Zum Hauptinhalt springen

Abrüstung im Kleiderschrank

Von Birgit Riezinger

Europaarchiv

Linksparteien für Waffenschutz-Initiative, Rechte dagegen. | Schusswaffe in jedem dritten Haushalt. | Bern/Wien. "Wo haben Sie denn Ihre Armeewaffe aufbewahrt", fragt der Reporter an der Tür. "Im Kleiderschrank", antwortet der Herr des Hauses und geleitet den Journalisten noch bereitwillig ins Schlafzimmer. | Spätfolgen von Winnenden | Waffen in den USA außer Kontrolle | Das Waffengesetz in Österreich


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In Österreich müsste der Waffenbesitzer sein Schussgerät ordnungsgemäß im versperrten Waffenschrank lagern. Aber der Reporter vom Schweizer Fernsehen klopfte an eine Schweizer Tür. Und die Schweiz ist eben anders.

Die Sache mit den Waffen ist so: Jeder Armeeangehörige darf seine Armeewaffe mit nach Hause nehmen und sie dann im Kleiderschrank, im Küchenkasten oder wo auch immer aufbewahren. Alles völlig legal. Bis dato, zumindest. Am 13. Februar stimmen die Eidgenossen in einer Volksabstimmung darüber ab, ob Armeewaffen künftig statt zu Hause in einem Zeughaus deponiert werden sollen. Die Volksinitiative "Für den Schutz vor Waffengewalt" fordert ebendies.

"Je mehr Schusswaffen im Umlauf sind, desto öfter kommt es im Affekt zu Morden und Suiziden. Weniger Waffen bedeuten mehr Sicherheit, tödliche Kurzschlusshandlungen können verhindert werden", so die Argumentation der Initiatoren der Volksbefragung - unter ihnen, neben zahlreichen anderen Organisationen, die Sozialdemokratische Partei (SP). Seit 2006 die ehemalige Skirennläuferin Corinne Rey-Bellet von ihrem Ehemann mit einer Armeewaffe ermordet wurde, ist die Diskussion um die Verbannung der Waffe aus dem Schrank so richtig entflammt.

2009 wurden in der Schweiz 24 Menschen mit Schusswaffen ermordet. Dazu kommen noch Suizide mit Schusswaffen - 2008 waren es 239. Acht Prozent der Selbstmorde mit Schusswaffen wurden 2009 mit Armeewaffen verübt - die Jahre davor war dieser Anteil schon wesentlich höher. Diesen Rückgang führen die Gegner, ein Zusammenschluss vorwiegend von Schützen- und Schießsportvereinen, als eines der Argumente für die Unnötigkeit der "Entwaffnungsinitiative" an.

Eine Million Armeewaffen

Auch die Regierung (der Bundesrat), in der die Mitte-Rechts-Parteien die Mehrheit haben, hat sich gegen die Waffen-Abgabe ausgesprochen. Besonders vehement gegen "die nutzlose linke Waffeninitiative" tritt die rechtsgerichtete Schweizerische Volkspartei (SVP) ein. "Die Initianten gaukeln dem Volk vor, dass sich tragische Einzelfälle durch den Einzug der Armeewaffe verhindern ließen", meinte Verteidigungsminister und SVP-Bundesrat Ueli Maurer gegenüber der "Neuen Zürcher Zeitung". Wenn jemand zur Lösung seiner Probleme Waffengewalt anwende, stehe dahinter eine menschliche Tragödie, so Maurer.

In jedem dritten Schweizer Haushalt findet sich eine Schusswaffe. Etwa eine Million Armeewaffen werden irgendwo zwischen Kleiderschrank und Küchenkasten aufbewahrt. Die Armeewaffe darf auch nach einem altersbedingten Ausscheiden aus dem Militär behalten werden.

"Relikt des Kalten Kriegs"

Die Heimaufbewahrung der "Taschenmunition" - Blechdosen mit Gewehr- und Pistolenpatronen - wurde zwar 2007 abgeschafft, allerdings geht dies vielen nicht weit genug. "Jeder weiß, wie einfach es ist, Munition zu entwenden und im Hosensack einzustecken", sagt der ehemalige -Offizier Urs Honegger, der die Waffenschutz-Initiative unterstützt.

Aber weshalb haben Schweizer überhaupt ihre Armeewaffe im Schrank? Der ursprüngliche Zweck war eine schnellst mögliche Mobilmachung der dienstpflichtigen Männer im Kriegsfall. Dass diese Begründung nicht mehr wirklich zeitgemäß ist, liegt nicht nur für Honegger auf der Hand: "Die Schweiz ist heute praktisch nur noch von befreundeten Ländern umgeben." Für die Initiatoren der Volksabstimmung ist das Sturmgewehr im Kleiderschrank "ein Relikt aus dem Kalten Krieg, das keinerlei militärischen Nutzen mehr hat".

Eine Umfrage des Forschungsinstituts GfS Bern im Auftrag der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) von Anfang Jänner deutet auf eine Zustimmung zu der Initiative hin. Demnach tendierten 52 Prozent der Teilnehmenden zu einem "Ja", 39 Prozent zu einem "Nein". Eine Schlüsselrolle bei der Abstimmung könnte den Frauen zukommen. Sie begrüßen die Initiative zu 61 Prozent, während Männer sie mehrheitlich (51 Prozent) ablehnen.

Bei einer Zustimmung zur Waffenschutz-Initiative könnte dann auch die Redewendung "die Schweiz hat keine Armee, die Schweiz ist eine Armee" ad acta gelegt werden.