Zum Hauptinhalt springen

Abschied vom 1,5-Grad-Ziel

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Konflikt statt Kooperation, Ambitionslosigkeit statt Anstrengung.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ohne die Unterzeichnung eines "historischen Paktes" zwischen den reichsten Ländern und den armen Ländern der Welt "sind wir verloren", warnt UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Ernste Warnungen gehören mittlerweile zur Klimakonferenz-Folklore, doch wenn der moderne Mensch eines gelernt hat, dann ist das, aufrüttelnde Appelle dieser Art einfach auszublenden.

Bei der COP26 vor einem Jahr im schottischen Glasgow herrschte Einigkeit, dass die Länder der Weltgemeinschaft alles unternehmen müssen, um einen gefährlichen Anstieg der globalen Temperaturen um mehr als 1,5 Grad - verglichen mit den Durchschnittstemperaturen vor der Zeit der Industriellen Revolution - zu verhindern. Schon damals war klar, dass das bei der Pariser Klimakonferenz im Jahr 2015 definierte 1,5-Grad-Ziel pures Wunschdenken ist. Denn bis heute sind die globalen Durchschnittstemperaturen bereits um 1,2 Grad höher als in vorindustriellen Zeiten, und es ist unmöglich geworden, die Konsequenzen des Klimawandels zu leugnen oder zu ignorieren: Hitzewellen in Europa, Dürre in den USA, riesige Überschwemmungen in Pakistan, Hunger in Afrika.

Klar ist: Die Menschheit steht vor der größten Herausforderung unserer Epoche, und es sieht derzeit nicht so aus, als würde der Homo sapiens diesen Test bestehen. Wo Kooperation gefragt ist, herrscht Konflikt, wo es eine echte globale Anstrengung braucht, fehlen Ambitionen.

Das politische Umfeld, in dem die COP27 stattfindet, könnte schwieriger nicht sein: Die geopolitische Situation ist angespannt wie schon lange nicht, der Krieg tobt in der Ukraine mit unverminderter Härte, die Inflationsraten steigen weltweit auf Rekordwerte, und das Bild der Weltwirtschaft verdüstert sich.

Doch Resignation ist keine Option. Immerhin: Die USA kommen mit einem Klimaplan im Gepäck nach Sharm-El-Sheikh, der sogar in ein Gesetz gegossen wurde und mit 370 Milliarden US-Dollar unterlegt ist, mit dem die USA die Energiewende schaffen wollen. Der Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat den Klimaanstrengungen der EU einen schweren Schlag versetzt - in Österreich soll sogar ein eingemottetes Kohlekraftwerk wieder ans Netz gehen. Letztlich hat aber die Preisexplosion bei fossilen Energieträgern die Konkurrenzfähigkeit der Erneuerbaren dramatisch erhöht.

So paradox es auch klingen mag: Die mittlerweile 19-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg hat mit dem Kriegstreiber Wladimir Putin einen seltsamen Verbündeten bekommen. Die Energiewende muss also gelingen - wenn schon nicht um die Zukunft nachfolgender Generationen wegen, so zumindest, um sich von den Lieferanten fossiler Energieträger zu emanzipieren.