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Abschiebungen erleichtert

Von Alexander Dworzak

Politik

Nur wenn "extreme materielle Not" drohe, dürfte eine Person nicht in jenes EU-Land zurückgeschickt werden, in dem der erste Asylantrag gestellt wurde, urteilte der Europäische Gerichtshof.


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Luxemburg/Wien. Seit Jahren stockt die Reform des Asylwesens in der EU. Der größte Stolperstein zwischen den Unionsländern ist dabei die sogenannte Dublin-Verordnung. Dieser zufolge ist jenes EU-Land, das ein Antragsteller zuerst betritt, für das Asylverfahren zuständig. Angesichts der politischen Krisen und der wirtschaftlichen Lage in Nahost und Afrika benachteiligt die Regelung Mittelmeer-Anrainer, allen voran Griechenland und Italien. Die Regierungen in Athen und Rom fordern seit langem verpflichtende Aufnahmequoten in der EU - und scheitern insbesondere am Widerstand aus Polen, Ungarn, Tschechien und der Slowakei. Auch Österreichs Regierung zählt zu den Skeptikern.

Asylwerber stellen trotz Dublin-Verordnung auch Anträge in anderen EU-Staaten. So landete Abubacarr Jawo aus dem westafrikanischen Gambia in Italien und reiste nach Deutschland weiter. Dort lehnten die Behörden seinen Antrag ab. Jawo führte bei seinem Einspruch die EU-Grundrechtecharta ins Treffen: "Niemand darf in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht", heißt es dort in Artikel 19.

Elementarste Bedürfnisse

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bat den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung, inwiefern Abubacarr Jawo "unmenschliche" oder "erniedrigende" Behandlung in Italien erwarten würde. Die deutschen Richter hatten Zweifel und verwiesen auf einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Darin fänden sich Anhaltspunkte, dass Personen, denen in Italien Schutz zuerkannt worden sei, riskieren, am Rande der Gesellschaft zu leben, obdachlos zu werden und zu verelenden.

Der EuGH sieht derartige Abschiebungen in das Erstantragsland nur dann als nicht zumutbar an, wenn gravierende Bedingungen erfüllt sind: Die Person müsse vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängig sein und sich in "extremer materieller Not befinden". Nicht darunter fallen laut dem Luxemburger Gericht große Armut oder die starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse aufgrund niedrigerer Lebensstandards im Erstantragsland. "Extreme materielle Not" herrsche vor, wenn Personen nicht elementarste Bedürfnisse befriedigen könnten: sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden.

So argumentiert der EuGH auch gegenüber Personen, die bereits in Bulgarien respektive Polen subsidiären - also befristeten - Schutz erhalten und später Asyl in Deutschland beantragt haben. Prinzipiell geht der EuGH davon aus, dass alle EU-Staaten beim Gemeinsamen Europäischen Asylsystem den "Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens" einhalten, also EU-Grundrechtecharta oder UN-Menschenrechtskonvention. Das schließe aber "Funktionsstörungen" in den betroffenen Ländern nicht aus. Gerichte könnten somit doch "unmenschliche" oder "erniedrigende" Zustände feststellen.

Für die Abschiebung ist eine sechsmonatige Frist angesetzt, diese kann aber auf bis zu eineinhalb Jahre verlängert werden.

10.607 Personen, die bereits in einem anderen EU-Land internationalen Schutz erhalten haben, bekamen in Deutschland einen Bescheid über ihren Asylantrag, erklärt die NGO Pro Asyl gegenüber der "Wiener Zeitung".

Wenig Lösungskompetenz

Bei den Erstanträgen in der gesamten EU stand Deutschland 2018 an der Spitze, wenn auch mit 162.000 Anträgen um 18 Prozent weniger als 2017 verzeichnet wurden. Das spiegelt den europäischen Trend wider, in der gesamten EU waren es 580.000 Anträge; was ein Minus von elf Prozent bedeutet. Österreich kam auf knapp 11.400 Anträge, um 49 Prozent weniger.

Die Aufnehmebereitschaft der Deutschen hängt stark davon ab, aus welchem Grund die Antragsteller ihre Heimat verlassen haben. Während 57 Prozent meinen, Deutschland sollte weniger Personen aufnehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen kommen, befürworten das im Fall von Kriegsflüchtlingen lediglich 26 Prozent. Doch die Bürger sind gespalten, ob Kriegsflüchtlinge Deutschland schnellstmöglich nach Konfliktende verlassen sollen und Integration nicht notwendig ist. 52 Prozent sagen dazu Ja, 46 Prozent Nein. Das ergab eine repräsentative Umfrage im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.

Zu denken muss der schwarz-roten Koalition in Berlin jedoch geben, wie wenig die Bürger auf die Lösungskompetenz der Regierung setzen. 68 Prozent der Befragten stimmen dem Satz zu: "Die Bundesregierung hat keinen Plan, wie es mit den Flüchtlingen, die in Deutschland sind, weitergehen soll." Nur 17 Prozent lehnen die Aussage ab.