Wiens Ex-Vizebürgermeister Bernhard Görg über die frühen Jahre von Bürgermeister Michael Häupl.
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"Wiener Zeitung": Sie haben fünf Jahre lang, von 1996 bis 2001, als Wiener Vizebürgermeister mit Michael Häupl zusammengearbeitet. Wie ist es Ihnen mit ihm gegangen?
Bernhard Görg: Unser gemeinsamer Start war sehr holprig. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass wir beide Wahlverlierer waren: Ich hatte ordentlich verloren und er außerordentlich stark, und da wollte jeder von uns wenigstens die Koalitionsverhandlungen gewinnen. Wir haben aber bald sehr gut zusammengefunden. Das hat mit drei Faktoren zu tun: Erstens ist er ein Blitzgneißer im positiven Sinn. Und er ist einer der wenigen Politiker, die ich kenne, die drei Schritte vorausdenken können. Zweitens nimmt er die Dinge nicht zu ernst und kann auch über sich selbst lachen, daher ist es leicht, ihn zu mögen. Und drittens hat er einen guten Schmäh. Wobei er im kleinen Kreis das Florett führt, während er im Gegensatz dazu in der Öffentlichkeit den Bihänder schwingt. Wahrscheinlich aus der Erkenntnis heraus, dass die Öffentlichkeit den Florettschmäh gar nicht versteht. Und er ist ein Vollblutpolitiker, davon kenne ich zwei Arten: Die einen, wie zum Beispiel Wolfgang Schüssel, visieren zunächst Inhalte an, und dann kommen die Wahlen. Bei Häupl war es immer umgekehrt: Er hat immer für die Wahlen gelebt, und die Inhalte haben sich dann sozusagen ergeben.
Ist das eine Stärke oder eine Schwäche?
Aus Häupls Sicht sicher eine Stärke. Er wäre mit der umgekehrten Methode lange nicht so erfolgreich gewesen.
Umgekehrt kommen aber die Inhalte vielleicht zu kurz, wenn man im ständigen Wahlkampfmodus lebt.
Häupl war, wenn man ihn nach dem US-Unternehmensrecht charakterisiert, immer eher Chairman als Chief Executive. Da haben sich auch seine Grenzen gezeigt. Es hätte schon manchmal gutgetan, wenn an der Spitze der Stadt ein Chief Executive gestanden wäre. Aber insgesamt hat er das aus seiner Sicht gut gemacht. Allerdings hat er seiner Partei meiner Meinung nach zu wenig zugemutet. Er hätte den Parteikollegen öfter sagen müssen: "Haut’s euch über die Häuser! Ich mach das jetzt so und nicht anders, und ihr könnt’s schreien, was ihr wollt’s." Die uneingeschränkte Zuneigung der Partei war ihm immer ganz wichtig. Zusagen hat er aber immer eingehalten. Er hat das nur immer über die Bande gespielt, darin war er ein Meister.
Da haben Sie selbst innerhalb der ÖVP mehr Konflikte gesucht.
Ja, und ich habe es manchmal etwas übertrieben. Wahrscheinlich wäre der Mittelweg zwischen Michael Häupl und Bernhard Görg der richtige gewesen.
Was unterscheidet bei Häupl den Privatmenschen vom Politiker?
Er hat eine Eigenschaft nicht, die ihm in der Öffentlichkeit zugeschrieben wird: Er ist absolut kein Machtmensch. Er ist nur ein exzellenter Machtmenschendarsteller. Deshalb hat mich der oft angestellte Vergleich mit Erwin Pröll, der beides war, immer amüsiert.
Wie war das tatsächliche Verhältnis zwischen den beiden?
Im Grunde genommen haben sie sich beide als die großen Stars in ihrer jeweiligen Partei dargestellt. Und es gibt ja eine Lebensfreundschaft zwischen den beiden. Ich sage, das war alles von beiden Seiten inszeniert. Und die Öffentlichkeit hat das gefressen. Wenn es nach Häupl gegangen wäre, hätte es zum Beispiel auch eine U-Bahn nach Niederösterreich gegeben - die habe ich verhindert. Ich habe als Wiener Planungsstadtrat gesagt: Nein, wir zahlen nicht, da müssen sich die Niederösterreicher ordentlich beteiligen. Das haben sie aber nie zu erkennen gegeben.
Wie grummelig ist Häupl wirklich?
Auch das ist alles gespielt, das passt genau in das Bild hinein, das er von sich selbst zeichnen wollte. Seine erste Wahl war für ihn ja ein Schock: Er hat 9 Prozent verloren. Danach hat er sich geschworen, dass ihm das kein zweites Mal passiert, und begonnen, mit seinem genialen Pressereferenten Christoph Ronge, den er von Helmut Zilk übernommen hatte, an seinem Bild zu zeichnen: Das ist der etwas grantige Bürgermeister.
Wie weinselig ist er tatsächlich?
Sicher weinseliger als ich. Aber das ist keine Kunst. Jedenfalls habe ich ihn nie betrunken, nicht einmal angesäuselt erlebt. Allerdings habe ich bei gemeinsamen Reisen im Inofficium erlebt, dass er ein großer Whisky-Kenner ist und davon auch viel verträgt.
