Weniger Abfall hilft Händlern, teurere Lohn- und Rohstoffkosten abzufedern.
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Wien. Kurz vor den Feiertagen werden die Supermärkte gestürmt und die Einkaufswagen vollgeräumt - doch viele Lebensmittel davon landen nicht auf dem Teller, sondern im Müll. 10 bis 20 Kilo Nahrungsmittel werden jährlich pro Haushalt weggeworfen - Speisereste noch nicht eingerechnet, wie aus einer Studie der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien hervorgeht. Das summiert sich EU-weit auf 90 Millionen Tonnen Lebensmittelabfall, hat die EU-Kommission berechnet.
Nicht nur in den Haushalten, sondern schon bei Anbau und Produktion sowie im Handel werden Nahrungsmittel weggeworfen. Ein Teil komme gar nicht ins Regal, weil er aufgrund von Überproduktion oder der EU-Vermarktungsnormen zu Größe und Form von zehn Obst- und Gemüsesorten aussortiert werde, sagt Felicitas Schneider von der Boku. Im Geschäft landen Lebensmittel in der Tonne, weil beispielsweise das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist oder der Absatz falsch berechnet wurde.
Sich gegenseitig den Schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, bringt aber nichts: "Wer schuld am Lebensmittelabfall ist, ist irrelevant für die Lösung des Problems", so Schneider. Alle Beteiligten müssten umdenken, eine Einzelmaßnahme bringe wenig.
Was Bäcker von der Autoindustrie lernen können
"Die Handelsunternehmen sparen Geld, wenn sie weniger wegwerfen", betont Schneider. Mit den eingesparten Kosten könnten Händler zum Teil steigende Lohn- und Rohstoffkosten abfedern.
Das bestätigt Bernhard Kreutzer, Geschäftsführer der Ring Bäckerei: "Wir sparen bares Geld, indem wir Überproduktion vermeiden." 400.000 Euro sparte die oberösterreichische Bäcker-Kette mit derzeit 20 Millionen Euro Jahresumsatz durch das Abfallvermeidungsprogramm im Jahr 2008 ein, wie die Boku erhoben hat. Tendenz steigend - weil Rohstoffe wie Mehl und Butter mehr kosten, kommt auch Abfall teurer.
Da halb gefüllte Regale keine Lösung sind, hat sich die Bäckerei das Rezept von der Autoindustrie abgeschaut: Just-in-Time-Produktion. In den 77 Standorten wird Brot und Gebäck je nach Nachfrage gebacken. Die Retourenquote liegt um zehn Prozent - darunter sollte sie nicht liegen, weil die Geschäfte sonst ausverkauft wären, darüber würde zu viel Abfall produziert, erklärt Kreutzer.
Neben dem Backen im Laden werden Mitarbeiter geschult, Kunden ein Alternativprodukt anzubieten, wenn das gewünschte Produkt gerade nicht verfügbar ist. Zudem gewährt die Bäckerei auf Vorbestellungen ab einer bestimmten Menge Rabatt. Ab Jänner wird auch eine Applikation (App) angeboten, mit dem über das Handy Brot und Backwaren vorbestellt werden können. Rabatte eine Stunde vor Ladenschluss haben sich jedoch nicht bewährt: "Das führt nur zu verzögertem Kaufverhalten", so Kreutzer.
Beim Handelsriesen Rewe bestellen die Filialleiter nach dem tagesaktuellen Bedarf, Brot und Gebäck wird großteils im Markt selbst aufgebacken. "Wir agieren im Lebensmittelhandel stets im Spannungsfeld zwischen der Erfüllung von vielfältigen Kundenwünschen und der Verwertung nicht verkaufter Produkte", erklärt Karin Nakhai, Sprecherin von Rewe International. Um Abfall zu vermeiden, wird Ware einen Tag vor oder am Tag des Mindesthaltbarkeitsdatums günstiger angeboten. Außerdem stellen Händler wie Rewe, Spar und der Drogeriemarkt dm den Sozialmärkten Ware zur Verfügung.
Als Rezept gegen Lebensmittelabfälle sieht Schneider auch eine geänderte Aktionspolitik im Handel: Denn die "2 plus 1 gratis"-Sonderangebote verleiten dazu, mehr als geplant ins Wagerl zu packen. "In Großbritannien bieten einige Einzelhändler statt 2 plus 1-Aktionen beim Kauf eines Produktes einen Gutschein für ein zweites Produkt an, der beim nächsten Einkauf eingelöst werden kann", sagt Schneider. Der Vorteil für den Händler sei, dass der Kunde wiederkommt und möglicherweise noch andere Produkte kauft. Rewe plant aber nicht, seine Aktionspolitik zu ändern: "Familien und Großhaushalte nehmen 2 plus 1’-Aktionen gerne in Anspruch."
Konsumenten können Abfall vermeiden, indem sie bewusster einkaufen und beim Kochen Reste verwerten. Oft wird nämlich schlicht zu viel eingekauft. "Das Mindesthaltbarkeitsdatum wird dann als Grund genommen, um das Lebensmittel endlich entsorgen zu können", so Schneider. Die Gewohnheiten der Verbraucher zu ändern, dauere aber lange: "Solange man schief angeschaut wird, wenn man übergebliebene Sachen im Restaurant mitnimmt, hat sich nichts geändert."