Der einstige Häftling einte Südafrika und wurde weltweit zum Idol.
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Johannesburg/Wien. "Wenn wir von unserer eigenen Furcht befreit werden, befreit unsere Gegenwart auch andere", sagte Nelson Mandela bei seiner Antrittsrede als südafrikanischer Präsident 1994. Er selbst bewies sein ganzes Leben lang, wie viel Wahrheit in diesem Zitat steckt. Mit großer Courage und ohne Rücksicht auf persönliche Verluste stellte sich der Friedensnobelpreisträger dem Kampf gegen das zutiefst rassistische Apartheid-System, war Freiheitskämpfer, politischer Häftling, Staatschef und der große Versöhner Südafrikas.
Nelson Mandela ist in der Nacht auf Freitag gestorben. Sein Tod stürzt ein ganzes Land in Trauer. Doch der Glanz von "Madiba", so der Clanname Mandelas, strahlt weit über Südafrika hinaus, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er zum Idol der Menschheit wurde. Bill Clinton meinte einmal, dass er für keinen Menschen mehr Bewunderung hege. Der Oscar-Preisträger Morgan Freeman, der Mandela darstellte, bezeichnete den Südafrikaner als meistgeliebten Mann auf diesen Planeten.
"Ein mittelmäßiger Mensch"
Dabei hatte Mandela selbst in einem Brief 1971 geschrieben: "Manchmal glaube ich, die Schöpfung wollte der Welt durch mich zeigen, was ein mittelmäßiger Mensch im wahrsten Wortsinn ist." Eine Selbsteinschätzung, die zeigt, welch strenge Maßstäbe Mandela an sich selbst anlegte, und mit der in Anbetracht seines Lebenswerkes wohl niemand mehr übereinstimmt.
Es war ein steiniger Weg voller Entbehrungen und Erniedrigungen und voll des Kampfes, den der einstige Amateur-Schwergewichtsboxer ging. Geboren im Dorf Mvezo im Südosten des Landes, hütete das Kind aus dem Volk der Xhosa Schafe und Kälber und besuchte eine Missionsschule. Es folgten seine Politisierung als Jusstudent und sein Beitritt zur Widerstandsbewegung African National Congress (ANC), deren führende Figur er im Laufe der Jahre werden sollte.
Begleitet wurde Mandela von einer Unduldsamkeit gegenüber der Ungerechtigkeit, vom Zorn darüber, dass unter dem rassistischen weißen Regime Schwarze in Townships zusammengepfercht und Mischehen verboten waren. Oliver Tambo, der einstige ANC-Präsident, beschrieb den jungen Mandela als "leidenschaftlich, emotional und empfindlich".
Mandela wollte zunächst nach dem Vorbild Mahatma Gandhis dem Apartheid-Regime mit gewaltlosem Widerstand beikommen. Doch dann kam der 21. März 1960: An diesem Tag töteten in dem Township Sharpeville während einer Protestaktion Sicherheitskräfte 69 Menschen – die meisten von ihnen mit Schüssen in den Rücken. Die empörte schwarze Bevölkerung reagierte mit landesweiten Unruhen, das Regime verbot den ANC.
Das Massaker von Sharpeville markierte einen Wendepunkt für die Widerstandsbewegung. Viele ihrer Anführer argumentierten nun, dass sämtliche Demos und Streiks nichts eingebracht hatten. Ganz im Gegenteil: Der Staatsapparat reagierte mit immer mehr Brutalität, der friedliche Aufstand war an einen toten Punkt angelangt. Auch Mandela rief zu Sabotageakten gegen die südafrikanische Wirtschaft auf, 1961 wurde er dann Anführer des bewaffneten Flügels des ANC, der sich "Speer der Nation" nannte.
Doch das Leben im Untergrund nahm nach einem Jahr ein jähes Ende. Nachdem er von Sicherheitskräften aufgespürt worden war, wurde Mandela wegen Planung des bewaffneten Kampfes angeklagt. Vier Stunden lang verteidigte sich der Regimegegner in einer berühmten Rede. Er sei immer für eine freie und demokratische Gesellschaft eingetreten, betonte Mandela. "Es ist ein Ideal, für das ich zu leben und das ich zu erreichen hoffe. Aber wenn es notwendig ist, bin ich bereit, für dieses Ideal zu sterben", verkündete der Angeklagte, der fest mit der Todesstrafe rechnete. Danach herrschte Stille im Gerichtssaal.
Gefängnis als Lehrmeister
Doch statt des Stricks erwartete Mandela eine Gefängnisstrafe. 27 Jahre sollte er in Haft verbringen. Der Chefredakteur des "Time Magazine", Richard Stengel, der Mandela über Jahre begleitete, meint in seinem Buch "Mandelas Weg", dass das Gefängnis "der größte Lehrmeister" des Freiheitskämpfers war. Der früher oft aufbrausende Mandela lernte dort Selbstdisziplin und seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Er beherrschte sich selbst gegenüber dem sadistischsten Wärter, versuchte vielmehr, dessen Verhaltensweisen zu ergründen.
