Permanente Novellierungen und Verschärfungen des Fremdenrechts behindern Austauschprogramme mit Universitäten außerhalb der EU. | Wenn der FC Barcelona nur Katalanen als Spieler hätte, wäre er immer noch ganz gut, aber er würde sicher nicht zur Weltspitze gehören. Wenn die Wiener Staatsoper nur Künstler aus Österreich, Tschechien und Ungarn auftreten ließe, wäre sie vielleicht immer noch ganz gut, aber sie würde sicher nicht zur Weltspitze gehören.
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Wenn Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Österreich nur Personen mit heimischem Reisepass ausbildeten und beschäftigten, wären sie durchwegs provinziell, und sie würden weder in Europa noch sonst wo ernst genommen.
So richtig herumgesprochen hat sich das weder im Innenministerium noch in der Regierung insgesamt. Nehmen wir an, ein Wiener Forschungsinstitut setzt für Mitte Juli einen zweitägigen Workshop an und lädt dazu den berühmten Spezialisten Oleg N. aus Lvov in der Ukraine ein. Dieser müsste nun in die über 500 km entfernte Hauptstadt Kiew reisen und dort persönlich in der Botschaft ein Visum beantragen. Dann reist er die 500 km nach Lvov zurück. Wenn er viel Glück hat, wird sein Antrag sehr rasch erledigt und er davon informiert. Dann müsste Oleg N. wieder die 500 km nach Kiev reisen und sein Visum persönlich in der Botschaft abholen. Oleg N. wird seinen Wiener ForschungskollegInnen sagen: Thank you, but under these circumstances I am unable to attend. Den Schaden hat nicht nur er, sondern natürlich auch das Wiener Institut.
Dieses Beispiel ist nicht frei erfunden. Ebenso wenig erfunden ist folgender Fall. Mary K. studiert an einem renommierten College in Boston; dieses hat ein Austauschabkommen mit einer Wiener Universität. Mary K. kommt Anfang September 2010 in Wien an; als US-Bürgerin kann sie sichtvermerkfrei einreisen, benötigt aber binnen 90 Tagen ein Visum, um legal in Österreich aufhältig zu sein. Sie besorgt sich eine Unterkunft, tätigt die erforderlichen Inskriptionen und reicht den Visum-Antrag bei der zuständigen MA 35 der Stadt Wien ein. Diese hat das vom Bund erlassene Fremdenrecht zu vollziehen, kämpft mit dessen laufenden Novellierungen und Verschärfungen und ist mit den hunderttausenden Fällen jährlich, von denen freilich nur ein Bruchteil Studierende betrifft, notorisch überbelastet. Mitte November, mitten im Semester, weiß Mary K. noch nicht, ob sie zeitgerecht das Visum erhält. Soll sie nun die Wohnung kündigen, ihre Sachen packen, den Rückflug buchen, das Studium in Wien abbrechen? Schlussendlich hat sie kurz vor Beginn ihrer "Illegalität" das Visum in Händen. Das College in Boston, das seine Studierenden gut betreut, findet das unzumutbar und kündigt das Austauschabkommen. Den Schaden hat die Wiener Universität, die nun keine Austauschstudenten nach Boston schicken kann.
Ohne Internationalität keine Spitzenposition. Wenn wir in Österreich Forschung und Ausbildung ernst nehmen, müssen die Grenzen offener sein.
Alexander Van der Bellen ist Nationalratsabgeordneter der Grünen. Jeden Dienstag lesen Sie an dieser Stelle den Kommentar eines Vertreters einer Parlamentspartei.