Wäre er mit 20 Kilo weniger auch so authentisch gewesen?
Nein. Selbst sein Äußeres passt perfekt zu dieser Rolle. Ebenso die Watschen, die er ausgeteilt hat - aber nur medial. Im Zwiegespräch konnte er das nicht, da war er immer konsensorientiert und harmoniebedürftig. Er hat sich wahnsinnig schwer mit einem klaren Nein getan.
Haben Sie dafür Beispiel parat?
Einmal wollte ich die Gewerkschaft herausfordern und habe die Zustimmung zum nächsten Budget daran geknüpft, dass am 1. Mai auch die Straßenbahnen fahren. Das war natürlich aus Sicht der Gewerkschaft ein Sakrileg, und der Bürgermeister hat signalisiert, dass ihm das höchst ungelegen kommt. Den Streit darüber hat er aber seinen Klubobmann Johann Hatzl mit uns ausfechten lassen. So hat er zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Er hat die Niederlage an Hatzl delegiert und ihn zugleich zum innerparteilichen Kronzeugen dafür gewonnen, dass in der Sache mit der ÖVP absolut nichts zu machen war. Am 1. Mai hat er dann vor den Genossen über diese Schweinerei gewettert und versprochen: "Sobald ich die Macht habe, das wieder zurückzunehmen, wird das meine erste Entscheidung sein." Bei der nächsten Wahl hatte er dann schon die absolute Mehrheit - und es war nie wieder davon die Rede.
Was unterscheidet ihn von seinem Nachfolger Michael Ludwig?
Der hat seinen Führungsanspruch viel deutlicher gestellt. Häupl hat ja seinerzeit behauptet, dass er gar nicht Bürgermeister werden wollte. Ich habe ihm das im Nachhinein nicht abgenommen. Aber es war seine Art. Er hat sich quasi ins Amt hineinmanövrieren lassen und das Ganze sehr clever orchestriert. Es gab ja damals mehrere andere ernsthafte Bewerber. Häupl hat es zunächst so dargestellt, als wollte er nur Parteiobmann werden und ein anderer Bürgermeister. Also eine Trennung zwischen den Ämtern wie schon bei Helmut Zilk und Hans Mayr. Da haben die Zeitungen auf Hannes Swoboda als Bürgermeister spekuliert. Im Gespräch waren auch Sepp Rieder und Franz Löschnak. Als es dann doch Häupl wurde, ist Swoboda zwei Jahre später nach Brüssel gegangen. Mit Rieder hat er danach gut zusammengearbeitet, da gab es kein Konkurrenzdenken.
Was ist Häupls größte Errungenschaft in seinen 23 Jahren als Wiener Bürgermeister?
Dass er sich so lange unherausgefordert und unbestritten - und zwar weder in der SPÖ noch durch die Öffentlichkeit - im Amt gehalten hat. Er hat klugerweise nie um Wien-Themen wahlgekämpft, sondern er war immer dann stark, wenn er gegen einen ideologischen Feind gekämpft hat, zuerst gegen Schwarz-Blau und zuletzt gegen Blau. Nach der letzten Wahl hat mir ein sehr hoher geistlicher Würdenträger erzählt, dass er zum ersten Mal in seinem Leben die Roten gewählt hat: Er wollte lieber den Agnostiker Michael Häupl als Bürgermeister als Heinz-Christian Strache. Außerdem hatte Häupl das Talent, dem Bürger zu signalisieren, dass er genauso, wie er ist, richtig ist. Wir von der ÖVP fühlen uns ja meist einem pädagogischen Eros verpflichtet, der den Menschen erklärt, dass sie sich ändern müssen. Und Häupl hat es auch geschafft, dass er mit seinem ganzen Team - egal, ob das nun Leuchttürme oder Glühwürmchen waren - die hohe Lebensqualität in Wien erhalten hat. Die Stadt funktioniert.
Und was war Häupls größter Fehler in 23 Jahren als Bürgermeister?
Sicher das Krankenhaus Nord. Da zeigt sich wieder seine Rolle als Chairman. Als Chief Executive hätte er schon seit fünf Jahren die Verantwortlichen - nicht nur die zuständige Stadträtin - zum regelmäßigen Rapport bestellen sollen: Wo stehen wir, wo sind Gefahrenquellen . . .
. . . und wer hat den Energetiker bestellt?
Das wiederum finde ich lächerlich. Aber es ist typisch, dass sich daran jetzt das Schicksal der Sandra Frauenberger entschieden hat, die ja als Nachfolgerin von Sonja Wehsely am wenigsten dafür kann. Dass dort 500 Millionen Euro verblasen worden sind, hat niemanden gekratzt - jetzt, bei den 95.000 Euro, kann sich halt jeder etwas darunter vorstellen.
Glauben Sie, dass Häupl inzwischen die Koalition mit den Grünen bereut?
