Osteuropa-Experte Grzegorz Sielewicz sieht die Region auf einem wirtschaftlich soliden Kurs. Es fehlen jedoch Arbeitskräfte.
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"Wiener Zeitung": Das vergangene Jahr war überschattet von der beginnenden konjunkturellen Eintrübung und der Zunahme politischer Risiken wie dem Brexit und dem Handelsstreit zwischen China und den USA. Welche Auswirkungen hat das auf die Wirtschaft in Mittel- und Osteuropa?
Grzegorz Sielewicz: Natürlich haben der Brexit und die Lage in Italien auch unmittelbare Auswirkungen auf diese Region. Bei den Exporten ist Großbritannien für Polen etwa der viertwichtigste Handelspartner. Aber noch wichtiger sind die indirekten Folgen. Wenn es Probleme mit den globalen Wertschöpfungsketten gibt, dann sind auf den ersten Blick zwar vor allem die Länder in Westeuropa betroffen, doch wenn es Westeuropa schlechter geht, leidet auch der Osten.
Wie sieht die Prognose für das heurige Jahr aus?
Im Augenblick sehen wir eine eindeutige Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. 2017 hatten wir im CEE-Raum ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent. 2018 waren es unseren Schätzungen zufolge 4,1 Prozent und für heuer erwarten wir 3,5 Prozent. 3,5 Prozent sind allerdings nicht schlecht, das ist ein solides Niveau. Verantwortlich für den Abschwung ist unter anderem die konjunkturelle Abkühlung in Westeuropa, das für die CEE-Region nach wie vor der wichtigste Handelspartner ist. So ist etwa im Automobilsektor, dessen Produkte ja zumeist in den Export gehen, die Abhängigkeit sehr hoch. Der private Konsum in Osteuropa ist aber immer noch sehr stark und ein wesentlicher Treiber des Wachstums. Die Haushalte sind in der Lage zu konsumieren, und sie wollen auch konsumieren. Das ist nicht unbedingt überraschend, denn die Lage am Arbeitsmarkt ist ausgezeichnet. So ist die Arbeitslosenrate in Tschechien niedriger als in Deutschland.
Der Kreditversicherer Coface, für den Sie arbeiten, hat allerdings vor kurzem eine interessante Statistik vorgelegt. Demnach ist die Zahl der Unternehmen, die in Konkurs gehen, in der CEE-Region deutlich höher als in Westeuropa. Was ist der Hintergrund?
Einer der Hintergründe ist die Situation am Arbeitsmarkt. Für die privaten Haushalte ist es zweifellos gut, wenn die Arbeitskräftenachfrage so hoch ist. Viele Unternehmen würden aber gerne weiter expandieren und da bekommen sie den immer stärker werdenden Anstieg bei den Löhnen massiv zu spüren. In Ländern wie Rumänien und Ungarn sehen wir etwa einen zweistelligen Zuwachs bei den Löhnen. Das lässt natürlich die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder erodieren. In Rumänien und Ungarn ist der Produktivitätszuwachs zudem bei weitem nicht so hoch wie der Anstieg der Löhne. Wenn hier nichts getan wird, halte ich das auf lange Sicht für gefährlich. Hinzu kommen geringer werdende Profite und schließlich der Arbeitskräftemangel. Nicht wenige Unternehmen halten sich derzeit schon mit Investitionen zurück, weil sie fürchten, keine Mitarbeiter zu finden.
Ländern wie Polen oder Ungarn wird vorgeworfen, die Rechtsstaatlichkeit zu unterminieren. Der ungarische Premierminister Viktor Orban propagiert die illiberale Demokratie, in Polen versucht die Regierung, Einfluss auf die Justiz zu nehmen. Was hat das für Auswirkungen auf Unternehmen und die Investitionsbereitschaft?
Überraschenderweise hat das bisher kaum wirtschaftliche Auswirkungen gehabt. Wie sehen zwar, dass es einen Abfluss bei ausländischen Direktinvestitionen gibt, aber ich glaube nicht, dass die politische Situation der Hauptgrund dafür ist. Vielleicht überlegen Unternehmen jetzt ein bisschen intensiver, ob sie in diesen Ländern investieren, aber trotzdem gibt es noch viele Gründe, die dafür sprechen. Denn trotz der jüngsten Löhnanstiege ist die Region in dieser Hinsicht noch immer sehr wettbewerbsfähig. Und nach wie vor kann die CEE-Region natürlich mit ihrer geografischen Nähe zu Westeuropa punkten. Zu guter Letzt sind die meisten dieser Länder in der Europäischen Union, was bedeutet, dass die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen ähnlich sind.