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Abschied von der "alten Arroganz"?

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik
Udo Steinbach im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
© Birgit Svensson

Der Islam-Experte Udo Steinbach im Interview über den europäischen Umgang mit den Golfstaaten.


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Die Zukunft im arabischen Raum gehört tendenziell den Golfstaaten, so die These des Islam-Wissenschafters und Nahost-Experten Udo Steinbach. Die "Wiener Zeitung" hat ihn am Rande einer Veranstaltung zum Thema Medien im Irak in Berlin getroffen.

"Wiener Zeitung": Trotz der skandalumwitterten Fußball-WM in Katar im Dezember plädieren Sie für engere Beziehungen zu den Golfstaaten. Warum?

Udo Steinbach: Sie stellen die Zukunft im arabischen Raum dar. Wenn wir das mit Ägypten oder den Levante-Staaten vergleichen, so müssen wir feststellen, dass die Zukunftsfragen am Golf diskutiert werden. Wissenschaft, Technologie, das ist das, was dort derzeit interessiert. Während im Rest der arabischen Welt hoffnungslos die alten Themen vorherrschen. Es gibt zwar noch die alten, primär auf den Machthaber bezogenen Strukturen am Golf, aber hier wird der Anschluss an die fortschrittlichen Kräfte im globalen Sinne gesucht. Und das macht den Golf im Augenblick so interessant.

Aber diese Entwicklung ist doch nicht von innen heraus, es gibt doch nach wie vor kein ernst zu nehmendes wissenschaftliches Institut oder eine Forschungseinrichtung von Weltrang. Sie kaufen sich diese Entwicklung doch von außen ein, oder?

Ja, sie kaufen sich das von außen ein, aber die Frage muss ja sein, warum tun sie das überhaupt? Tun sie das aus Größenwahn, um zu protzen? Ich meine, da steckt noch etwas anderes dahinter. Der kulturelle und historische Hintergrund der Emirate ist doch, dass sie lange am Ende der Welt waren. Aber auf der anderen Seite waren es Seefahrerstaaten. Vom Golf oder von der omanischen Küste konnte man in den Indischen Ozean gelangen. Dadurch hat sich ein Selbstbewusstsein gebildet, das sie immer mit sich herumgetragen haben. Doch sie waren lange Jahre im Windschatten der arabischen Politik, der internationalen Politik. Und jetzt, seitdem Öl und Gas die treibenden Kräfte geworden sind, treten sie aus diesem Schatten heraus. Es wird fast nur über die Zukunft diskutiert, die Vergangenheit spielt keine Rolle. Das erkennt man an den Museen, die in den Emiraten eröffnet werden, das ist zukunftsorientiert. Und gleichzeitig bleiben sie doch ihren politischen, sozialen und kulturellen Traditionen verhaftet. Den Traditionen verhaftet zu sein und dann aus einer inneren Dynamik heraus, das Modernste, das Größte begleiten zu wollen und sich an die Spitze der Moderne zu setzen, das fasziniert mich ungemein.

Schaffen sie tatsächlich den Spagat zwischen Tradition und Moderne?

Das kann man im Augenblick so sagen. Die Verhältnisse mögen zuweilen etwas abartig erscheinen, wie bei der Fußball-WM, aber dass Katar die Fußball-WM ausgerichtet hat, in den Rahmenbedingungen der FIFA, ist für die ganze arabische Welt ein Riesending. China und Russland haben sie ja auch bekommen und es stand auch dort die Frage der Menschenrechte im Raum. Allerdings, seitdem die Spiele 2010 an Katar vergeben wurden, hat sich die Welt total verschoben, es gibt neue Gewichtungen, neue Kräfteverhältnisse. Deshalb machte das jetzt so ein ungeheures Aufsehen, dass ein Land wie Katar die WM bekam. Natürlich ist es eine Frage des Geldes, aber auch eine Frage des Status und Teil der Dynamik, die wir im Augenblick sehen.

Die Situation ist doch voller Widersprüche. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland sagte ihre Reise nach Katar ab, die Innenministerin flog dorthin. Wirtschaftsminister Robert Habeck machte einen Diener in Doha, um Gas kaufen zu dürfen. Die deutsche Nationalelf hält sich die Hand vor den Mund, um auf die fehlende Meinungsfreiheit hinzuweisen.

