Begräbnis von Wendepolitiker Gyula Horn gerät in Ungarn zur Orbán-Schelte.
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Budapest. Stumm und mit grimmiger Miene saß Viktor Orbán unter den Trauergästen, während Deutschlands Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den Verstorbenen würdigten, der vor mehr als 20 Jahren maßgeblich zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen hat: Gyula Horn, Ungarns Ministerpräsident von 1994 bis 1998. Am 27. Juni 1989 durchschnitt der damalige Außenminister Horn mit seinem österreichischen Kollegen Alois Mock den Stacheldraht, der bis dahin das demokratische Europa vom Ostblock getrennt hatte. Der frühere Kommunist und spätere Sozialist war am 19. Juni nach langer Krankheit gestorben. Am Montag wurde er am Budapester Nationalfriedhof beerdigt.
Das Meer von roten Nelken, die militärischen Fanfarenklänge, vor allem aber die Würdigung Horns als Europäer durch die Trauergäste aus dem Ausland dürften für Orban wie Hohn gewirkt haben - zumal der Sozialdemokrat Schulz sich einen Seitenhieb nicht verkneifen konnte: "Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, ob es nicht wieder an der Zeit ist, Trennungen zu überwinden", sagte er und legte damit einen Vergleich zwischen dem Vereiniger Horn und dessen Amtsnachfolger, dem immer aggressiveren Anti-Europäer Orbán nahe. Erst wenige Tage zuvor war Schulz in Straßburg Zeuge, als Orbán die Kontrollmechanismen der EU mit der Gängelpolitik der Sowjetunion gleichsetzte. Tausende Trauergäste quittierten dies nun mit "Pfui"-Rufen, jedes Mal, wenn der Zeremonienmeister Orbáns Namen erwähnte.
Horns Weg zum Wendepolitiker war umständlich. Als Arbeiterkind schloss er sich früh den stalinistischen Kommunisten an. Während des Aufstands 1956 war er Mitglied einer Miliz zur Niederschlagung der Revolte. In den 80er Jahren gehörte er zu den Reformkommunisten um den Wende-Regierungschef Miklós Németh. Im dramatischen Sommer 1989, als es um die Flucht tausender DDR-Bürger via Ungarn ging, war er ein wichtiger Vermittler. "Er erwies sich in der Stunde der Not als Freund", sagte Genscher. Die Wende war zwar nicht nur sein Werk, doch machten ihn die Medien zu deren Ikone.
Gastkommentar von Tamara Ehs: Verteidigung der Demokratie