegenüber der Homosexualität. Die Ethik der "Liebe und Verantwortung" von Papst Johannes Paul II. sollte schließlich für die gesamte Menschheit gelten und nicht nur für Heterosexuelle, und gerade die Toleranz unter vielen anglikanischen und reformierten Kirchen der Homosexualität gegenüber wäre ein positives Beispiel.

Arno Tausch ist Politikwissenschafter und Ökonom an der Universität Innsbruck und der Corvinus University Budapest.