Rumäniens Politiker, Liviu Dragnea, muss vor Gericht. Das Referendum zur "Ehe für Alle" soll ihn retten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bukarest. Noch vor kurzem raunten Politiker der regierenden rumänischen Sozialdemokraten (PSD), dass ihr Parteichef Liviu Dragnea seine Flucht nach Brasilien plane. Dragnea, Rumäniens bislang mächtigster Politiker und inoffizieller Regierungschef, hat massive Probleme mit der Justiz. Noch dazu wollen Dissidenten im eigenen Lager ihn stürzen.
Doch Dragnea denkt gar nicht daran, das Handtuch zu werfen. Stattdessen greift er die Justiz seines Landes frontal an und signalisiert, dass er sich von der EU-Kommission nichts mehr sagen lassen will. All dies flankiert er mit einem Ablenkungsmanöver in bewährter Populisten-Manier - indem er dem Publikum ein neues Thema aufzwingt. Diesmal: die Homosexuellen.
Deswegen ordnete Dragnea mit Hilfe des von ihm kontrollierten Parlaments für dieses Wochenende ein zweitägiges Referendum an, bei dem die Rumänen darüber abstimmen sollen, ob das bereits bestehende Verbot der Homo-Ehe in der Verfassung verankert werden soll. Einen Tag später, am 8. Oktober, hat Dragnea den ersten Termin im Berufungsverfahren, bei dem er der Anstiftung zum Amtsmissbrauch angeklagt ist. In erster Instanz ist er dafür schon zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden.
Homophober Diskurs
Obwohl es keinerlei Initiative zur Einführung der Ehe für alle in Rumänien gibt, hat Dragnea mit diesem Thema den Nerv der mehrheitlich ultrakonservativen Gesellschaft getroffen. Homosexualität ist erst seit 2001 in Rumänien straffrei. Derzeit hält die rumänisch-orthodoxe Kirche, die parteiübergreifend viel Einfluss hat, den homophoben Diskurs lebendig.
Dabei ist die Homo-Heirat in Rumänen bereits implizit verboten, denn das Bürgerliche Gesetzbuch definiert die Ehe als Bund zwischen "Mann und Frau". Das genügt den radikalen Konservativen aber nicht, denn in der Verfassung heißt es in Artikel 48, die Familie gründe sich auf den Bund zwischen "Ehegatten". Diese geschlechtsneutrale Definition lasse eine Einführung der Homo-Ehe zu. Dragnea behauptete jüngst, diese Formel gestatte sogar Ehen zwischen Menschen und Tieren.
Er übernahm damit ein Lieblingsargument der homophoben Eiferer. Diesen geht es darum, dass das Wort "Ehegatten" in der Verfassung durch "Mann und Frau" ersetzt wird. Die Bewegung "Koalition für die Familie", die fast drei Millionen Unterschriften für diese Verfassungsänderung gesammelt hat, wird durchaus nicht nur von Regierungspolitikern unterstützt, sondern auch aus dem bürgerlich-liberalen Lager. Unter anderen hat der konservative Ex-Präsident Traian Basescu, sonst ein scharfer Gegner Dragneas, angekündigt, beim Referendum dafür stimmen zu wollen.
Nur wenige Oppositionspolitiker sprachen sich klar gegen das Referendum aus. Die Abgeordnete Adriana Saftoiu von der bürgerlichen Partei PNL gab zu bedenken, dass diese Volksbefragung illegal sei, weil Rumäniens Verfassung in Artikel 152 Referenden verbietet, die auf eine Einschränkung von Grundrechten abzielen. Vage protestierte auch die eher konservative Ungarn-Partei UDMR. Sie beanstandete, dass durch die geplante Verfassungsänderung alleinerziehende Mütter oder Väter mit ihren Kindern nicht mehr als Familie gelten würden. Dies verweist auf das derzeit psychisch schlimmste Familienproblem Rumäniens: Durch die massive Arbeitsmigration leben nach Schätzung von Kinderschutzorganisationen etwa eine viertel Million rumänische Kinder ohne Vater, ohne Mutter oder gar ohne beide Elternteile. Von den etwa drei Millionen Rumänen, die endgültig oder zeitlich befristet zum Jobben nach Westeuropa gegangen sind, haben viele ihre kleinen Kinder zu Hause gelassen, in der Betreuung von Großeltern, Nachbarn oder in Kinderheimen.
Dubios klingt die Referendumsfrage: "Sind Sie mit dem Gesetz zur Revision der Verfassung einverstanden, in der Form, in der es vom Parlament beschlossen wurde?" Es wird nicht präzisiert, um welche Verfassungsänderung es geht. Manche Kritiker befürchten, dass ein Ja-Votum dazu einem Freibrief für das Parlament für jede Art von Verfassungsänderungen gleichkommt.
Sogar Dragnea bezeichnete diese Referendumsfrage als zu vage - weswegen er nun eine "Informationskampagne" der PSD auf die Bürger loslässt. Damit will er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Gegner der Homo-Ehe sollen beruhigt und der Vorwurf aus dem EU-Parlament, dem zufolge die PSD für Ja-Stimmen werbe, soll entkräftet werden.
Effiziente Propagandisten
Die effizientesten Propagandisten dürften die Popen in den ländlichen Gebieten Rumäniens sein. Mit Sonntagspredigten, in denen sie vor Schwulen warnen, die angeblich guten Christenmenschen die Kinder wegnehmen wollen, werden sie wohl dafür sorgen, dass die 30-Prozent-Beteiligung zustande kommt, die für die Gültigkeit des Referendums nötig ist.
Bürgerrechtler befürchten Fälschungen. Der Grund: Das elektronische Überwachungssystem, das bisher bei Wahlen in Rumänien Mehrfach-Stimmabgaben verhindert hat, wird diesmal nicht eingesetzt, weil es im Referendumsgesetz nicht vorgesehen ist. Auch hat die Regierung den Termin für die Volksbefragung so knapp angesetzt, dass es für eine Gesetzesänderung und für die technische Umsetzung zu spät ist.
Wenn Dragnea am Montag vor dem obersten Gericht erscheinen wird, dürfte das Land voll mit der Auslegung des Referendums beschäftigt sein. Ohnehin hat er dafür gesorgt, dass sich sein Prozess in die Länge ziehen wird. Die Ministerpräsidentin Viorica Dancila hat jetzt das Verfassungsgericht eingeschalten, um eine Neubesetzung der Gerichtskammer verfügen. Denn Dragnea meint, dass die jetzt amtierenden Richter ihm nicht wohlgesinnt seien. Dancila, Dragneas Marionette, trat zuletzt auch im EU-Parlament überaus aggressiv gegen Kritiker auf, zu denen inzwischen auch zahllose Parteifreunde gehören, darunter der Sozialdemokrat und Vize-EU-Kommissionschef Frans Timmermans.