Im Gartenbaukino verabschiedet man sich von der "Wiener Zeitung" mit einer Retrospektive zu Journalismus im Film.
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Allerlei Institutionen, Leser, Prominente, Kulturschaffende nehmen dieser Tage Abschied von der "Wiener Zeitung", die als Druckausgabe Ende Juni unfreiwillig aus dem Leben scheiden wird. Viele der Bekundungen sind rührend, sie brechen einem das Herz. Zum Beispiel, wenn einem eine ganze Retrospektive gewidmet wird - aber nicht in Form einer Ausstellung, sondern auf der Kinoleinwand von Wiens größtem Premierenkino, dem Gartenbau am Parkring. Die Betreiber haben sich als Adieu für die älteste Tageszeitung der Welt die ganz besondere Zusammenstellung eines Programms einfallen lassen.
Noch bis zum 27. Juni zeigt das Gartenbaukino eine Filmschau unter dem Titel "Behind the Headlines", die das kleine Genre der Journalismus-Filme genauer unter die Lupe nimmt. "Die Erstausgabe der ‚Wiener Zeitung‘ erschien im Sommer 1703. In den letzten 320 Jahren erfuhren ihre Leser alles über fünf französische Republiken, 24 neue Päpste, zehn österreichische Kaiser und diesen verrückten Darwin und was er der Bibel entgegenzusetzen hatte. Sie waren bezüglich aller menschlichen Errungenschaften und Irrungen stets auf dem neuesten Stand", erklären Norman Shetler und Otto Römisch ihre Motivation, die Filmschau für das Gartenbaukino als Kuratoren zusammenzustellen.
Ein Farewell vom Parkring
Das Ergebnis sind handverlesene Filme, die die Geschichte und die Machart von Journalismus durchleuchten, dramatisieren, in Frage stellen. Und die "Wiener Zeitung" dient dem Gartenbaukino dabei als - trauriger - Aufmacher: "Jetzt soll sie eingestellt werden, diese älteste Tageszeitung der Welt, die sich seit Tag eins die unbedingte Wahrheit ‚ohne einigen Oratorischen und Poëtischen Schminck, auch Vorurtheil‘ auf die druckergeschwärzten Fahnen geschrieben hat. Uns, dem Gartenbaukino, bleibt nur, ein Farewell vom Parkring nach Sankt Marx zu senden und ein leises Servus zum Abschied - in Form einer kleinen Filmreihe, die die Arbeit und Facetten der Zeitungswelt auf die große Leinwand bringt", so Shetler und Römisch.
Das Verhältnis vom Kino zum gedruckten Medium Zeitung war dabei nicht immer friktionsfrei, wie auch die Kuratoren anmerken. Während die Zeitung der Wahrheit verpflichtet ist und nur das druckt (oder: drucken sollte), was faktisch belegbar ist, ist es beim Kino genau andersherum: Da zeigen die 24 Bilder pro Sekunde lediglich eine Inszenierung der Wirklichkeit, 24 Lügen pro Sekunde, sozusagen. Die Zeitung sei nach wenigen Stunden bereits in die Jahre gekommen, das Kino jedoch für die Ewigkeit gedacht. Während die Zeitung druckfrisch frühmorgens vor der Haustüre landet, ist das Kino für die abendliche Zerstreuung erfunden, für eine Art "eskapistischer Unterhaltung", wie es Römisch formuliert.
Aufdecker der Wahrheit
Dennoch sind immer wieder große Filmemacher der Versuchung erlegen, die beiden ungleichen Medien doch zusammenzubringen. Weil ein großes erzählerisches Potenzial gibt es da ja doch zweifellos: Sind Zeitungen doch Ausdruck eines Aufdecker- und Wahrheitsdrangs, den eifrige Journalisten mit aller Kraft und oftmals unter Einsatz ihres Lebens recherchieren und veröffentlichen, "ob investigativ wie Bernstein und Woodward (Dustin Hoffman und Robert Redford in ‚All the President’s Men‘) oder sich in der Materie verlierend wie Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal in ‚Zodiac‘)", schreiben die Kuratoren.
Die Redaktion als Ort der Entstehung von Nachrichten ist dabei oftmals Dreh- und Angelpunkt für die filmische Erzählweise: Manchmal werden Filmemacher nostalgisch und verklären den Beruf regelrecht, wie in "The French Dispatch" oder "The Man Who Shot Liberty Valance", manchmal ist die Arbeit überaus nüchtern und sachlich dokumentiert, wie in "Hinter den Schlagzeilen" oder "Spotlight". In "La dolce vita" von Federico Fellini sind es wiederum die Linsen der Paparazzi, die eine Welt zwischen Höhenflug und Absturz porträtieren.
In "Sweet Smell of Success" beleuchtet Alexander Mackendrick das zwiespältige und niemals moralisch einwandfreie Verhältnis zwischen Presseagent und Journalist - diese Begegnung tragen hier Tony Curtis und Burt Lancaster aus. In "His Girl Friday" hat Howard Hawks 1940 befunden, dass der Beruf des Journalisten mit allerlei Privatem nicht vereinbar scheint: Eine Redakteurin lässt sich hier nicht auf eine neue Beziehung ein, weil die große Story bei ihrem Ex im Verlag - gespielt von Cary Grant - auf sie wartet.
Und dann gibt es natürlich den Film aller Filme: "Citizen Kane" von 1941, Regie: Orson Welles. Ein Werk, das jahrzehntelang als bester Film aller Zeiten galt. Und dabei das Rätsel "Rosebud" um den Zeitungsmagnaten Charles Foster Kane (gespielt von Welles selbst) aufgab. "Citizen Kane" ist ein Monument in der Filmgeschichte, aber auch ein Meilenstein im Genre des Journalismusfilms.
Der Antrieb des Reporters
Da hätten wir uns natürlich noch Billy Wilders "Extrablatt" als Teil dieser Retrospektive gewünscht, der mit Jack Lemmon und Walther Matthau in seiner komödiantisch verspielten Art versucht, den Antrieb eines Reporters herauszudestillieren. Was natürlich auf Wilder-Art ganz vortrefflich gelingt. Für alle, die nicht ins Kino können, empfiehlt sich derweil eine Streaming-Serie, die bei Canal+ abrufbar ist. Dort ist unter dem Titel "Press" in sechs Folgen zu sehen, wie Mechanismen im Qualitäts- und im Boulevardjournalismus funktionieren und weshalb sich beide einander immer mehr annähern.
Ein Tipp am Rande, aber zurück zur großen Retro des Gartenbaukinos: Dort ist man sich bewusst, nicht allumfassend über das Zeitungswesen berichten zu können. Denn: "Von diesen und ähnlichen Erzählungen gibt es in der Filmgeschichte so viele wunderbare, aufwühlende, humoristische, fesselnde Beispiele, dass es schwerfällt, sie in das zeitliche Korsett einer Filmreihe zu zwängen", sagen die Kuratoren. "Aber das Schließen einer 320 Jahre alten Institution, die sich eben dieser oft zitierten Wahrheit verpflichtet hat, ist dem Gartenbaukino Anlass genug, den Versuch zu wagen." Wir danken!