Ein Taxi für Muslime, das die Geschlechter trennt, erntet Kritik.
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Wien. Eigentlich, so sagt Selim Reid, wolle er den Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen fördern, "um für ein verständnisvolleres Zusammenleben aufeinander zuzugehen". Anders als der Name "Muslimtaxi" zunächst vermuten lasse, könne jeder bei ihm mitmachen - egal, ob er an Allah glaube oder nicht. Selim Reid hat im Dezember 2011 die erste Mitfahrzentrale in Deutschland gegründet, die sich gezielt an Muslime richtet und bei denen Frauen und Männer getrennt voneinander fahren. Auf der Seite www.muslimtaxi.de sind neben den Inseraten direkte Angaben, ob es sich bei dem Anbieter um eine männliche oder eine weibliche Person handelt.
Reid ist 1996 mit seinen Eltern aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Heute studiert der 24-Jährige Flugzeugbau in Hamburg, spricht fließend Deutsch und will nirgendwo anders leben als hier. Der Islam ist für ihn die Klammer, in der sich sein Leben abspielt. Er ist überzeugt, dass der "Islam alle Religionen verbindet und es nur einen wahren Gott gibt". Als seine Mutter bei einer Mitfahrgelegenheit wegen ihres Kopftuchs diskriminiert wurde, sei ihm die Idee zu Muslimtaxi gekommen. Auch habe er immer öfter von anderen Muslimen Beschwerden gehört, dass sie die herkömmliche Mitfahrgelegenheiten nicht nützen, weil es keine Geschlechtertrennung gebe.
Eine Abschottung der Muslime sieht Reid durch sein Unternehmen nicht. Er bediene damit nur Kundenwünsche. "Mein Konzept ist mit dem eines Möbelhauses vergleichbar", sagt er. "Manche spezialisieren sich auf Küchen und Polstermöbel. Auch ich bediene eine Nische. Hamburger HSV-Fans fahren auch nicht mit Fans vom FC Bayern." Aber ist das Integration, wenn Muslime unter sich bleiben? "Wer wirklich den Dialog sucht, der findet ihn bei uns", sagt er. "Denn es können auch Nichtmuslime an den Fahrten teilnehmen." Außerdem schütze er vor Ehebruch, glaubt Selim Reid. Er wisse von Seitensprüngen, die bei Mitfahrgelegenheiten begonnen hätten und dann Familien zerstört haben. "Ich biete eine einfache Möglichkeit, das Fremdgehrisiko weitgehendst einzugrenzen."
Etwa 2000 Zugriffe verzeichnete er in den ersten Tagen auf seine Homepage, der islamistische Prediger Pierre Vogel verlinkte Muslimtaxi auf seiner eigenen Website. Doch das Interesse ist eher bescheiden: Momentan gibt es 22 Angebote und Gesuche auf der Homepage, die meisten von Männern und Muslimen.
Als Reid im Februar der Berliner Tageszeitung "taz" ein Interview gab, trat der junge Mann einen Wirbel los, mit dem er nicht gerechnet hatte. Natürlich gab es schon vorher Kritik an seiner Idee, im Internet wurde er von Anfang an beschimpft. Wegen der Geschlechtertrennung wurde ihm Apartheid vorgeworfen, er wurde als "Moslem-Nazi" und "Muselmane mit niederem Intellekt" beschimpft. Als dann auch noch der islamfeindliche Blog "Politically Incorrect" auf das Projekt aufmerksam wurde, entbrannte im Internet ein Flächenbrand der Empörung. Die Reaktionen waren so heftig, als hätte Reid den Kopftuchstreit gewonnen und im Vorbeigehen die rechtlichen Fundamente des Abendlandes unterwandert.
Nicht diskriminierend
Man kann diese immer wiederkehrende Debatte belächeln. Man kann Reid auch als religiösen Eiferer betrachten, seine Ideen absurd finden oder sich ärgern, so wie Arnd Diringer, Juraprofessor an der Hochschule Ludwigsburg. Der findet das Ganze nämlich überhaupt nicht harmlos und befürchtet, dass durch das Muslimtaxi das islamische Recht Einzug in das Beförderungsgewerbe nehme. Frauen und Männer getrennt, "ein solches Geschäftsmodell scheint problematisch", kritisiert Diringer, "es drängt sich die Frage auf, ob das mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vereinbar ist."
Seit August 2006 gilt in Deutschland ein Antidiskriminierungsgesetz. Es soll Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität verhindern helfen. Und das nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch im Zivilrecht, etwa bei Anmietung einer Wohnung. Diskriminiert Muslimtaxi Frauen, weil sie nicht mit Männern fahren dürfen? Oder umgekehrt: Werden Männer benachteiligt, weil sie nicht mit Frauen im Auto sitzen?
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht bei dem Angebot jedenfalls keine Benachteiligung Einzelner, "da jedermann unabhängig von seiner Religions- und Geschlechtszugehörigkeit das Portal nutzen kann". Das AGG sei hier auch deshalb nicht verletzt, weil es sich hier um keine Massengesellschaft handle. Reid verstößt also nicht gegen Gesetze. Es gibt in Deutschland auch spezielle Mitfahrgelegenheiten, die sich nur an Frauen wenden - doch spielt hier der Glauben keine Rolle. Auch wenn es vielen nicht gefällt und Juristen wie Diringer den Untergang der deutschen Rechtsordnung fürchten, Reid darf sein Angebot weiterhin ganz legitim betreiben.
Der ist mittlerweile so genervt von dem ganzen Trubel, dass er seine Homepage geändert hat. Bevor man auf die Gesuche und Angebote klicken kann, muss man zustimmen "zu wissen, dass Muslimtaxi nur ein Angebot ist und keiner gezwungen ist, daran teilzunehmen". Reid hat sich eine Domain im Ausland gesichert und bastelt an einer englischen Version von Muslimtaxi. "Möge Allah uns in diesem Projekt Erfolg geben und die Muslime inschallah allesamt vereinen. Und möge er das schlechte Licht, welches beabsichtigt auf den Islam geworfen wird, besänftigen."