Der Skandal in Österreich wird laut Experten kaum auf andere Rechtsparteien in Europa abfärben. Die Auswirkungen auf die europäischen Konservativen könnten da schon schwerer wiegen.
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Brüssel/Wien. In Österreich gibt es seit Freitagabend kein anderes Thema mehr: Der "Ibiza-Skandal", also das auf Video aufgezeichnete Treffen der FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus mit einer angeblichen russischen Oligarchennichte, brachte nicht nur die beiden Politiker zu Fall, sondern sprengte auch die Koalition mit der ÖVP.
Fünf Tage vor den Europawahlen stellt sich die Frage: Hat der Skandal und die Selbstdemontage der FPÖ Auswirkungen auf das EU-Votum? Stefan Lehne von der Denkfabrik Carnegie Europe glaubt nicht daran. Es handle sich nach wie vor um "28 parallele nationale Wahlen" mit eigenen Gesetzen und Kampagnen, sagte der Europaexperte im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Lehne glaubt auch nicht, dass die FPÖ nach dem Rücktritt von Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dem Ibiza-Enthüllungsvideo von den Rechten im EU-Parlament ausgeschlossen wird. Es seien in dieser Fraktion "ohnehin mehrere dubiose Parteien dabei". Das Skandalvideo sei für die FPÖ im rechten Lager "kein Handicap".
Der Plan der europäischen Rechtsparteien, sich im Europaparlament zu einer einzigen, großen Fraktion zusammenzuschließen, habe auch vor Ibiza kaum Erfolgsaussichten gehabt. Zu groß seien die Widersprüche in der Russland- sowie in ihrer Wirtschafts- und Budgetpolitik. "Vielleicht gibt es in Zukunft zwei anstatt drei rechte Fraktionen", meint Lehne. "Aber eine große Einigung der rechtsnationalen Kräfte sehe ich nicht."
Dass sich der Skandal in Österreich auf die Europawahlen auswirkt, glaubt auch Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Thinktank European Policy Centre nicht. Zwar versuchten die Parteien, die Affäre zu nutzen und Wähler zu mobilisieren - im Diskurs spiele es also schon eine Rolle. "Doch die französischen oder deutschen Sozialdemokraten werden dadurch nicht dazugewinnen." Ebenso wenig würden die Italiener nun kritisch gegenüber Lega-Chef Matteo Salvini werden. "In vielen Mitgliedstaaten stehen gar nicht europäische Themen im Vordergrund. Die Wähler sind durch nationale und persönliche Belange motiviert", sagt Emmanouilidis der "Wiener Zeitung".
Kanzler "immens geschwächt"
Als viel größer sehen die beiden Experten die Folgen des österreichischen Skandals für die Europäische Volkspartei (EVP). Immerhin ist der Versuch der ÖVP, die Rechten gewissermaßen zu domestizieren, gescheitert. "Die Geschehnisse in Österreich haben natürlich auch eine erhebliche Auswirkung auf die Diskussion darüber, wie nationale konservative Parteien mit Rechtspopulisten umgehen sollten", erklärt Emmanouilidis. Das "Modell Sebastian Kurz", also die Einbindung von rechtspopulistischen Kräften in die Regierung, nehme auch über Österreich hinaus Schaden.
Auch Lehne sieht das "Scheitern des österreichischen Experiments" als "Rückschlag" für die Befürworter einer Zusammenarbeit mit rechten Parteien. Ob Kanzler Sebastian Kurz mittelfristig von dieser neuen Situation profitieren kann, würden erst die Neuwahlen zeigen.
Sicher ist für Emmanouilidis, dass die Position des österreichischen Kanzlers auf europäischer Ebene "immens geschwächt ist". Im Mitte-rechts-Lager habe Kurz eine wichtige Stimme gehabt, "er hat eine gewichtigere Rolle gespielt, als die Größe seines Landes das vorgegeben hat".
Das muss zwar nicht bedeuten, dass sich nun die Kräfteverhältnisse im Gremium der EU-Staats- und Regierungschefs generell massiv verschieben. Dennoch könnten die Entwicklungen in Österreich schon bald zumindest in einen Bereich ausstrahlen - und der ist nicht unerheblich. Es geht um die Besetzung gleich mehrerer EU-Spitzenposten, die nach dem Urnengang anstehen. Danach wird nämlich nicht nur die Führung des nächsten EU-Parlaments bestimmt. Auch die Präsidenten der EU-Kommission, des EU-Rats und der Europäischen Zentralbank werden neu fixiert.
Testlauf für Nationalratswahl
Das meiste machen sich dabei die Regierungen untereinander aus, wobei es sowohl die Parteien- als auch die Länderinteressen zu berücksichtigen gilt: In dem fein austarierten Gefüge müssen sich kleine und große Staaten, der Norden wie der Süden, der Westen und der Osten sowie diverse politische Gruppierungen vertreten fühlen. Zumindest eine Frau sollte außerdem ebenfalls einen der Topjobs erhalten.
Einen besonderen Zusammenhang gibt es aber zwischen der Wahl des EU-Parlaments und der Bestimmung des EU-Kommissionspräsidenten. Auch wenn diesen die Mitgliedstaaten ernennen dürfen, haben die zwei größten Fraktionen im EU-Abgeordnetenhaus bei der Wahl vor fünf Jahren das Spitzenkandidaten-Prinzip durchgesetzt. Die Christ- und die Sozialdemokraten haben sich damals geeinigt: Die nach dem Votum stärkste Partei stellt den Kommissions-, die zweitstärkste den Parlamentspräsidenten. Die EVP erhielt die meisten Stimmen, und deren Spitzenkandidat Jean-Claude Juncker gelangte an die Spitze der EU-Kommission.
Dieses Prozedere will vor allem die Volkspartei nun wiederholen - und einer der größten Unterstützer dafür ist gerade Kurz. Der österreichische Bundeskanzler hat sich mehrmals dafür ausgesprochen, das Modell weiterzuführen. Der deutsche CSU-Politiker Manfred Weber, den die EVP als Spitzenkandidaten aufgestellt hat, kann daher mit Rückendeckung aus Wien rechnen. Wie viel Gewicht dies jedoch in der aktuellen Situation hat, ist freilich offen.
Klar ist, dass etliche Staaten - darunter Frankreich - das Spitzenkandidaten-Prinzip ablehnen. Und ob sich dessen Gegner oder Befürworter durchsetzen, könnte sich bereits nächste Woche abzeichnen. Am Dienstag kommen die Staats- und Regierungschefs zu einem Abendessen in Brüssel zusammen. Sie wollen dabei nicht nur über das Ergebnis der EU-Wahl diskutieren, sondern auch über die Postenbesetzungen.
In Österreich hat der Ausgang des Urnengangs jedenfalls schon jetzt eine weitere Dimension erhalten. Ob es Zufall ist oder nicht, dass das Ibiza-Video kurz vor dem EU-Votum aufgetaucht ist - der Urnengang wird weit brisanter für die Parteien, als es noch vor einigen Tagen den Anschein hatte. Er wird zum Testlauf für die Nationalratswahl im Herbst.