Das ist jetzt eine reine Spekulation von mir, aber ich nehme an, er hat es vom ersten Tag an bereut. Ich persönlich glaube, er konnte mit den Grünen nie etwas anfangen. Die denken anders als er. Und das Argument gegen Rot-Schwarz nach der Wien-Wahl 2010, dass er nicht mit einer Verliererpartei koalieren wolle, habe ich ihm nie abgenommen. Aber es hat eine starke Strömung in der SPÖ gegeben, die sich jetzt auch auf Bundesebene zeigt: Ein Teil der SPÖ, vor allem der Mittelbau, mit Ausnahme der Gewerkschafter, kann mit der ÖVP einfach nicht mehr. Deshalb wäre auch eine Neuauflage von Rot-Schwarz auf Bundesebene nicht mehr gegangen. Ich bin ja ein großer Gegner der FPÖ, aber wäre ich noch im Parteivorstand gewesen, hätte selbst ich für diese Variante gestimmt. Ich glaube aber nicht, dass Türkis-Blau eine langfristige Zukunft hat, auch wenn es im Moment gut aussieht, weil Heinz-Christian Strache die FPÖ noch im Griff hat. Aber es wird nicht lange halten. Ein Drittel der FPÖ-Wähler sind Protestwähler. Da können die kopfstehen und eine tolle Performance hinlegen - ein Drittel ihrer Wähler wählt prinzipiell keine Regierungspartei.
Was heißt das für die ÖVP?
Der wird das bei der nächsten Nationalratswahl nützen.
In Wien steckt sie aber in einem historischen Tief. Wie erklären Sie den nachhaltigen Absturz nach dem Hoch in den 1980ern?
Die ÖVP läuft von ihrem Naturell her immer Gefahr, abzustürzen, wenn sie nur die Nummer zwei oder gar drei ist. Weil sie zu einer wirklich scharfkantigen Oppositionspolitik - zumindest in meiner Zeit - überhaupt nicht fähig ist. Sie ist eine klassische Regierungspartei. Ich selbst war wie jeder ÖVPler ein miserabler Oppositionspolitiker. Ich habe Oppositionspolitik mit dem Rechenstift betrieben, da kann man es aber gleich aufgeben. Noch dazu hat der Wirtschaftsflügel immer aus seinen eigenen Interessen heraus mit der regierenden Partei gepackelt. Und der ÖAAB hat, weil es ihm um Direktorenbestellungen ging, auch mit angezogener Handbremse Opposition gemacht. Und wenn sich dann nicht rasch ein Erfolg einstellt, ist man als Parteichef relativ schnell allein.
Nach Ihrer politischen Karriere schreiben Sie jetzt Theaterstücke und Wachau-Krimis. Wie viel Erwin Pröll steckt bei den Krimis im Landeshauptmann Johann Kainz?
Ich habe einen Prototyp eines machtbewussten Landeshauptmanns beschrieben. Und dem kommt Pröll natürlich sehr entgegen. Aber ich habe mir nicht ausgedacht: Was täte Pröll in dieser Situation? Ich hätte freilich auch Häupl zeichnen können, der auf eine andere Art ein Prototyp eines Landeshauptmanns war. Aber ein Sozialdemokrat in Niederösterreich wäre komisch gewesen. Jetzt mache ich allerdings einmal eine Pause mit den Krimis und bringe am 15. Mai im Theater Center Forum "Scharlachrot" auf die Bühne. Es ist ein Einpersonenstück und handelt von einem Jugendrichter, der von seiner dominanten und überehrgeizigen Mutter von frühester Kindheit an auf die Rolle des Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs vorbereitet wird.
Das streift ja die jüngsten politischen Ereignisse . . .
. . . ist aber lange vor der Causa entstanden und schon vor zwei Jahren fertig geworden. Aber es ist doppelt aktuell, denn es kommt auch die MeToo-Debatte vor: Die Mutter hat nämlich schon den Vater in dieser Rolle gesehen, der ist aber dann wegen einer unangenehmen Anzeige einer Mitarbeiterin am letzten Karrieresprung gescheitert. Im Stück schwärmt der Sohn 80 Minuten lang von seiner Mutter, wobei schon nach dem dritten Satz klar ist, dass diese Sohn-Mutter-Beziehung nicht gutgehen kann. Aber ich werde schon wieder einen Krimi schreiben. Ich wollte nur nicht jedes Jahr ein neues Buch abliefern müssen.
Fehlt Ihnen die Politik eigentlich?
Die Oppositionspolitik fehlt mir überhaupt nicht. Ich wollte ja 2001 sofort aufhören, habe mich dann aber doch breitschlagen lassen, noch ein paar Jahre anzuhängen. Das Regieren allerdings würde mir noch immer Spaß machen, das gebe ich zu.
Bernhard Görg wurde 1942 in Horn geboren. Nach der Matura in Krems studierte er Geschichte, Latein und Rechtswissenschaften. Ab 1968 arbeitete er bei IBM Österreich, von 1986 bis 1922 war er Geschäftsführer der Neumann-Beratungsgruppe in Wien. 1991 unterlag er Erhard Busek bei der Wahl als ÖVP-Bundesparteiobmann, 1992 wurde er Wiener Landesparteiobmann. Von 1996 bis 2001 war er Wiener Vizebürgermeister und Planungsstadtrat.