Wir haben noch nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Wenn wir über Katar und die Emirate reden, haben wir ein despektierliches Bild im Hintergrund. Auf der anderen Seite wollen wir Öl und Gas von dort bekommen. Wichtig wäre die Frage zu stellen, wie wir mit den Leuten reden können, damit man mit ihnen die richtige Wellenlänge trifft. Bei Katar sind wir nicht in der Lage, die Situation und die Perspektive des Landes zu verstehen, sondern sehen einzig die Menschenrechtsverletzungen. Ein arabisches Land wie Katar zeigt doch, dass es Weltspitze sein kann. Es manifestiert sich da etwas. Ja, die Arbeitskräfte sind jahrelang ausgebeutet worden, aber da hat sich doch etwas verändert, auch seitens der Gewerkschaften. Aber viele Millionen Menschen in Pakistan, in Bangladesch leben davon, was diese Menschen von Katar dorthin überweisen. Im Oktober wird es in Abu Dhabi oder in Dubai eine große Konferenz geben, wo es um Menschenrechte und Menschlichkeit geht. Zwei Begriffe, die durchaus unterschiedlich bewertet werden. Da wird diskutiert, ob Menschlichkeit nur im Kontext eines westlich definierten Menschenrechtsbegriffs gesehen werden oder ob man Menschlichkeit im Kontext anderer Kulturen begreifen kann? Menschenrechte nicht versus Menschlichkeit, sondern Menschenrechte und Menschlichkeit. Was sie als Menschenrechte verstehen, ist durchaus eine Interaktion von Menschlichkeit. Aber das Normative, mit dem wir argumentieren, wird dort aufgelöst.

Bei der Fußball-WM ging es ja nicht nur um die Situation der Fremdarbeiter, die die Stadien gebaut haben, sondern es geht auch grundsätzlich um die moderne Sklaverei, die am Golf herrscht. Wenn die ausländischen Arbeitskräfte wie Leibeigene behandelt werden, ihren Pass abgeben müssen und ihre Stelle nicht einfach wechseln können.

Stimmt, das passt nicht in die heutige Zeit und daran entzündet sich auch die meiste Kritik. Das ist man dabei zu ändern. Wenn ich die ILO - die internationale Arbeitsorganisation - richtig verstehe, hat sich da schon einiges geändert und ist nicht mehr Realität, wie es vor zehn Jahren der Fall war. Durch die Diskussionen, die wir seither führen, hat sich viel verändert.

Das heißt, Veränderung hat durch Dialog stattgefunden?

Ja und wir müssen auch weiter im Dialog bleiben, aber die richtige Tonlage finden. Das wird mir immer wieder gesagt, wenn ich am Golf bin. Geschäfte machen mit den Chinesen ja, auch mit den Russen, aber reden wollen wir mit Europa. Auf einer Basis der Kongenialität, also auf Augenhöhe und ohne diese alte Arroganz, mit der die Europäer zuweilen auftreten. Um mit den Golfarabern klarzukommen, dürfen wir nicht nur die wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund stellen, wir müssen auch die kulturellen Interessen bedienen, was die Chinesen und Russen nicht machen. Wir müssen einfach begreifen, dass sich die Welt verändert hat und wir nicht mehr so auftreten können wie früher. Wir haben eine völlig falsche Einschätzung der politischen und sozialen Verhältnisse in der Region. Der Golf war bisher nie Gegenstand deutscher Politik, erst jetzt durch die Energiekrise werden wir damit konfrontiert. Der Golf und die Arabische Halbinsel waren bis dato ein weißer Fleck für die deutsche Politik.

Müssen wir uns erst aneinander gewöhnen? Gibt es deshalb so viele Irritationen im Moment?

Wir müssen einander kennenlernen. Die Kräfteverhältnisse sortieren sich gerade neu und dadurch gibt es auch am Golf und im Nahen Osten Turbulenzen über die Führungsrolle, Rivalitäten zwischen Katar, den Emiraten und Saudi Arabien. Nehmen sie beispielsweise Ägypten. Das Nilland war einst die Macht im Nahen Osten über Jahrzehnte. Heute ist das nicht mehr so.

Kann man heute überhaupt noch von der arabischen Welt reden?

Doch, eigentlich schon. Der arabische Nationalismus hat abgewirtschaftet, wohl wahr, aber eine pragmatische Zusammenarbeit kann man schon erkennen. Und die Golfstaaten wollen sich hier an die Spitze setzen. Darin sehe ich eine Chance, dass sie die Zukunft gemeinsam gestalten.

Zur Person

Udo Steinbach leitete von 1976 bis 2007 das Deutsche Orient-Institut in Hamburg. Er ist Vorstandsmitglied der Deutsch-Arabischen Freundschaftsgesellschaft und verantwortlich für das Mena-Study Center der Maecenata Stiftung.