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Abrüstung: Putin hält Obama hin

Von WZ-Korrespondent Christian Weisflog

Politik

Start-Nachfolge- abkommen sollte bis 5. Dezember unterzeichnet werden. | Anzahl der Trägersysteme als Streitpunkt. | Moskau. "Eine Welt ohne Atomwaffen ist möglich", so hatte Barack Obama diesen Frühling in Prag seine Vision mutig verkündigt. Und auch vergangene Woche bei der Verleihung des Friedensnobelpreises in Oslo hätte der US-Präsident die nukleare Abrüstung wohl gerne zum großen Thema seiner Rede gemacht. Doch Russland spielte nicht mit: Das alte Start-Abkommen (Strategic Arms Reduction Treaty) lief am 5. Dezember aus, ohne dass sich Moskau und Washington auf einen Nachfolgevertrag für die Begrenzung strategischer A-Waffen einigen konnten.


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Damit wurde der gemeinsame Abrüstungsfahrplan, auf den sich Obama und der russische Präsident Dmitri Medwedew im Sommer festgelegt hatten, nicht eingehalten. Und dies, obwohl auch die russische Seite immer wieder versicherte, bis zum 5. Dezember eine Lösung erzielen zu wollen.

Niederlage auch für Medwedew

Gemäß der russischen "Newsweek" war es letztlich Premier Wladimir Putin, der auf die Bremse trat. Die Verzögerung der Abrüstungsverhandlungen sind daher nicht nur ein Rückschlag für Obama, sondern auch eine kleine Niederlage für seinen russischen Amtskollegen Medwedew.

Im Gegensatz zu Putin scheint sich Medwedew eine pragmatischere Außenpolitik zu wünschen, die weniger im alten Freund-Feind-Denken verhaftet ist. Ihm geht es deshalb nicht einzig um den Inhalt des neuen Abrüstungsvertrages. Vielmehr möchte er die Verhandlungen mit Washington auch nutzen, um politisches Vertrauen für eine Kooperation in weiteren Politikbereichen zu schaffen.

Um den Schaden in Grenzen zu halten, bedürfte es nun jedoch einer baldigen Unterzeichnung. Möglicherweise könnte es bereits am kommenden Freitag in Kopenhagen dazu kommen, wenn beide Präsidenten beim Klimagipfel weilen. Sicher ist jedoch nichts.

Einer der wichtigsten Streitpunkte ist die künftige Anzahl von Trägersystemen für strategische Nuklearwaffen - also Interkontinentalraketen, Langstreckenbomber und U-Boote. Moskau möchte diese bis auf 500 Stück beschränken. Denn aufgrund der limitierten Rüstungsmittel wird sich Russland langfristig gar nicht mehr leisten können. Zudem hapert es auch bei den technischen Möglichkeiten: Moskaus Flotte ist veraltet, die Entwicklung einer neuen U-Boot-gestützten Atomrakete kommt nicht voran.

Vorspiel zumA-Waffen-Sperrvertrag

Die USA wollen ihre strategischen Trägersysteme hingegen nur bis 1100 Stück reduzieren. Denn es gibt Pläne, diese künftig auch mit konventionellen Sprengköpfen zu bestücken. Besonders in republikanischen Parteikreisen wurde deshalb Kritik am neuen Abrüstungsvertrag laut. Wieso sollten die USA vertragliche Kompromisse machen, wenn Moskau seine Trägersysteme auch so reduzieren muss, fragen sich Obamas Gegner.

Für den idealistischen US-Präsidenten ist das Start-Nachfolgeabkommen jedoch nur ein kleiner Puzzlestein in seiner Abrüstungsstrategie. Er will sich dadurch eine moralische Grundlage für kommende Verhandlungen schaffen. Der nächste wichtige Termin ist dabei die Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages (NPT) im Frühling 2010. Darin hatten sich die Nuklearmächte vor 40 Jahren verpflichtet, ihre Atombomben langfristig zu vernichten. Die kernwaffenfreien Staaten verzichteten im Gegenzug auf Atomrüstung.

Um Staaten wie etwa dem Iran aber weiterhin die Anschaffung von Nuklearwaffen verbieten zu können, müssen die führenden Atommächte mit gutem Vorbild vorangehen und ernsthaft abrüsten. Dies betrifft vor allem die USA und Russland, die über 90 Prozent der weltweit 25.000 Sprengköpfe verfügen.

Obamas visionäres "Null-Ziel" dürfte allerdings nur erreicht werden, wenn alle großen Mächte sich in diese Richtung bewegen. Ansonsten könnte eine einseitige Abrüstung der USA die Weiterverbreitung von Atomwaffen gar beschleunigen. Heute befinden sich rund 26 Staaten unter dem amerikanischen Nuklearschirm. Sollte Washington diese Schutzgarantie nicht mehr gewähren, könnten sich Staaten wie Japan oder auch die Türkei für den Bau einer eigenen Bombe entschließen.

Aber selbst eine atomwaffenfreie Welt scheint letztlich keine Garantie für globalen Frieden zu sein. Denn gerade sie schafft neue Ungleichgewichte. Betroffen wäre vor allem Russland, dessen konventionelle Streitkräfte sich in einem desolaten Zustand befinden. Medwedews Wille zur nuklearen Abrüstung ist daher ebenfalls begrenzt.