Dabei hatte er, wie die anderen Mithäftlinge auch, ständige Erniedrigungen zu erdulden. Weiße bespuckten ihn, als er im Frachtraum eines Passagierschiffes nach einem Spitalsaufenthalt in Kapstadt auf die Gefangeneninsel Robben Island zurückgebracht wurde. Dort versuchten die Behörden Mandela und seine Mitstreiter durch knochenharte Arbeit im Steinbruch zu brechen.
1982 wurde Mandela in das Gefängnis Pollsmoor überstellt und drei Jahre später traf er eine einsame, mutige und folgenreiche Entscheidung: Er nahm Geheimverhandlungen mit dem Regime auf. Damit setzte er sich über die Prinzipien des ANC hinweg: Denn dieser lehnte Gespräche ab, zuerst müssten die politischen Häftlinge freigelassen und die Apartheidsgesetze abgeschafft werden. Mandela riskierte, zum Außenseiter innerhalb seiner Bewegung zu werden und diese zu spalten. Doch er sah diesen Weg als erfolgsversprechendsten an und erwies sich als Pragmatiker.
Der weitere Gang der Ereignisse sollte ihm recht geben. Die Verhandlungen mündeten im Ende der Apartheid, wofür Mandela 1993 gemeinsam mit dem damaligen Präsidenten Frederik de Klerk den Friedensnobelpreis erhielt. Die innersüdafrikanische Krönung dieser Erneuerung waren die ersten demokratischen Wahlen des Landes 1994, unter dem Motto "one man, one vote", aus denen Mandelas ANC als eindeutiger Sieger hervorging. Der einstige Verfolgte und Häftling wurde der erste schwarze Präsident des Landes.
Sowohl als Verhandler als auch als Präsident zeichneten ihn die Verhaltensweisen aus, die er sich während seiner Haftzeit angewöhnt hatte. Er studierte politische Mitstreiter und Gegner genau und ließ sich nie von Emotionen überwältigen. Mandelas überlegtes Vorgehen war deshalb so entscheidend, weil Südafrika Mitte der 1990er Jahre am Rande eines Bürgerkriegs stand. Weiße Extremisten versuchten durch Anschläge den Versöhnungsprozess zu torpedieren. Dass dieser nicht scheiterte und Südafrika der Weg in eine multikulturelle Demokratie gelungen ist, ist niemandem mehr zu verdanken als Mandela. "Südafrika gehört allen, die dort leben, Schwarzen und Weißen", betonte er.
Zudem war er sich bewusst, welch große Bedeutung Symbole auf politischer Ebene haben. Der Sport der Weißen Südafrikas war immer Rugby, ihr Stolz das Nationalteam, das den Beinamen Springbocks trug. Der ANC wollte das Team in Protea umbenennen. Doch Mandela hielt es für einen Fehler, den Weißen nach der Macht auch ihre Symbole zu nehmen. Und als dann die Springbocks 1995 im eigenen Land die Rugby-WM gewannen, schüttelte Mandela vor dem Finale dem weißen Team-Kapitän Francois Pienaar die Hand, während das vornehmlich weiße Publikum "Nelson, Nelson" intonierte. Eine Szene, die den Aussöhnungsprozess stärker vorantrieb als viele Reden – und die dafür prädestiniert war, in Hollywood Einzug zu finden, was dann in Clint Eastwoods Film "Invictus" geschah.
"Ich trete mit reinem Gewissen ab und mit dem Gefühl, in bescheidener Weise meine Pflicht für mein Volk und mein Land getan zu haben", sagte Mandela, als 1999 seine Präsidentschaft endete. Er blieb noch politisch aktiv, doch mit der Zeit zog er sich immer mehr ins Privatleben zurück.
Dreimal heiratete Mandela, zuletzt mit 80 Jahren Graca Machel, die Witwe des Ex-Präsidenten von Mosambik, Samora Michel. Aus den zwei vorangegangenen Ehen mit Evelyn Ntoko Mase und Winnie Madikizela-Mandela stammen sechs Kinder. Eine Tochter Mandelas starb bereits im Säuglingsalter, sein zweitältester Sohn Makgatho Mandela erlag 2005 mit 54 Jahren Aids. Vom Tod seines ältesten Sohnes Madila Thembekili, der 1969 bei einem Autounfall starb, erfuhr Mandela im Gefängnis Robben Island, er durfte das Begräbnis nicht besuchen.
"Mit Lächeln auf Lippen"
Für seinen politischen Kampf hat Mandela viel von seinem Privatleben geopfert. Stengel beschreibt in seiner Mandela-Biographie, dass Mandela von seinem ältesten Sohn einmal gefragt wurde, warum er keine Nacht bei der Familie verbringen könnte. Die Antwort des Vaters: Weil Millionen andere Kinder ihn brauchen würden.
Mandela wollte, dass die kommenden Generationen nicht in Unfreiheit geboren werden, und dieses Ziel hat er in Südafrika erreicht. Das Eintreten für die Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht oder sozialer Schicht ist sein Erbe. Nun kann er seine Stimme, die immer wieder Konflikte und Gewalt verhindert hat, nicht mehr erheben. Südafrika und die Weltgemeinschaft verabschieden sich von einem großen Brückenbauer und Versöhner. "Ich habe keinen Zweifel", sagte Mandela einmal, "dass ich einst mit einem Lächeln auf den Lippen in die Ewigkeit einkehre."
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