Zur Demokratie gehört, dass Entscheidungen stets rückgängig gemacht werden können.
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Weil jetzt ziemlich viele Menschen - oder besser gesagt: viele Linke, die sich oft und lang in den Sozialen Medien aufhalten - begeistert sind von der Art, wie Andreas Babler seine Ideen für Politik kommuniziert: Die Moderne beginnt als Erzählung von Selbstermächtigung und Anmaßung, heute wird sie von vielen als Gefühl der Überforderung erlebt, bei den sachlichen Herausforderungen, aber durchaus auch beim Umgang der Medien mit diesen Themen. "Overnewsed but underinformed", und das schon seit Jahrzehnten.
Von der Politik erwarten sich trotzdem die meisten Menschen, dass sie das Steuerrad der ständigen Veränderung fest in Händen hält. Kein Wunder, bemüht sich die Politik doch nach Kräften, exakt diesen Eindruck zu vermitteln, dabei ist sie selbst Getriebene der Entwicklungen von unten wie oben, auf die es zu reagieren gilt. Das ist keine Kritik, sondern eine Beobachtung der Realität.
Natürlich verfügt die Politik ungebrochen über erhebliche, teils sogar erstaunliche Gestaltungskraft, aber die Mühlen demokratischer Verfahren mahlen langsam, Veränderung ist ein Prozess vieler sehr kleiner und ganz weniger größerer Schritte. Das ist eine Stärke, denn zur Demokratie gehört auch, dass keine Mehrheit Entscheidungen treffen soll, die von einer neuen Mehrheit nicht wieder rückgängig gemacht werden können. Das mag in manchen Ohren skandalös klingen, ist aber in Wirklichkeit die Voraussetzung dafür, dass die Minderheit ihre Niederlage bei Wahlen auch akzeptiert. Eben weil die Chance für neue Mehrheiten bei den nächsten Wahlen immer lebt.
Eine ideale Demokratie, so schrieb der kluge bulgarische Politikwissenschafter Ivan Krastev kürzlich in der "Financial Times", verwandelt Apathie in Interesse an den öffentlichen Angelegenheiten und wirkt mäßigend auf den Eifer der Zeloten. Das funktioniert aber nur, wenn nicht bei jeder Wahl das ganze Schicksal auf dem Spiel steht. Einzelne Politiker und ganze Parteien sollten deshalb tunlichst vermeiden, ihren Anhängern oder potenziellen Wählern diesen Eindruck zu vermitteln.
Die Wahrheit über die Mühen des Regierens gilt dagegen als unvermittelbar, ja geradezu als unzeitgemäß und hoffnungslos rückständig. Auch deshalb sind sämtliche Versprechen eines "neuen Regierens" so verführerisch, fast egal, aus welcher Ecke sie kommen. Silicon Valley mit seinen Übermenschen ist kein "role model" für die liberale Demokratie mit ihren selbstauferlegten Beschränkungen.
Guter Journalismus, der derzeit nicht nur in Österreich wirtschaftlich durch ein tiefes Tal der Tränen geht, sollte das vermitteln.