Manager wenden sich von Shareholder Value ab. | In Zeiten erhöhten Eigenkapitalbedarfs sollte man es sich jedoch mit Aktionären gut stellen. | Um lang- statt kurzfristig zu wirtschaften, müssten sich Verträge und Quartalsberichte ändern. | Wien. Mehr als zwanzig Jahre lang hat das Prinzip des "Shareholder Value", also das Streben nach kurzfristigen Gewinnen und steigenden Aktienkursen, die Unternehmenswelt dominiert. Nun macht ausgerechnet Jack Welch, einer der prominentesten Vertreter dieses Prinzips, einen Rückzieher: Es sei "die blödeste Idee der Welt", Quartal für Quartal nur nach Gewinnen zu streben, sagte der Ex-Chef des US-Mischkonzerns General Electric.
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Das sind erstaunliche Worte aus dem Mund jenes Mannes, der in den 90er Jahren vor Massenkündigungen nie zurückschreckte. Unternehmensteile, die ihre Renditeziele nach zwei Jahren verfehlten, wurden zugesperrt oder verkauft. Üppige Dividenden sollten die Aktionäre des Konzerns, der unter anderem Haushaltsgeräte und Flugzeugtriebwerke herstellt sowie Fernsehsender betreibt, bei Laune halten.
Zehn Jahre, nachdem Welch vom Wirtschaftsmagazin "Fortune" zum Manager des Jahrhunderts gekürt wurde, macht er nun deutlich: Der Shareholder Value dürfe keine Strategie, sondern nur ein Ergebnis sein. An erster Stelle sollten vielmehr Mitarbeiter, Kunden und Produkte stehen.
Auf Kriegsfuß mit der kurzzeitigen Gewinnorientierung steht auch Paul Polman, seit 2009 Chef des weltweit drittgrößten Lebensmittelkonzerns Unilever: Sein Ziel sei es, einem Vier- bis Fünf-Jahres-Prozess zu folgen. Dabei arbeite er nicht für die Aktionäre, sondern für die Verbraucher, betonte der Chef des britisch-niederländischen Multis vor kurzem.
Die Aussagen von Welch und Polman kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem sich in vielen Köpfen eine Rückbesinnung breit gemacht hat. Die Wirtschaftskrise brachte eine Abkehr vom Shareholder-Value-Mantra und jener Manager-Generation, die sich jahrzehntelang nur am Aktienkurs orientierte. Millionenschwere staatliche Zahlungen an bankrotte Banken hat die Öffentlichkeit ebenso wenig vergessen wie Bonuszahlungen an Top-Manager.
Wie Balsam für die wunden Seelen erscheint da das Versprechen vom langfristigen Denken im Wirtschaftsleben, vom Handeln, das den Nutzen und das Wohl für alle im Auge hat. Doch wie viel Glauben kann man der langfristigen Unternehmensausrichtung schenken - wenn doch das Wirtschaftsumfeld längst auf Kurzatmigkeit hingetrimmt ist?
"Manager in börsenotierten Unternehmen erhalten befristete Verträge für maximal zwei Jahre, Boni-Zahlungen basieren auf kurzfristigen Erfolgszahlen", schildert Otto Janschek vom Institut für Unternehmensführung der Wirtschaftsuniversität Wien.
Auch bei den Bilanzierungsregeln und der Berichtsfrequenz in den Betrieben setzte sich weltweit die Philosophie der kurzfristig orientierten Marktbewertung durch. Quartal für Quartal müssen die großen Unternehmen ihre Zahlen bekannt geben - sich von Analysten bewerten und mit den Mitbewerbern vergleichen lassen.
Unter Quartalsdruck
Bis in die 80er Jahre waren an den europäischen Börsen nur Halbjahresberichte üblich. Die Zahlen mussten nicht in der Detailliertheit von heute vorliegen. Ein Grund für den Wandel: Durch die Globalisierung in den 90er Jahren wurden nicht nur Betriebe, sondern auch Managementprinzipien weltweit verbunden - der Shareholder-Value-Ansatz aus dem angloamerikanischen Raum quasi "unreflektiert" importiert.
Denn was scheinbar als etwas Gutes konzipiert wurde, sei falsch interpretiert worden, ist mittlerweile von vielen Managementberatern zu hören. "Der Shareholder-Value-Ansatz wird fälschlicherweise mit der kurzfristigen Gewinnorientierung von Unternehmen gleichgesetzt", unterstreicht Antonella Mei-Pochtler, Senior Partnerin beim Beratungsunternehmen The Boston Consulting Group. Richtiges Wertmanagement setze aber immer eine langfristige Orientierung voraus.
Man sollte außerdem berücksichtigen, "dass er einer von mehreren Ansätzen ist, um ein Unternehmen zu steuern". Die Messlatte sei nicht der tagesaktuelle Börsenkurs, sondern der Gesamtertrag für die Aktionäre.
Gute Manager balancieren
Und dieser ließe sich durch Investitionen in die Forschung, Produkte und die Wettbewerbsfähigkeit erzielen, ist Martin Hagleitner, Österreich-Chef des Malik-Management Zentrums St. Gallen, überzeugt. Denn hohe Marktanteile und Reputation würden langfristig auch hohe Gewinne bringen. Es ist folglich in den Chefetagen wieder en vogue, Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter als Strategieobjekte anzupeilen.
Und die Aktionäre? Bei allen Schuldzuweisungen nach dem Motto "Die Gier der Manager ist durch die Gier der Aktionäre getrieben" wäre es ein Fehler, die Eigentümer in Zukunft weniger zu beachten: "Eigenkapitalgeber haben nach wie vor einen Anspruch auf eine angemessene Verzinsung", sagt Hagleitner. Gerade in Zeiten von "Basel III", das einen höheren Eigenkapitalbedarf vorschreiben wird, sei es wichtig, gute Beziehungen zu Finanziers zu pflegen. Was bleibt, ist das Spannungsfeld zwischen langfristiger Orientierung und kurzatmigem Wirtschaftsleben samt Quartalsdruck, Quartalsboni & Co: Zwei Auswege könnten aus dem Dilemma führen: Ein guter Manager müsse zwischen beidem balancieren können, betont die eine Seite, zu der auch Mei-Pochtler zählt. "Er muss seine kurzfristigen Versprechen erfüllen und auf kurzfristige Veränderungen reagieren können. Gleichzeitig geht es darum zu investieren, um den langfristigen Erfolg des Unternehmens sicherzustellen."
Für einen Wandel im Wirtschaftsumfeld appelliert hingegen die andere Seite: So sollten Boni-Zahlungen statt auf Quartalsergebnissen auf langfristigen Unternehmensentwicklungen basieren. Manager mit Aktienbeteiligungen sollten auch bei Entwicklungen nach unten partizipieren und Haltefristen auferlegt bekommen. Veränderungsbedarf gebe es auch im Berichtswesen: "Quartalsberichte dürften nicht nur die Börsenkennzahlen berücksichtigen. Vorstellbar wäre auch eine Einbeziehung von Kriterien wie Marktpositionierung und Wettbewerbsfähigkeit", sagt Hagleitner.
Dass sich mit der Fast-Food-Mentalität höchstens schnelles Geld, aber kein nachhaltiger Gewinn machen lässt, hat die Vergangenheit gezeigt. Statistiken belegen, dass jene Firmen, die auf der Jagd nach kurzfristigen Kurssprüngen waren, auf lange Sicht keine bessere Aktienperformance erzielen konnten als andere.